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02.02.2023

10:08

Gastkommentar – Global Challenges

Im westlichen Bündnis drohen neue Bruchstellen

PremiumDie USA stecken in der Schuldenfalle – beim Wiederaufbau der Ukraine wird das die transatlantischen Beziehungen belasten, analysiert Josef Braml.

Der Autor ist European Director der Trilateral Commission. Zuletzt erschien sein Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“. Imago, dgap

Josef Braml

Der Autor ist European Director der Trilateral Commission. Zuletzt erschien sein Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.

Die Kosten des Ukrainekriegs steigen, zugleich begrenzen Coronapandemie und Energiekrise den haushaltspolitischen Spielraum vieler Unterstützerländer. Die Folge dürfte ein transatlantischer Konflikt sein. Denn das ausufernde US-Staatsdefizit und die bevorstehende Anhebung der Schuldenobergrenze haben einen hohen Preis – den werden beim Wiederaufbau der Ukraine die Europäer zahlen müssen.

Die Amerikaner leben seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse. Konnten sie in den 1990er-Jahren nach dem Ende der sowjetischen Bedrohung ihre enormen Militärausgaben noch zurückfahren und von einer „Friedensdividende“ profitieren, änderte sich die Lage seit der Jahrtausendwende grundlegend: Die hohen Aufwendungen für den „Krieg gegen den Terror“, ob im Irak, in Afghanistan und Syrien, wurden überwiegend mit Krediten finanziert.

Das gilt auch für die zivilen Ausgaben zur Überwindung von Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die US-Regierung hat inzwischen einen Schuldenberg von 31 Billionen Dollar aufgetürmt. Künftig wird immer mehr Geld fehlen, um beispielsweise die Kosten für die staatliche Gesundheitsversorgung zu decken, die angesichts der Überalterung der Bevölkerung stark steigen. Außerdem dürfte das Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt die Aufwendungen für das Rentenprogramm Social Security in die Höhe treiben.

Republikaner: Keine Blankoschecks für Kiew

Je weniger Finanzierungsspielraum den USA aber zur Verfügung steht, desto schwieriger wird es, politische Verhandlungslösungen zu finden. Das gilt umso mehr, als dem demokratischen Präsidenten Joe Biden im Repräsentantenhaus eine republikanische Mehrheit gegenübersteht. Deren Führer Kevin McCarthy wird vor allem auf Obstruktion setzen, zumal er in seiner Fraktion vom trumpistischen Flügel abhängig ist. Das zeigten schon die zu seiner Inthronisierung erforderlichen 15 Wahlgänge.

Derzeit erleben die Vereinigten Staaten einmal mehr einen erbitterten Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze. Der harte Kern der republikanischen Fiskalkonservativen wird den drohenden „fiskalischen Abgrund“ nutzen, um die von Präsident Biden und dem demokratisch kontrollierten Senat beabsichtigten Ausgaben massiv zu kürzen – nicht zuletzt für die Ukrainehilfe. Schon im Wahlkampf hatte McCarthy gedroht, Kiew „keine Blankoschecks“ mehr ausstellen zu wollen. Das aber erhöht den finanziellen Druck auf Europa.

Mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Überfall dürfte die Forderung der USA nach „gerechter Lastenteilung“ immer lauter werden. Nachdem die Amerikaner bislang den Großteil der militärischen Hilfe für Kiew gestemmt haben, zeichnet sich ab: Die Europäer werden den Löwenanteil der Wirtschafts- und Wiederaufbauhilfen für die Ukraine finanzieren müssen.

Global Challenges – Idee und regelmäßige Autoren

Global Challenges – die Idee

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben.

Prof. Dr. Ann-Christin Achleitner

Co-Direktorin des Center for Entrepreneurial and Financial Studies (CEFS) an der TU-München und zudem Mitglied in zwei Konzern-Aufsichtsräten

Sigmar Gabriel

Ehemaliger Außen-, Wirtschafts- und Umweltminister und Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V.

Prof. Dr. Veronika Grimm

Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats

Werner Hoyer

Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.

Günther Oettinger

Ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und ehemaliger EU-Kommissar für Haushalt, Digitale Gesellschaft, Wirtschaft, Energie; Präsident von United Europe e.V.

Prof. Jörg Rocholl, PhD

Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT Berlin und stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

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Ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates und Chefökonom des Handelsblatts in Düsseldorf

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Hochschullehrerin für Nationalökonomie an der ETH Zürich und am Singapore ETH-Centre

Jürgen Trittin

Der Grünen-Politiker ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und ehemaliger Bundesumweltminister.

Redaktion

Dr. Michael Brackmann, Bonn

Dabei dürfte der Wiederaufbau des zerstörten Landes mehr als die bislang von der Europäischen Kommission geschätzten 350 Milliarden Dollar kosten – und diese Kosten sind, anders als Teile der EU-Bürokratie meinen, nicht durch beschlagnahmte Vermögenswerte russischer Oligarchen zu begleichen.

Schuldenstreit in der EU

Was also ist zu erwarten? Die Europäische Union könnte sich gezwungen sehen, über das bisherige Covid-19-Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro hinaus gemeinsame Schulden in größerem Umfang auch für das Wirtschafts- und Investitionsprogramm in der Ukraine aufzunehmen. Ein solches Vorgehen aber wäre innerhalb der EU höchst umstritten – die US-Forderung nach „gerechter Lastenteilung“ ist deshalb geeignet, den Spaltpilz in die Europäische Union hineinzutragen und das transatlantische Verhältnis schwer zu belasten.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Erklärungen chinesischer Spitzenpolitiker deuten darauf hin, dass auch die Volksrepublik, einer der größten Wirtschaftspartner der Ukraine, den Wiederaufbau des Landes mit massiven Kredithilfen unterstützen will. Der EU käme das entgegen, schon um die eigenen finanziellen Ressourcen zu schonen. Pekings Strategie, mit Hilfen für die Ukraine gleichzeitig die sino-europäischen Beziehungen zu verbessern, hat also Aussicht auf Erfolg.

Washington würde eine solche Entwicklung ein Dorn im Auge sein. In der Rivalität mit Peking sehen die USA den entscheidenden geopolitischen Konflikt des 21. Jahrhunderts. Entspannung im chinesisch-europäischen Verhältnis läuft somit auf wachsende Spannungen in den transatlantischen Beziehungen hinaus, eine weitere Bruchstelle im westlichen Bündnis.

Die EU wäre gut beraten, diese Spannungen auszuhalten und mehr sicherheits- und wirtschaftspolitische Verantwortung für sich und seine Nachbarn zu übernehmen. Denn klar ist: Nach dem Ende von Wladimir Putins Angriffskrieg wird ein internationales Hilfsprogramm unverzichtbar sein – schon damit sich den Millionen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern eine Perspektive eröffnet, in ihr geschundenes Land zurückzukehren.

Der Autor: Josef Braml ist European Director der Trilateral Commission. Zuletzt erschien sein Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.

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