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27.01.2023

04:00

Gastkommentar

Das globale Finanzsystem steht vor einer großen Belastungsprobe

PremiumDie Beispiele Japan, Italien, Großbritannien zeigen: Die Lage bleibt fragil. Hohe Verschuldung bei langfristig steigenden Kapitalmarktzinsen, das ist ein gefährliches Gemisch, warnt Kenneth Rogoff.

Kenneth Rogoff war Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und lehrt Ökonomie an der Harvard-University. Getty, Reuters

Der Autor

Kenneth Rogoff war Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und lehrt Ökonomie an der Harvard-University.

Die Tatsache, dass die Welt 2022 keine systemische Finanzkrise erlebte, ist ein kleines Wunder angesichts des steilen Anstiegs von Inflation und Zinsen, ganz zu schweigen von einem massiven Anstieg der geopolitischen Risiken.

Da aber die öffentliche und private Verschuldung während der Ära der ultraniedrigen Zinssätze auf ein Rekordniveau gestiegen ist und die Rezessionsrisiken hoch sind, steht das globale Finanzsystem immer noch vor einer großen Belastungsprobe. Eine Krise in einer hochentwickelten Volkswirtschaft – zum Beispiel in Japan oder Italien – ließe sich nur schwer eindämmen.

Zwar hat die strengere Regulierung die Risiken für die Kernbereiche der Bankbranche verringert. Aber das hat nur dazu geführt, dass sich die Risiken in andere Bereiche des Finanzsystems verlagert haben.

Steigende Zinssätze haben etwa die Private-Equity-Firmen, die sich für den Erwerb von Immobilien stark verschuldet haben, unter enormen Druck gesetzt. Nun, da sich ein steiler, nachhaltiger Rückgang der Preise für Wohnraum und Gewerbeimmobilien andeutet, dürften einige dieser Unternehmen höchstwahrscheinlich pleitegehen.

In diesem Fall könnten die Kernbanken, die einen Großteil der Finanzmittel für die Immobilienkäufe der privaten Beteiligungsgesellschaften zur Verfügung gestellt haben, Probleme bekommen. Das ist unter anderem deshalb noch nicht passiert, weil schwach regulierte Unternehmen weniger gezwungen sind, ihre Bücher den Marktpreisen anzupassen.

Doch man stelle sich vor, dass die Zinsen auch während einer Rezession hartnäckig hoch bleiben. In diesem Fall wird es zwangsläufig zu einer Vielzahl von Zahlungsausfällen kommen.

Japan könnte das weltweit am stärksten gefährdete Land sein

Die jüngsten Kapriolen am britischen Bondmarkt zeigen wie schnell sich die Lage verschärfen kann. Zwar wurde Ex-Premierministerin Liz Truss die Schuld zugeschoben, die wahren Verursacher aber waren die Manager der Rentenkassen, die darauf gewettet hatten, dass die langfristigen Zinsen nicht allzu schnell steigen würden.

Gefährdet ist auch Japan, wo die Notenbank die Zinsen seit Jahrzehnten bei null oder negativ hält.

Angesichts weltweit steigender Realzinsen, der steilen Abwertung des Yen und hohen Inflationsdrucks könnte Japan die Ära annähernder Nullzinsen nun endlich hinter sich lassen.

Höhere Zinssätze würden die japanische Regierung unmittelbar unter Druck setzen, da sich die japanische Staatsverschuldung inzwischen auf 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beläuft. Ein kräftiger Zinsanstieg wäre in einem wachstumsstarken Umfeld zu bewältigen, doch dürften Japans Wachstumsaussichten angesichts weiter steigender langfristiger Realzinsen höchstwahrscheinlich sinken.

Die entscheidende Frage ist, ob es im Finanzsektor verborgene Schwachstellen gibt, die aufgedeckt werden könnten, wenn die Inflation weiter ansteigt. Die gute Nachricht ist, dass die japanischen Erwartungen an eine nahe null liegende Inflation nach fast drei Jahrzehnten ultraniedriger Zinsen gut verankert sind – auch wenn sich das ändern dürfte, sollte sich der heutige Inflationsdruck als lang anhaltend erweisen.

Die schlechte Nachricht ist, dass das Fortbestehen dieser Bedingungen einige Anleger leicht dazu verleiten könnte, zu glauben, dass die Zinssätze niemals steigen werden, oder zumindest nicht wesentlich. Das bedeutet, dass die Wetten auf weiter niedrige Zinsen in Japan überhandnehmen könnten, wie es zuvor im Vereinigten Königreich der Fall war. In diesem Szenario könnte eine weitere geldpolitische Straffung die Lage verschlimmern, zu Instabilität führen und die Haushaltsprobleme der Regierung verschärfen.

Ultraniedrige Zinssätze haben die Eurozone bisher zusammengehalten

Ein weiteres latentes Risiko ist Italien. In vieler Hinsicht waren die ultraniedrigen Zinssätze bisher der Leim, der die Eurozone zusammengehalten hat. Unbegrenzte Garantien für die italienischen Schulden im Einklang mit dem Versprechen des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi aus dem Jahr 2012, zu tun, „was immer nötig ist“, waren wohlfeil, solange Deutschland zum Nullzins oder zu negativen Zinssätzen Kredite aufnehmen konnte.

Doch die rapiden Zinserhöhungen dieses Jahres haben diese Kalkulationen verändert. Heute sieht die deutsche Wirtschaft mehr aus wie Anfang der 2000er-Jahre, als einige das Land als „kranken Mann Europas“ bezeichneten. Und obwohl ultraniedrige Zinsen in Europa eine relativ neue Erscheinung sind, muss man befürchten, dass eine anhaltende Welle der geldpolitischen Straffung, Schwachstellen aufdecken könnte.

Die Lage der Weltwirtschaft bleibt also fragil, und es steht zu befürchten, dass sich solche Finanzkapriolen, wie wir sie in Großbritannien gesehen haben, wiederholen werden.

Der Autor: Kenneth Rogoff war Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und lehrt Ökonomie an der Harvard-University.

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