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15.03.2023

08:06

Gastkommentar

Wir müssen heute die Proteine der Zukunft fördern

Andere Länder investieren bereits in moderne Proteine als Fleischersatz. Deutschland sollte den Anschluss dabei nicht verpassen, mahnen Renate Künast und Godo Röben.

Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied des Bundestags und ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Godo Röben ist Berater und Investor. Bis 2021 war er Geschäftsführer des Lebensmittelherstellers Rügenwalder Mühle.

Die Autoren

Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied des Bundestags und ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Godo Röben ist Berater und Investor. Bis 2021 war er Geschäftsführer des Lebensmittelherstellers Rügenwalder Mühle.

Bald werden neben jedem Steak und Käse kaum davon unterscheidbare Produkte aus pflanzlichen oder alternativen Proteinen liegen. Wer durch Supermärkte geht, kann diese Zukunft bereits erahnen. Mit jedem Jahr wird das Angebot breiter, die Zutatenlisten kürzer, die Inhaltsstoffe regionaler, Geschmack und Textur besser.

In den USA und Israel, auch in den Niederlanden und Dänemark liegt bereits Aufbruchsstimmung in der Luft. Die Niederlande bauen mit mehr als 60 Millionen Euro ein Ökosystem für moderne Proteine auf, Dänemark investiert in den nächsten Jahren fast 300 Millionen Euro in die Proteinwende.

Und das als größter Schweinefleisch-Exporteur Europas. Wie Saudi-Arabien sich auf das Nach-Öl-Zeitalter vorbereitet, plant Dänemark eine Zukunft, in der immer weniger tierische Produkte gegessen werden. Die 300 Millionen wären auf Deutschland übertragen eine Investition von etwa drei Milliarden Euro.

Oder schauen wir nach Singapur: Der Stadtstaat plant, bis 2030 mindestens 30 Prozent der benötigten Lebensmittel im eigenen Land herzustellen, um unabhängiger vom volatilen Weltmarkt zu werden. Im Jahr 2020 wurde dort die weltweit erste Zulassung für kultiviertes Fleisch erteilt, indem die regulatorischen Rahmenbedingungen auf neue Proteine, aber auch klassische pflanzliche Produkte, ausgerichtet wurden.

Der Wandel findet überall statt: in Supermärkten, Kantinen, Mensen und Restaurants oder auch beim Angrillen. Sogar bei der Deutschen Bahn hat die vegane Currywurst ihren Platz gefunden.

Zielgruppe macht mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus

Die Nachfrage ist da, etwa ein Prozent der Bevölkerung isst vegan, sieben Prozent vegetarisch. Wichtiger sind die fast 45 Prozent Menschen, die sich als Flexitarierinnen und Flexitarier bezeichnen. Heißt: Die Zielgruppe für diese Produkte macht mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Bei einigen Unternehmen, die traditionell für Wurst und Buletten standen, ist schon bis zu 60 Prozent ihres Umsatzes vegan.

Klug beraten ist, wer diesen Wandel erkennt und sich auf den Weg macht. Der Landwirtschaft, dem Handwerk, Verarbeitern oder auch Start-ups sollen Perspektiven eröffnet werden.

Eine gesunde Ernährung und regionale Wertschöpfung braucht übrigens auch mehr Anbau von Gemüse und Hülsenfrüchten. In alten Schweineställen etwa können künftig in größerem Stil Pilze gezüchtet werden.

Regionale Verarbeitung, Lebensmittelhandwerk sowie der Bau von Fermentern und verarbeitenden Maschinen müssen für diese Entwicklung unterstützt werden, weil Wertschöpfung im ländlichen Raum verbleiben soll. Hierzu braucht es Forschung und Entwicklung, die über die bisherige Eiweißpflanzenstrategie der Bundesregierung hinausgeht.

Wir brauchen einen „New Protein Deal“

Eine neue Strategie könnte „Proteine der Zukunft“ heißen. Sie braucht die Zusammenarbeit staatlicher und nicht staatlicher Akteure, von Behörden und Unternehmen, von Universitäten und NGOs. Kompetenz muss zusammengebunden und entwickelt werden.

Wir sollten mehr Forschung für neue und gesunde Produkte (inklusive der Risikoforschung) sowie die technischen Verfahren zu deren Produktion unterstützen und die Ergebnisse als Open Access auch anderen zur Verfügung stellen.

Wirtschaftsförderung und Rechtsrahmen müssen Antworten auf viele Fragen geben. Dazu gehören: Ist die Förderung ausreichend auf (Aus-)Gründung von Food-Start-ups eingestellt? Haben wir regionale Wertschöpfungsketten hinreichend im Sinn? Wie werden Test-Verkostungen für neuartige Lebensmittel unter der Novel-Food-Verordnung durchführbar? Wie können wir Landwirtschaft und Industrie bei diesem Wandel unterstützen?

Es braucht eine Transformationsbegleitung und einen „New Protein Deal“. Denn es geht um viele Arbeitsplätze und verzahnte Lieferketten, gerade auch auf dem Land. Es geht auch um die menschliche Gesundheit, um Tierschutz, effiziente Nutzung von Ressourcen.

Unser Ziel ist, bei dieser Entwicklung vorn dabei zu sein. Fehler der Vergangenheit, als wir neue Entwicklungen aus Angst vor Veränderung ignoriert haben – etwa den Stopp des Glasfaserausbaus zugunsten des Kabelfernsehens –, müssen uns Mahnung sein.

Als in den USA das Silicon Valley zum Nukleus von Hightech-Firmen wurde, haben wir den Wettbewerb verschlafen und müssen jetzt mit der Übermacht der großen amerikanischen Konzerne umgehen. Im Gegensatz dazu haben wir heute die Chance, Perspektiven für Landwirtschaft, Handwerk und Industrie zu geben, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Gleichzeitig helfen wir bei der Erreichung gesellschaftlicher Ziele wie etwa den Schutz von Klima und Tieren.

Wer über die Neuausrichtung des Ernährungssystems reden und Perspektiven schaffen will, kann nicht nur über den Umbau der Tierhaltung reden. Pflanzliche und alternative Proteine gehören zwingend dazu.

Die Autoren: Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied des Bundestags und ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.
Godo Röben ist Berater und Investor. Bis 2021 war er Geschäftsführer des Lebensmittelherstellers Rügenwalder Mühle.

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