PremiumStill und leise wurden neue Auflagen für nachhaltiges Wirtschaften eingeführt. Wenn Unternehmen das nicht ernst nehmen, drohen empfindliche Strafen.
Verena Ritter-Döring
Verena Ritter-Döring ist Partnerin bei Curtis, Mallet-Prevost, Colt & Mosle LLP und hat in internationalen Kanzleien in Frankfurt und London gearbeitet. Die Expertin im Finanzaufsichtsrecht (Bankaufsichtsrecht und Investmentrecht) berät Finanzmarktakteure bei der Regulierungs-Umsetzung und gegenüber der BaFin und der EZB.
Wer liest schon EU-Verordnungen? Doch die im Juli in Kraft getretene „EU-Taxonomie-Verordnung“ zu übersehen könnte böse enden: Unternehmen laufen Gefahr, beim Thema „ESG“ ahnungslos in existenzgefährdende Skandale zu geraten. „ESG – Environmental, Social, Governance“ ist bislang ein Nischenthema der Wirtschaft. Das wird sich ändern.
Schließlich machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der Union mehr als deutlich, dass es der EU-Kommission sehr ernst ist mit dem „European Green Deal“. Was für ein Irrtum, derlei als große Worte, ohne allzu konkret zu werden, abzutun!
Es wird nämlich längst konkret. Schon im Dezember 2019 trat die Transparenzverordnung der EU in Kraft, deren offizieller Name „Verordnung (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor“ so spröde wie eindeutig ist: Finanzdienstleister wie Anlageberater müssen (!) demnächst Auskunft darüber geben, in welchem Maß ihre Produkte nachhaltig sind. Enthält das Paket also etwa Aktien eines Unternehmens, das ein grünes Tochterunternehmen hat, wird der entsprechende Anteil ausgewiesen.
Damit derlei überhaupt korrekt beziffert werden kann, wurde in diesem Sommer eine weitere EU-Richtlinie überarbeitet, die große gelistete Unternehmen dazu verpflichtet, künftig präzisere ESG-Daten vorzulegen. Der grüne Anteil kann auch bei null Prozent liegen, aber damit weckt man beim Kunden eher null Interesse. Nachhaltige Aktien liegen unbestritten im Trend. Die Nachfrage ist derzeit größer als das Angebot. Insofern werden die Anbieter lieber zu viel als zu wenig grünen Anteil ausweisen.
Damit auch überall „ESG“ drin ist, wo „ESG“ draufsteht, hat die EU nun neben die Transparenz- noch eine Taxonomie-Verordnung gestellt. Die gibt sehr präzise Kriterien an die Hand, um Nachhaltigkeit bei Umweltthemen zu bewerten. Die Kriterien für Soziales und Governance fehlen noch, sind aber bereits in Arbeit.
Detaillierte Informationen zu negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen und entsprechenden Gegenmaßnahmen müssen – je nach Unternehmensgröße früher oder später – auf der Webseite, in Jahresberichten oder Kundeninformationen veröffentlicht werden. Wer also demnächst Immobilienfonds verkaufen will, muss auch über die (fehlende?) Nachhaltigkeit der Bauweise informieren.
Auf leisen Sohlen wird hier also eine Produkttransparenz gesetzlich verankert, welche nicht nur die Finanzbranche, sondern die gesamte Industrie zu einem radikal veränderten Berichtswesen zwingt. Nach und nach werden Versicherungen, Banken und in ihrem Gefolge auch Fonds ihre Risiko-Rentabilität-Abwägung neu vornehmen und dann die Unternehmen auf diese geänderte Bewertung reagieren müssen.
Die Übergangsfristen sind deswegen nur scheinbar großzügig bemessen. Schließlich muss man die angebotenen Produkte erst einmal gründlich auf „grüne“ Anteile hin durchleuchten.
Das neue Risikobewusstsein braucht eine neue Strategie, eine Umstellung braucht neue interne Prozesse. So etwas dauert bekanntlich. Und nicht zu vergessen: Die erforderlichen Daten müssen eine entsprechende Qualität haben, nämlich relevant, verlässlich und vergleichbar sein. Ganz sicher werden neue Datenanbieter auf den Markt kommen; aber ganz sicher wird derlei Zeit brauchen.
Die Banken beklagen schon heute einen Mangel an verlässlichen Daten. Insofern sind die ein bis zwei Jahre, die als Übergangsfrist gewährt wurden, nur ein Wimpernschlag im Wirtschaftsalltag. Natürlich kann man versuchen, sich mit cleverer Vogel-Strauß-Politik über die Zeit zu retten. Doch das ist eine gefährliche Wette. Denn Greenwashing, also Pseudo-ESG-Lösungen, dürfte teuer werden.
Zwar droht (noch) kein unmittelbares Bußgeld, aber die Bedeutsamkeit von ESG-Themen wächst in der Öffentlichkeit rapide. Vernachlässigte Klimarisiken schlagen sich als Reputationsrisiken in der Bilanz nieder. Fehlerhafte Kommunikation führt schnell zum Skandal. „Ökogate“ ist kein erstrebenswertes Etikett. Misstrauen ist keine gute Geschäftsgrundlage. Der Ausweg: dringend in die Transparenz investieren, aber noch dringender in unternehmerische Nachhaltigkeit.
ESG ist kein Smalltalk-Thema mehr, sondern erfordert konkreten Handlungsbedarf. Die Regelungen mögen leise dahergekommen sein. Doch die Ernsthaftigkeit ist nicht zu übersehen: Solch strikte und klare Regulierung in Bezug auf Nachhaltigkeit gab es noch nie. Es wäre fatal, sie zu ignorieren.
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