Per Gesetzesänderung wettbewerbliche Defizite aufholen: Will da ein Großkonzern auf Kosten aller den Wettbewerb durch eine Regulierung ersetzen?
Kaum eine Zeit hat mehr Regulierung gesehen. Notgesetze gegen das Ausbreiten der Pandemie, unübersehbare Notverordnungen aller 16 Landesregierungen und ordnungsrechtliche Anordnungen der Kommunen prägen diese Tage. Jetzt wird die zweite Welle starten, die Privilegien für besondere Branchen schafft, Subventionen an die Empfänger bringt, wirtschaftliches Leben trotz Pandemie ermöglicht. Da sollte man meinen, es wären alle Regulierer gut beschäftigt.
Umso verwunderter reibt man sich die Augen, wenn man die neuesten Regulierungsideen in der Telekommunikation ansieht. Die Umlagefähigkeit des Kabelanschlusses in Mehrfamilienhäusern lautet das Stichwort. Der ziemlich ungewöhnliche Plan, mit dem sich ein Wettbewerber Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit sichern will, wurde in den Hinterzimmern eines Bonner Telekommunikationskonzerns erdacht.
Bereits seit Jahren versucht man mit sehr unbefriedigendem Erfolg im Geschäft bei Kabelfernsehanschlüssen mit der Wohnungswirtschaft Fuß zu fassen und einen schlagkräftigen bundesweiten Kabelnetzanbieter zu verhindern. Beides ist bisher nicht gelungen. Mit der Fusion von Unitymedia und Vodafone ist ein ernstzunehmender bundesweiter Wettbewerber entstanden. Beides ärgert die Deutsche Telekom.
Daher wurde jetzt der Versuch gestartet, die so genannte „Umlagefähigkeit von TV Basis-Anschlüssen“ für alle Kabelnetzbetreiber abzuschaffen. Also die Möglichkeit von Wohnungsgesellschaften, ihren Mietern per Großhandelsvertrag mit Telekommunikationsunternehmen über die Abrechnung in den monatlichen Nebenkosten ihr Fernsehen als Grundversorgungspaket günstigst anzubieten.
Nutzer zahlen aktuell dadurch weniger als die Hälfte des marktüblichen Betrags, der bei einem Einzelnutzervertrag anfällt. Wohlgemerkt für ihr Fernsehen, denn der Breitbandanschluss wird – anders als es manche derzeit glauben machen wollen, nicht über die Betriebskosten umgelegt.
Das Ganze geht nur so günstig, weil die Vertragsunternehmen aus der Telekommunikationswirtschaft sichergehen können, aufgrund von langfristig laufenden Mehrnutzerverträgen ihre Investitionen wieder zurückzuverdienen. Und weil die Wohnungsgesellschaften bislang hier die Vertrags- und Endkundenbeziehung zu ihren Mietern übernehmen – und damit von den Telkos entsprechende Rabatte an ihre Mieter weitergeben können.
Eben weil sich alle Mieter daran beteiligen. Genau wie sich im Übrigen bislang der eher vermögende Gartengrundstück-Mieter aus solidarischen Gründen an den Nebenkosten am Aufzug beteiligt. Damit die Seniorin in der vierten Etage nicht die Treppe gehen muss.
Das lange Jahre gut funktionierende System soll wohl mit Hilfe des Bundeswirtschaftsministeriums jetzt also kippen. Die nächste Novelle des Telekommunikationsgesetzes steht vor der Tür. Dort soll – geht es nach dem Willen der hinten liegenden Wettbewerber – die besagte Umlagefähigkeit abgeschafft, also quasi der Solidarpakt für den „digitalen Aufzug“ aufgekündigt und Millionen Mieter künftig einzeln teurer abgerechnet werden.
Mit der Folge, dass sie für den TV-Empfang jährlich über 100 Euro mehr zu zahlen hätten, so das Ergebnis einer Studie des Branchenverbandes ANGA. Die Rentnerin, die alleinerziehende Mutter oder der Vater, der seine Familie von Hartz IV ernähren müssen, wären dabei auch noch besonders betroffen.
Wahrscheinlich war bei der Geburtsstunde dieser Idee gar nicht richtig bewusst, dass gerade Empfänger von Versorgungsleistungen ihren TV-Anschluss damit nicht mehr in den Nebenkosten bezahlt bekämen, sondern ab sofort von ihrem Regelsatz begleichen müssten.
Am Ende wäre also für all diese noch weniger vom knappen Netto übrig. Auch die rund 6 Millionen in den Häusern der Wohnungswirtschaft lebenden Rentnerinnen und Rentner würden künftig mehr zahlen müssen.
Diese neue und überflüssige Regulierung träfe zusätzlich viele sehr kleine Kabelnetzbetreiber so hart, dass deren Weiterbestand keinesfalls gesichert ist. Eine Reduktion des Wettbewerbs als Nebeneffekt wird da wohl hingenommen – auch wenn das mitten in der Krise weitere Jobs kosten wird.
Warum diese Attacke auf einen funktionierenden Markt? Eben dieser Wettbewerb, behauptet die Deutsche Telekom, sei bisher nicht frei gewesen – und die Kunden würden am Ende „zwangsbeglückt“.
Denn aufgrund der besagten Umlagefähigkeit der Wohnungsgesellschaften käme sie mit ihren angeblich besseren Angeboten nicht in die Wohnungen der Mieter. Das ist natürlich falsch – schafft aber auf den ersten Blick einen positiven Eindruck.
Prüfen Sie selbst nach, sollten Sie zur Miete wohnen: Meist im Flur werden Sie in der Regel eine DSL-Buchse der Telekom finden. Mit ihren 40 Millionen DSL-Buchsen in Deutschland ist die Telekom nach wie vor auch in Mietwohnungen als ehemaliger Monopolist fast überall vertreten.
Für welches Telekommunikationsunternehmen sich nun der Vermieter als Großhandelspartner entscheidet, welche TV-Produkte er seinen Mietern günstiger anbietet, ist im Grunde die alleinige Vertragsfreiheit des Eigentümers. Ihn durch gute Angebote und Preise für seine Vermieter zu gewinnen, ist eben Sache des Wettbewerbs. In manchen Fällen gewinnt hier die Telekom. In anderen gewinnen ihre Wettbewerber. Und beides ist gut so.
Vielleicht würde die Deutsche Telekom ja sehr erfolgreich sein, würde sie – wie Vodafone und andere Wettbewerber – die im Haus befindlichen Kabel an die Wohnungsbaugesellschaft übertragen und nicht als einer der ganz wenigen Anbieter darauf bestehen, die Kabel in den Häusern in ihrem Eigentum zu halten.
Übrigens: Wenn man das System der Umlagefähigkeit beendet, dann wird auch die Versorgung mit öffentlich-rechtlichen Inhalten potentiell geschwächt und vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender werden Reichweiten verlieren. Gerade in der Corona Krise zeigte sich, dass seriöse und gesicherte Information ein wesentlicher Faktor ist.
Eine alte Politiker-Regel lautet: „Löse kein Problem, das keiner kennt“. Schon dagegen wird hier verstoßen. Schlimmer noch, es gibt kein Problem, es sei denn, man hält den mäßigen Erfolg eines teilweise im Staatsbesitz stehenden Wettbewerbs für ein solches Problem. Ist der Preis des um ca. 100 Euro jährlich teureren Kabelfernsehens für sehr viele Menschen wirklich der richtige Weg?
Der beabsichtigte massive Eingriff in den Wettbewerb schafft nur ein ineffizienteres und vor allem teureres System für viele. Das bisherige System der TV Grundversorgung in der Wohnungswirtschaft sollte so bleiben wie es ist. Denn es ist gut so und hat sich bewährt.
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