PremiumDie Geschichte der Kommunistische Partei Chinas ist eng mit dem Wiederaufstieg des Landes verbunden. Mythos, Macht und Monopol einer hundertjährigen Partei analysiert Jürgen Trittin.
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Jürgen Trittin ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Er war Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und in der Regierung von Gerhard Schröder Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Bild: dpa, Montage
„Im Juli 1921“, so Mao Zedong, gründete sich in Schanghai die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Weshalb die heute über 90 Millionen Mitglieder und rund 1,4 Milliarden Einwohner*innen Chinas am 1. Juli den 100. Geburtstag der KPCh feiern.
Die Geschichte der Partei ist eng mit dem Wiederaufstieg Chinas verbunden – und nicht zu verstehen ohne die Demütigungen der Kolonialzeit. Zu den Kolonialmächten zählte auch das deutsche Kaiserreich. Wilhelm II. forderte 1900 bei der Verabschiedung der Truppen zur Niederschlagung des Boxeraufstands in seiner berüchtigten Hunnenrede, „dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen“.
Die Schmach der Kolonialzeit Chinas, das zuvor eine der größten Mächte der Welt war, fand in der japanischen Besetzung ihren blutigen Höhepunkt. Beim Massaker von Nanjing wurden 1937 bis zu 300.000 Menschen massakriert, vorwiegend Zivilisten.
Die KPCh hatte sich mit dem Ziel gegründet, die koloniale Unterdrückung zu überwinden. Sie war eine nationale Befreiungsbewegung, die sich dank Unterstützung der Landbevölkerung im Bürgerkrieg 1949 gegen die Nationalisten um Chiang Kai-shek durchsetzte.
Seitdem ist die KPCh im Besitz der politischen Macht, wobei die Akzeptanz ihrer Herrschaft den Vergleich mit anderen politischen Systemen nicht scheuen muss. Obwohl Meinungsfreiheit, Demokratie und Gewaltenteilung in China aggressiv bekämpft werden, belegen internationale vergleichende Umfragen ein hohes Maß an Zufriedenheit der Bevölkerung mit Partei und Regierung.
Wie konnte das einer Partei gelingen, die während des Großen Sprungs nach vorn von 1958 bis 1961 für mindestens 15 Millionen Tote verantwortlich ist, andere Schätzungen gehen sogar von 55 Millionen Toten aus? Warum ist die Herrschaft der KPCh nach der Implosion des Warschauer Pakts nicht genauso zusammengebrochen wie in anderen kommunistischen Staaten?
Die Antwort: Chinas politische Führung hat sich früh vom sowjetischen Weg emanzipiert, politisch wie ökonomisch. Deng Xiaopings Öffnungspolitik markierte 1978 den endgültigen Wendepunkt. Es war nicht nur eine Politik der Öffnung zum Westen, die ja schon Mao eingeleitet hatte.
Deng sorgte auch, fast ein Jahrzehnt vor Michail Gorbatschow in der Sowjetunion, für die ökonomische Öffnung Chinas hin zu einem von der Partei gesteuerten Staatskapitalismus. Damit legte er den Grundstein für eine umfassende Legitimation der Herrschaft der Partei.
Der Primat der Politik und das Machtmonopol der Partei wurden gewaltsam bei der blutigen Niederschlagung des friedlichen Aufstandes am Tian’anmen-Platz 1989 verteidigt. Der Unterdrückung der Demokratiebewegung steht allerdings die beispiellose Überwindung der Armut gegenüber. Seit 1978 wurden mehr als 850 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Pünktlich zum 100. Jubiläum der KPCh feiert Staats- und Parteichef Xi Jinping auch die „Überwindung der absoluten Armut“.
Make China great again! Dieser Mythos hat in der der nationalen Befreiung von 1949 und der ökonomischen Entwicklung seit 1978 seine Grundlage. Auf dieser Basis erhebt die KPCh bis heute erfolgreich ihren Anspruch auf das Monopol der Macht.
Wenn die Europäische Union China heute als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ ansieht, hat sie diese Erzählung in Rechnung zu stellen. Westliche Ideen, der Handel werde zu einem Wandel des politischen Systems führen, haben sich als naive Illusion erwiesen.
Unter Xi Jinping gilt dies erst recht. Chinas Entwicklung von der Werkbank der Welt zu größten Volkswirtschaft nach den USA, die von Xi angestrebte Führerschaft bei Schlüsseltechnologien und seine geoökonomische Expansionsstrategie gehen einher mit dem Ausbau autoritärer Herrschaft und massiver Überwachung im Innern.
Rule by Law ist eben noch kein Rule of Law. Chinas wirtschaftliches Ausgreifen auf Afrika, Zentralasien und auch Europa im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ sowie Pekings militärische Expansion im Südchinesischen Meer können jedoch die strukturellen Herausforderungen im Inneren nicht überdecken.
Chinas Gesellschaft droht nach Jahrzehnten der Ein-Kind-Politik dramatisch zu überaltern, ein Problem, das durch die neue Drei-Kinder-Politik kaum entschärft werden dürfte. Das Sozialsystem ist ebenso wenig solide finanziert wie der Bildungssektor. Hohe ökonomische Risiken bergen auch die Staatsverschuldung von fast 300 Prozent des Bruttoinlandprodukts und der überschuldete Bankensektor.
All dies kann die Akzeptanz der KPCh-Herrschaft trotz großer Erfolge bei der Corona-Bekämpfung infrage stellen. Deshalb nimmt der Kontrollwahn der Partei weiter zu.
Der Mangel an internationaler Verlässlichkeit in Hongkong, die Nichtachtung internationaler Schiedssprüche zum Südchinesischen Meer, der Umgang mit Schuldnern in Asien, Afrika und auf dem Balkan – inzwischen streben immer mehr Länder ein gemeinsames Bündnis gegen China an. Xi scheint mittlerweile klar zu werden, dass Pekings neuer, ostentativer Großmachtanspruch auch kontraproduktiv sein kann. So pfiff er seine Wolfs-Diplomaten öffentlich zurück und forderte ein „höflicheres“ Auftreten nach außen.
Ob es ihm damit ernst ist, oder es sich um bloße Kosmetik handelt, bleibt vorerst offen. Auf die EU-Sanktionen gegen vier Verantwortliche für die Repression in Xinjiang jedenfalls reagierte Peking so hart, dass die Ratifizierung des Investitionsabkommens mit Europa auf Eis liegt.
Außerdem beschloss Peking ein neues Anti-Sanktionsgesetz, das ausländische Investoren in China bedroht. Unternehmen werden künftig für die Handlungen ihrer Regierungen in Haftung genommen.
In Honkong hat Xi Dengs Grundsatz „Ein Land – zwei Systeme“ schon kassiert. In der KPCh tobt ein Streit zwischen denen, die an der Weltmarktorientierung festhalten wollen und jenen, die auf die Größe eines autarken China und seiner Satelliten setzen. Der aktuelle Fünfjahresplan befriedete den Konflikt mit dem Formelkompromiss der Dual Circle Economy.
Die Reideologisierung der KPCh im hundertsten Jahr ihres Bestehens reflektiert die erfolgreiche Politik, China wieder zu alter Größe zu führen – und gefährdet sie zugleich. Es scheint, als habe die Partei mit der personalisierten Ausrichtung auf Xi und dessen lebenslange Herrschaft ihren Vorteil gegenüber anderen, gescheiterten kommunistischen Parteien verloren. In den Zeiten kollektiver Führung nach der Mao-Ära zählte gerade die Fähigkeit, Fehler zu korrigieren, zu den großen Stärken der Partei.
Dennoch dürfte das Machtmonopol der KPCh auf absehbare Zeit nicht infrage gestellt werden. China ist systemischer Rivale des demokratischen Kapitalismus. Und es ist ein harter, oft unfairer Wettbewerber.
Doch wer effektive Klimapolitik betreiben will, wer die globale Corona-Rezession überwinden und weltweit Armut bekämpfen will, kommt heute an China und seiner KP nicht vorbei. Das hätten Mao und seine Genoss*innen 1921 in Schanghai wohl kaum zu träumen gewagt.
Der Autor: Jürgen Trittin ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Er war Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und in der Regierung von Gerhard Schröder Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
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