Energieökonom Graham Weale hält es für ausgeschlossen, genügend saubere und bezahlbare Energie für die deutsche Industrie bis 2030 und danach zu liefern.
Erneuerbare Energie
Der Autor ist Honorarprofessor für Energieökonomik und -politik am Centrum für Umwelt Management, Ressourcen und Energie, Ruhr Universität Bochum.
Bild: dpa
Die Koalitionsverhandlungen sind im vollen Gang und versuchen, die unterschiedlichen Defizite in der Dekarbonisierung zu beheben. Trotz der guten Absichten gehen die Energiepläne überhaupt nicht auf zwei grundsätzliche Probleme ein, die geografische beziehungsweise gesellschaftliche Ursachen haben.
Zum einen verfügt Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern über sehr magere erneuerbare Ressourcen. Die Windgeschwindigkeit ist mittelmäßig, der verfügbare Offshore-Bereich in Nord- und Ostsee ist im Vergleich zum Energiebedarf klein, und die Sonnenstrahlung ist relativ gering.
Zum anderen hat die Gesellschaft ihr Land verpflichtet, einer extrem restriktiven Energiepolitik zu folgen, die unter anderem weder Kernenergie noch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung („Carbon Capture and Storage“, kurz CCS) akzeptiert. Die 2011 begonnene Stilllegung der Kernkraftwerke hat eindeutig zu der aktuellen Strompreiskrise beigetragen und schlägt schon die ersten Nägel in den Industriesarg.
Meilenweit entfernt davon ist die US-Energiepolitik. Kürzlich hat die eloquente Energiestaatssekretärin Jennifer Granholm mitgeteilt: „Alle möglichen Werkzeuge liegen auf dem Tisch, einschließlich neuer Kernkraftwerke samt neuer Kohle- oder Gaskraftwerke mit CCS.“ „Dekarbonisierung ist Dekarbonisierung“, betonte sie eindeutig.
Im Vergleich zu anderen Ländern legt sie keinen so starken Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit (Engl. Sustainability), wie auch immer sie genau zu definieren ist, weil diese der wichtigeren Dekarbonisierung im Weg stehen könnte. Außerdem verfügen die USA über extrem günstige Wind- und Sonnenressourcen.
Das Land wurde neulich zusammen mit Chile vom Expertenpanel eines Stromunternehmens erwähnt als eines der weltweit attraktivsten Länder für Investitionen in erneuerbare Energien. Erst kürzlich wurden wieder Energieprognosen für Deutschland mit sehr fragwürdigen Annahmen veröffentlicht, diesmal von der Deutschen Energie-Agentur (Dena).
Drei Annahmen scheinen sehr unrealistisch: Am kritischsten ist die implizite Annahme, dass die Ausbaurate der erneuerbaren Energie erheblich und durchgängig beschleunigt werden kann. Sofern die aktuelle deutsche Verfassung nicht angepasst wird mit absolutem Vorrang für Umweltmaßnahmen, wäre es schwierig, den Genehmigungsprozess entscheidend zu beschleunigen, ohne gegen Grundrechte zu verstoßen.
Zweitens sind laut Dena Nettostromimporte von 40 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2030 gegenüber Nettoexporten von 30 beziehungsweise 20 TWh in den Jahren 2019 und 2020 zu erwarten. Stromhandel ist hauptsächlich von Marktpreisunterschieden zwischen Ländern bestimmt, und andere Länder werden auch Stromimporte benötigen. Wie kann Deutschland sich dann auf Nettoimporte für mehr als fünf Prozent seines Strombedarfs verlassen?
Drittens sind die Annahmen zur Verfügbarkeit von Wasserstoff sowohl für heimische als auch importierte Mengen sehr optimistisch. Darüber hinaus ist dieser Energieträger mit allerlei Problemen behaftet: technisch, ökonomisch und bezüglich der notwendigen Lieferverträge.
Es lohnt sich, die Markteinführung dieser künftigen Energieart mit der des Erdgases vor etwa 50 Jahren zu vergleichen. Erdgas wurde zu wettbewerblichen Bedingungen gegen Ölprodukte eingeführt und diente dazu, die Energieversorgung zu diversifizieren. Hingegen wird Wasserstoff ein Vielfaches der Preise der aktuellen Energieträger kosten.
Darüber hinaus brauchen die Erzeuger dieses „Champagners der Energie“ finanziell zuverlässige Abnehmer. Wegen der etwas prekären Lage gewisser energieintensiver Unternehmen ist es nicht so klar, wer für die notwendigen Lieferverträge sorgen könnte. Oder muss der Staat hier eingreifen und eine Lösung in Sachen staatliche Beihilferegeln mit Brüssel finden?
Was in Bezug auf andere Länder nicht außer Acht gelassen werden darf: Die Kombination aus günstigen Ressourcen für erneuerbare Energien und einer offenen Energiepolitik führt zu einem ganz entscheidenden langfristigen Standortvorteil. Innerhalb Europas ist Schweden ein gutes Beispiel: Es verfügt über gute Wind- und Biomasseressourcen und, ganz kritisch, hält seine Kernkraftwerke im Betrieb.
Das Ergebnis: Es wird schrittweise ein Magnet für die Industrie werden. Erst kürzlich hat Daimler bekannt gemacht, grünen Stahl aus diesem Land zu beziehen. Deutschland muss sich von der Idee verabschieden, dass es einer so restriktiven Energiepolitik folgen und gleichzeitig die Industrie auf den Beinen halten kann.
Es wird nicht funktionieren, und die kommende Koalition wäre deswegen gut beraten, diesmal einen realistischen Plan zu entwickeln, wie viel saubere Energie bis 2030 verfügbar und bezahlbar sein wird, und dann die unvermeidbare Deindustrialisierung in Kauf zu nehmen. In der Vergangenheit war die Geologie entscheidend in Sachen Energievorteile: Öl, Gas und Kohle. In der Zukunft wird die Meteorologie maßgeblich sein: Wind und Sonne.
Die Transportkosten für Öl und Gas waren bezahlbar, deswegen konnten diese Energieträger zu den Industrieländern importiert werden. Hingegen sind die Transportkosten für Wasserstoff erheblich höher und werden dazu führen, dass die Industrieproduktion tendenziell in die Erzeugerländer verlagert wird, die über die günstigsten Erneuerbare-Energie-Ressourcen verfügen.
Weder geografische noch ökonomische Realitäten können negiert werden. Die neue Koalition würde sich einen Gefallen tun, wenn sie die unvermeidbare Wahrheit anerkennen und ihre Pläne für die Energieversorgung und die Industrie in Einklang bringen würde.
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