Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

13.03.2023

19:48

Gastkommentar

Die Politik muss einem Monopol bei der generativen KI zuvorkommen

Den Markt für Chatbots sollten nicht wenige Konzerne dominieren. Demokratische Regierungen könnten einen öffentlich finanzierten Konkurrenten gründen, schlägt Cambridge-Professorin Diane Coyle vor.

Diane Coyle ist Professorin für öffentliche Politik an der Universität von Cambridge.

Die Autorin

Diane Coyle ist Professorin für öffentliche Politik an der Universität von Cambridge.

ChatGPT, der neue Chatbot für Künstliche Intelligenz, hat die Welt im Sturm erobert. Die berühmteste generative KI der Welt, die bereits als Meilenstein in der Entwicklung sogenannter großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) gefeiert wird, wirft wichtige Fragen darüber auf, wer diesen im Entstehen begriffenen Markt kontrolliert und ob diese leistungsstarken Technologien dem öffentlichen Interesse dienen.

Die Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI im November letzten Jahres wurde schnell zu einer weltweiten Sensation. Der Chatbot ist in der Lage, Fragen in englischer Konversation zu beantworten (sowie in einigen anderen Sprachen) und andere Aufgaben auszuführen wie das Schreiben von Computercodes.

Die Antworten, die ChatGPT gibt, sind flüssig und überzeugend. Trotz seiner sprachlichen Fähigkeiten kann er jedoch manchmal Fehler machen oder faktische Unwahrheiten erzeugen, ein Phänomen, das unter KI-Forschern als „Halluzination“ bekannt ist.

Der Chatbot schreibt ohne viele Fehler Programmiercodes

Die Angst vor gefälschten Referenzen hat mehrere wissenschaftliche Zeitschriften dazu veranlasst, die Verwendung von ChatGPT und ähnlichen Tools in wissenschaftlichen Arbeiten zu verbieten oder einzuschränken.

Doch während der Chatbot bei der Faktenüberprüfung noch Probleme zu haben scheint, ist er bei der Programmierung offenbar weniger fehleranfällig und kann problemlos effizienten und eleganten Code schreiben.

Trotz aller Mängel stellt ChatGPT offensichtlich einen bedeutenden technologischen Durchbruch dar. Obwohl OpenAI als eine gemeinnützige Organisation begonnen hatte, ist es heute ein gewinnorientiertes Unternehmen mit einem Wert von 29 Milliarden Dollar.

Auch andere große Tech-Unternehmen wie Google und Meta haben ihre eigenen Versionen von generativer KI entwickelt. Natürlich könnten böswillige Akteure diese Werkzeuge für illegale Zwecke missbrauchen, etwa für raffinierte Onlinebetrügereien oder das Schreiben von Malware. Aber die künftigen Anwendungen der Technologie, von der Programmierung bis zur Proteinentdeckung, geben Anlass zu Optimismus.

McKinsey beispielsweise schätzt, dass 50 bis 60 Prozent der Unternehmen bereits KI-gestützte Tools wie Chatbots in ihre Abläufe integriert haben. Durch die Ausweitung des Einsatzes von LLMs könnten Unternehmen ihre Effizienz und Produktivität steigern.

Die hohen Eintrittsbarrieren für generative KI-Tools könnten zu einer Marktkonzentration führen

Doch die massive, immens teure und schnell wachsende Rechenleistung, die für das Training und die Wartung generativer KI-Tools erforderlich ist, stellt eine erhebliche Eintrittsbarriere dar, die zu einer Marktkonzentration führen könnte.

Das Monopolisierungspotenzial und das Risiko des Missbrauchs unterstreichen die dringende Notwendigkeit für die politischen Entscheidungsträger, die Auswirkungen dieses technologischen Durchbruchs zu berücksichtigen.

Glücklicherweise scheinen sich die Wettbewerbsbehörden in den Vereinigten Staaten und anderswo dieser Risiken bewusst zu sein. Die britische Kommunikationsaufsichtsbehörde Ofcom hat Ende letzten Jahres eine Untersuchung des Cloud-Computing-Marktes eingeleitet, auf den alle großen KI-Modelle angewiesen sind.

Die US Federal Trade Commission ermittelt derzeit gegen Amazon Web Services (AWS), das mit Google und Microsoft Azure den Markt beherrscht. Diese Untersuchungen könnten weitreichende Auswirkungen auf KI-gestützte Dienste haben, die auf enorme Größenvorteile angewiesen sind.

Aber es ist nicht klar, was die politischen Entscheidungsträger tun sollten. Einerseits könnte der Markt für generative KI, sofern die Regulierungsbehörden nichts unternehmen, von einem oder zwei Unternehmen dominiert werden, wie jeder digitale Markt zuvor.

Andererseits könnte das Aufkommen von Open-Source-LLMs, wie dem Text-zu-Bild-Tool Stable Diffusion, dafür sorgen, dass der Markt ohne weitere Eingriffe wettbewerbsfähig bleibt.

Doch selbst wenn gewinnorientierte Modelle dominieren, könnten Open-Source-Konkurrenten ihnen Marktanteile abnehmen, so wie es Mozilla Firefox mit Googles Chrome-Browser und Android mit Apples mobilem Betriebssystem iOS getan haben. Andererseits könnten auch Cloud-Computing-Giganten wie AWS und Microsoft Azure generative KI-Produkte nutzen, um ihre Marktmacht auszubauen.

Der rasante technologische Fortschritt erschwert die Regulierung

Die generative KI ist zu mächtig und potenziell transformativ, als dass ihr Schicksal in die Hände einiger weniger dominanter Unternehmen gelegt werden könnte. Es besteht zwar ein eindeutiger Bedarf an regulatorischen Maßnahmen, doch sind die Regierungen durch das rasante Tempo des technologischen Fortschritts stark benachteiligt.

Um sicherzustellen, dass an der technologischen Grenze auch das öffentliche Interesse vertreten wird, braucht die Welt eine öffentliche Alternative zu gewinnorientierten LLMs. Demokratische Regierungen könnten ein multilaterales Gremium gründen, das Mittel entwickelt, um Fälschungen, Trolling und andere schädigende Onlineinhalte zu verhindern, wie ein Cern für generative KI.

Alternativ dazu könnten sie einen öffentlich finanzierten Konkurrenten mit einem anderen Geschäftsmodell und Anreizen zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den beiden Modellen gründen.

Welchen Weg die politischen Entscheidungsträger weltweit auch einschlagen werden – Untätigkeit ist keine Option. Dem Markt die Entscheidung zu überlassen, wie und von wem diese leistungsstarken Technologien eingesetzt werden, ist ein offenkundiges Risiko.

Die Autorin: Diane Coyle ist Professorin für öffentliche Politik an der Universität von Cambridge.

Mehr: So schaffen Microsoft und Google eine neue Wirklichkeit

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×