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11.01.2023

18:37

Gastkommentar – Global Challenges

Warum die Wirtschaft in Ostdeutschland von der Deglobalisierung profitieren könnte

PremiumWas haben Globalisierung und Rechtspopulismus miteinander zu tun? In Zukunft vielleicht nicht mehr so viel, analysiert Dalia Marin.

Dalia Marin lehrt internationale Ökonomie an der TUM School of Management der Technischen Universität München und ist Senior Fellow bei der europäischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel. dpa, Privat

Die Autorin

Dalia Marin lehrt internationale Ökonomie an der TUM School of Management der Technischen Universität München und ist Senior Fellow bei der europäischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel.

Die jüngsten Wahlen in Schweden und Italien zeigen: Der Rechtspopulismus in Europa ist weiter auf dem Vormarsch. Hierzulande hingegen bleiben die Erfolge der Alternative für Deutschland (AfD) begrenzt. Auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik ist die Resilienz gegen sie vergleichsweise stark ausgeprägt, in Ostdeutschland verhält es sich allerdings umgekehrt.

Wie erklärt sich die Diskrepanz? Allgemeiner gefragt: Was haben Globalisierung und Rechtspopulismus miteinander zu tun?

Bevor die AfD 2013 als Anti-Euro- und Anti-Griechenland-Bail-out-Partei auf der politischen Bildfläche erschien, gab es in Deutschland keine erfolgreiche rechtspopulistische Bewegung. Im Unterschied zu anderen reichen Industriestaaten spielte die Globalisierung hier beim Aufstieg des Rechtspopulismus nur eine untergeordnete Rolle – der Anteil des Handels am Bruttoinlandsprodukt steigt schließlich schon seit der Weltfinanzkrise 2008 nicht mehr. Folgerichtig verlagerte die AfD ihren Fokus schnell auf angebliche Überfremdungsgefahren und forderte, Einwanderung zu stoppen.

Vor allem in Ostdeutschland konnte beziehungsweise kann sie damit etwa jeden vierten Wähler gewinnen, in der alten Bundesrepublik hingegen nur rund jeden achten. Die Wurzel für diesen eklatanten Unterschied liegt in der Währungsunion des Jahres 1990, als die westdeutsche Regierung über Nacht den Handel mit Ostdeutschland liberalisierte.

Die DDR-Mark wurde überwiegend im Verhältnis eins zu eins in D-Mark umgerechnet, wodurch die Löhne im Osten auf 70 Prozent des westdeutschen Niveaus stiegen, obwohl die ostdeutsche Produktivität nur 30 Prozent der westdeutschen betrug. Die Konsequenz: Das ostdeutsche verarbeitende Gewerbe ging über Nacht Bankrott, was neben Massenarbeitslosigkeit auch eine Erosion ostdeutschen Selbstwertgefühls auslöste.

Ostdeutschlands geschlossene Wirtschaft

Die Globalisierung spielte beim Ostaufschwung der AfD keine Rolle. Nach dem Fall der Mauer 1989 verwandelte sich Ostdeutschland zunächst in eine geschlossene Wirtschaft, weitgehend abgeschottet vom internationalen Handel, mit zu vernachlässigender Einwanderung. Studien zeigen, dass geringe Einwanderung paradoxerweise Fremdenfeindlichkeit schüren kann. Heute noch liegt die Ausländerquote in Ostdeutschland deutlich niedriger als in Westdeutschland. Dieser Provinzialismus bietet einen günstigen Nährboden für die extreme Rechte.

Global Challenges – Idee und regelmäßige Autoren

Global Challenges – die Idee

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben.

Prof. Dr. Ann-Christin Achleitner

Co-Direktorin des Center for Entrepreneurial and Financial Studies (CEFS) an der TU-München und zudem Mitglied in zwei Konzern-Aufsichtsräten

Sigmar Gabriel

Ehemaliger Außen-, Wirtschafts- und Umweltminister und Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V.

Prof. Dr. Veronika Grimm

Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats

Werner Hoyer

Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.

Günther Oettinger

Ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und ehemaliger EU-Kommissar für Haushalt, Digitale Gesellschaft, Wirtschaft, Energie; Präsident von United Europe e.V.

Prof. Jörg Rocholl, PhD

Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT Berlin und stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Prof. Dr. Bert Rürup

Ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates und Chefökonom des Handelsblatts in Düsseldorf

Prof. Dr. Renate Schubert

Hochschullehrerin für Nationalökonomie an der ETH Zürich und am Singapore ETH-Centre

Jürgen Trittin

Der Grünen-Politiker ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und ehemaliger Bundesumweltminister.

Redaktion

Dr. Michael Brackmann, Bonn

Anders als in Deutschland erklärt sich der Erfolg des Rechtspopulismus in Europa und des Trumpismus in den USA vor allem aus Globalisierungs-Effekten. Der „China-Schock“ beispielsweise – die Volksrepublik war 2001 in die Welthandelsorganisation aufgenommen worden – führte vor allem im verarbeitenden Gewerbe der USA zu Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen.

Dort waren und sind einheimische Hersteller viel stärker chinesischem Importwettbewerb ausgesetzt, als das in Deutschland der Fall ist. So stieg in den USA die Importkonkurrenz in den Jahren 2000 bis 2010 um 25 Prozentpunkte, in Deutschland waren es nur 14 Prozentpunkte.

Außerdem konnte Deutschland den Effekt steigender chinesischer Einfuhren durch verstärkte Ausfuhren in die Volksrepublik kompensieren. Die deutschen Exporte nach China haben sich seit der Weltfinanzkrise fast verdreifacht, eine derartige Steigerung kann kein anderes Land vorweisen. Chinesen lieben deutsche Produktqualität.

Hinzu kommt, dass bei deutschen Importen aus China beispielsweise Textilien stark vertreten sind, Waren also, die zuvor aus anderen Billigmärkten importiert wurden. Arbeitsplätze gingen so vor allem in Ländern wie Griechenland und der Türkei verloren, was den dortigen rechtspopulistischen Kräften kräftig Auftrieb gab.

Schwere Zeiten für die AfD?

Auch in Deutschland profitierten nicht alle Menschen von der Globalisierung. Die Androhung der Arbeitgeber, Produktion nach Osteuropa zu verlagern, schwächte die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, was zu einem Rückgang der Lohnstückkosten um 30 Prozent zwischen 1995 und 2012 führte. Kein anderes europäisches Land verzeichnete einen derartigen Rückgang.

Die Globalisierung ist seit der Pandemie und dem Ukrainekrieg auf dem Rückzug. Unternehmen in Deutschland und Europa reagieren auf die gestiegene Unsicherheit mit der Rückverlagerung und Diversifikation von Produktion. Die von der öffentlichen Hand unterstützte Diversifizierungsstrategie Europas eröffnet die Chance, dass sich auch die ostdeutsche Region reindustrialisiert und zu einem Kraftzentrum für grüne Technologie entwickelt.

Statt ressentimentgeladenem Provinzialismus könnte das zukunftsweisende Perspektiven eröffnen. Der AfD stünden dann wohl schwere Zeiten bevor.
Die Autorin:
Dalia Marin lehrt internationale Ökonomie an der TUM School of Management der Technischen Universität München und ist Senior Fellow bei der europäischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel.

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