Amerikaner und Europäer erklären, allein Kiew werde über den Zeitpunkt von Verhandlungen mit Moskau entscheiden. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, analysiert Jürgen Trittin.
Der Autor
Jürgen Trittin ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Lange Zeit war die Münchner Sicherheitskonferenz ein Ort kontroverser geostrategischer Diskussionen. Diesmal wurde sie eher nostalgisch als Wehrkundetagung inszeniert, als Selbstvergewisserung eines Westens, den es in Wirklichkeit so nie gab. Das Problem waren nicht etwa die Ausgeladenen wie Russlands Außenminister Sergei Lawrow. Das Problem war die Haltung der Anwesenden. München strotzte vor falscher Selbstgewissheit.
Beispielhaft dafür war die Rede von Kamala Harris. Die US-Vizepräsidentin forderte ein Ende der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen – und verschwieg, dass die USA alle Versuche des Internationalen Strafgerichtshofs blockieren, Verbrechen von US-Amerikanern im Irak und in Afghanistan zu ahnden.
Es ist diese Doppelmoral, mit der die USA und Europa ihre Stellung in der Welt schwächen. Harris betonte vor allem, die USA würden die Ukraine unterstützen „as long as it takes“ – derweil Regierungsvertreter in Washington streuten, Hilfe könne nicht unbegrenzt geleistet werden.
Tatsächlich hat die Debatte, wie lange „long“ ist, längst begonnen. Sie dürfte auch beim jüngsten Gespräch von Kanzler Olaf Scholz mit US-Präsident Joe Biden nicht ausgespart worden sein – zumal China signalisiert, kein Interesse an einem endlosen Krieg zu haben.
Am deutlichsten wird das an jener Stelle in Pekings Positionspapier vom 24. Februar, wo die Sorge um die globalen Lieferketten formuliert wird. Das vom Volkskongress ausgegebene Ziel, die Wirtschaft solle in diesem Jahr um rund fünf Prozent wachsen, hat Vorrang vor der „grenzenlosen“ Freundschaft mit Russland.
Die Versicherung der Amerikaner und Europäer, allein Kiew werde über den Zeitpunkt von Verhandlungen mit Moskau entscheiden, ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn ohne die materielle Hilfe des Westens wären die Geländegewinne der Ukraine unmöglich gewesen, ohne diese Unterstützung könnte die Ukraine dem Zermürbungskrieg Russlands militärisch zu wenig entgegensetzen.
Dass die USA und Europa finanzielle, militärische und humanitäre Hilfe leisten, ist in ihrem ureigenen Sicherheitsinteresse. Denn dem Aggressor Wladimir Putin muss die Lust auf weitere militärische Abenteuer genommen werden. Dennoch ist die Hilfe zumindest aus Sicht der USA und Deutschlands nicht bedingungslos. Bedingung ist, dass die Nato nicht in eine militärische Konfrontation mit Russland gerät und die militärische Unterstützung der Ukraine nur gemeinsam im Bündnis geleistet wird.
Die Hilfe ist offenkundig auch zeitlich begrenzt. Donald Trumps umjubelter Auftritt vor Rechtskonservativen im Bundesstaat Maryland verdeutlicht, dass die US-Republikaner die Unterstützung der Ukraine zu einem Topthema im Wahlkampf machen – die Demokraten wiederum dürften sich kaum dem Vorwurf aussetzen wollen, Geld in der fernen Ukraine zu „verschwenden“, das zu Hause in den USA fehle.
Genau das waren die Signale der US-Administration, die Harris‘ Rede in München flankierten. Beim Fortgang des Krieges wird Biden ein wichtiges Wort mitzureden haben.
All das hat auch Folgen für Deutschland. Einer der Gründe, warum der Kanzler so störrisch auf einer Beteiligung der USA bei der Lieferung von Kampfpanzern beharrt, ist die Gefahr, dass der Trumpismus in den USA wieder an die Macht kommt. Mit „tanks on the ground“ dürfte es den USA zumindest schwerer fallen, komplett aus der Unterstützungsfront für die Ukraine auszuscheren.
Anders als etwa die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht fordert, wird es kein schnelles Ende der Kampfhandlungen geben. Russland hat bereits eine blutige Frühjahrsoffensive angekündigt. Doch mit dem kommenden Herbst werden die USA, China und auch Europa den Druck erhöhen, die Kampfhandlungen zu beenden. Deutschland sollte sich dieser Herausforderung stellen.
Ein Ende der Kampfhandlungen wird es nur unter zwei Voraussetzungen geben: dass Putin militärisch seine Maximalziele nicht erreicht und Russland international isoliert wird, auch von China, Indien, Brasilien und Südafrika. Europa sollte China drängen, die von Peking geforderte Entmilitarisierung der Umgebung des Atomkraftwerks Saporischschja gegenüber Moskau tatsächlich durchzusetzen. Der Export von Getreide aus der Ukraine sollte ebenso intensiviert werden wie der Austausch von Kriegsgefangenen. Brasiliens Angebot, als Vermittler aufzutreten, sollte wahrgenommen und nicht vorschnell abgetan werden.
Das alles wären Schritte zu dem Ziel, über ein Ende der Kampfhandlungen verhandeln zu können – auch wenn dieses Ende noch keinen Waffenstillstand oder gar Friedensvertrag bedeuten würde. Für Deutschland kann ein Ende der Kampfhandlungen nicht das Ende der Hilfe für die Ukraine bedeuten. Die Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien. Solche Garantien und das Heranführen der Ukraine an die EU werden die Europäer und vor allem die Deutschen bezahlen müssen – egal, wer demnächst im Weißen Haus sitzt.
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Jürgen Trittin ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
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