PremiumDie Zeiten sind unsicher, doch der deutsche Pessimismus ist übertrieben. Statt nach dem Staat zu rufen, sollten Unternehmen Chancen suchen, mahnt Christian Böllhoff.
Staatshilfen
Der Autor meint, mitten in der angeblichen Dauerapokalypse scheint Deutschland zur Vollkasko-Republik zu werden.
Bild: dpa
Im Jahr 1993 lief in den Kinos der Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Darin stellt der übellaunige Wettermoderator Phil Connors irgendwann fest, dass er denselben Tag immer und immer wieder erleben muss. Wenn der Radiowecker morgens um sechs losdudelt, beginnt abermals der 2. Februar. Alles wiederholt sich. Phil ist in einer Zeitschleife gefangen.
An diesen Film fühle ich mich jetzt häufig erinnert. Das hat vor allem zwei Gründe. Der eine Grund hat mit dem ständigen Alarmismus zu tun. Wir mögen in besonderen Zeiten leben, die von ständiger Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt sind. Alles überlagert sich. Das Gesamtbild verstört.
Aber besonders hierzulande scheint es die Angewohnheit zu geben, jedes Problem zur Krise zu stilisieren, selbstverständlich mit Damokles-Potenzial. Krisen sind wie Mikroben: Je genauer man schaut, desto mehr findet man.
Der Boom an Krisendiagnosen hat ärgerliche Folgen. Viele Entscheiderinnen und Entscheider schrauben mit kurzfristigen Lösungen bloß an der Aufrechterhaltung der Gegenwart. Den Blick heben, vorausschauen, Perspektiven finden – dafür bleibt keine Zeit. Von notwendigen Veränderungen lenkt der Daueralarm dagegen ab. So entsteht keine nachhaltige Zukunft.
Es geht nicht um zwanghaften Optimismus oder darum, die Schlechtigkeit der Welt kleinzureden. Wir dürfen nur trotz und wegen aller Verwerfungen nicht verlernen, diese Welt nach Möglichkeiten abzusuchen. Dafür müssen wir übertriebenen Pessimismus abschütteln und stärker in den Blick nehmen, was verändert werden muss und welche Chancen sich daraus eröffnen.
Neben dem unaufhörlichen Krisenmodus gibt es noch etwas Zweites, was mich zuverlässig in der Endlosschleife gefangen hält: der in Mode gekommene Ruf nach dem Staat. Der erklingt immer zuverlässig, wenn beispielsweise irgendwo auf der Welt eine größere Reform zur Diskussion steht, sei es in Brüssel, Berlin, Washington oder Peking – egal, ob es um Umwelt, Digitalisierung oder Handel geht. Ab dem Moment gibt es keine Überraschungen mehr für mich.
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Dann beginnt der Loop: Es wird jemand vor eine Kamera treten, in der anstehenden Transformation eine „gewaltige Herausforderung“ sehen, auf „enorme Mehrkosten“ hinweisen, womöglich von „unfairem Wettbewerb“ sprechen, vielleicht sogar von „erheblichen Risiken für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit“ – um dann, man ahnt es, staatliche Unterstützung für den betroffenen Wirtschaftszweig zu fordern.
Es funktioniert immer nach dem gleichen Muster: Kommt zu den bestehenden Schwierigkeiten eine weitere Herausforderung hinzu, verabschiedet sich selbst in einstmals stolzen Branchen der Möglichkeitssinn. Dafür setzt großes Staatsweh ein. Ungewöhnlich ist das auch deshalb, weil dieselben Leute derselben Branchen in wirtschaftlich guten Zeiten stets weniger Staat fordern.
Sind Unternehmerinnen und Unternehmer nicht Menschen, die etwas anfangen, was anderen zu anstrengend, zu ungewiss, zu riskant erscheint? Gehört zum unternehmerischen Können nicht, neue Situationen anzunehmen und Probleme zu lösen? „Alles Leben ist Problemlösen“ heißt ein programmatisches Buch von Karl Popper.
Mit Selbstständigkeit und Eigenverantwortung haben die immer neuen Rufe nach Staatshilfe jedenfalls nichts zu tun. Mitten in der angeblichen Dauerapokalypse scheint Deutschland zur Vollkaskorepublik zu werden. So lassen sich Krisen verwalten, überwinden lassen sie sich nicht.
Schlimmer als in einer Endlosschleife festzuhängen, ist es im Übrigen, zu glauben, in einer Endlosschleife festzuhängen, obwohl man weiß: Es ist gar keine. Es wird tatsächlich alle paar Wochen oder Monate etwas zu einer weiteren Krise heraufbeschworen – dann ruft jemand nach dem Staat und wartet darauf, dass der dann halt mal hilft. Doch der Staat sollte stattdessen seine Hausaufgaben mit ganzer Kraft angehen: Bildung, Infrastruktur und Verwaltung brauchen umfassende Updates.
Erfreulicherweise haben Hollywood-Filme ein Happy End. In „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bleibt alles, wie es ist, bis TV-Wettermann Phil Connors begreift: Dass Wiederholung keineswegs bedeutet, immer wieder das Gleiche zu machen und dabei zu hoffen, dass sich dadurch etwas verbessert. Dass von selbst gar nichts gut wird.
Das ändert alles. Der Bann wird durchbrochen. Die Zeitschleife löst sich auf. Das Leben geht am 3. Februar weiter – und zum Glück nicht nur beim Datum.
Der Autor: Christian Böllhoff ist geschäftsführender Gesellschafter des Basler Forschungsinstituts Prognos.
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