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01.05.2020

09:14

Kommentar

Rentner müssen an den wirtschaftlichen Kosten der Coronakrise beteiligt werden

Von: Bert Rürup

Bisher orientiert sich die Entwicklung der Renten an den Durchschnittslöhnen. Jetzt rächen sich rentenpolitische Fehler der jüngsten Vergangenheit.

Rentner müssen an den wirtschaftlichen Kosten der Coronakrise beteiligt werden dpa

Älteres Paar im Kurpark

Wegen der Lohnentwicklungen der vergangenen Jahre werden die Renten steigen.

Die weltweiten Maßnahmen zur Begrenzung der Corona-Pandemie lassen die deutsche Volkswirtschaft gegenwärtig in eine tiefe Rezession stürzen. Zudem reißen die Rettungsschirme und Ausgabenprogramme der Bundesregierung gigantische Löcher in die Staatskasse.

Auch wenn es heute noch kein Politiker zu sagen wagt: Diese Krise wird für alle Deutschen sehr teuer. Der absehbare Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung von bis zu zehn Prozent wird im Schnitt jeden Einwohner Deutschlands um die 4.000 Euro ärmer machen.

Sobald die deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat und zurück auf einem Wachstumspfad ist, wird es sicher zu Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen kommen. Je nach Konstellation der nächsten Bundesregierung dürften lediglich die Schwerpunkte der zwingend gebotenen Konsolidierung ein Stück weit variieren.

Die Zeit der sich aus einem hohen und stabilen Wirtschaftswachstum scheinbar von selbst finanzierenden Wahlgeschenke wird auf eine längere Frist vorbei sein.

Dieser haushaltswirtschaftliche Kurswechsel betrifft auch die jetzigen und zukünftigen Rentner, die von der amtierenden und vorherigen Großen Koalition mit klientelspezifischen Wohltaten beglückt wurden.

Dank des äußerst beschäftigungsintensiven Aufschwungs im vergangenen Jahrzehnt schienen „Mütterrente“, „Rente ab 63“, „doppelte Haltelinien“ und die „Grundrente“ leicht finanzierbar. Es genügte scheinbar, auf sonst mögliche Beitragssenkungen zu verzichten.

Tatsächlich stellen diese Leistungsverbesserungen jedoch eine teure Hypothek dar, deren Bedienung durch die Folgen der Corona-Rezession deutlich erschwert wird. So verursachen die Festschreibung der Beitragssatzobergrenze bei 20 Prozent und des Mindestsicherungsniveaus bei 48 Prozent bis zur Mitte dieses Jahrzehnts gravierende verteilungspolitische Verwerfungen.

Grundsätzlich folgen die Renten der Lohnentwicklung. Weil sie aber per Gesetz nicht sinken dürfen, sind auch bei sinkenden Löhnen nur dauerhafte Erhöhungen des Rentenniveaus möglich. Genau dies ist jetzt der Fall.

Denn in diesem Jahr werden die Pro-Kopf-Löhne in Folge weit verbreiteter Kurzarbeit sinken, während die Renten als Folge der kräftigen Lohnerhöhung im vergangenen Jahr deutlich angehoben werden. Dies zeigt, dass es 2018 ein Fehler war, ausgefallene Rentenkürzungen bei vorangegangenen Lohnsenkungen nicht mehr in Form abgeflachter Rentenerhöhungen nachholen zu müssen.

Das Zusammenwirken von Beitragsobergrenze und Mindestsicherungsniveau mit einer abgeschwächten Wirtschaftsdynamik wird unweigerlich zu einem höheren Bundeszuschuss an die Rentenversicherung führen und im Konflikt zu den Konsolidierungszwängen stehen, die aus den kreditfinanzierten Rettungspaketen resultieren.

Den Blick nach Österreich richten

Wenn ein immer größerer Anteil des Steueraufkommens für die Rente reserviert ist und gleichzeitig die Corona-Schulden zurückgeführt werden sollen, bleibt nur noch ein geringer Anteil des Budgets für Zukunftsaufgaben übrig. Investitionen in Digitalisierung, Umweltschutz und Zukunftstechnologien werden zurückstehen müssen – eine fatale Entwicklung!

Nun besteht Rentenpolitik stets im Nachjustieren von Reglungen an sich ändernde Rahmenbedingungen und Gerechtigkeitsvorstellungen. Daher hat sie sich in den Dekaden als recht anpassungsfähig erwiesen; einige Fehler konnten ausgebessert werden.

Es steht dem Gesetzgeber also auch heute frei, eine mutmaßlich ungewollte Begünstigung der Rentner ebenso zu korrigieren, wie Schwächen bei der in Sache überfälligen Grundrente zu beseitigen.

Zudem könnte ein Blick nach Österreich zeigen, wie das Rentenniveau für Neurentner spürbar angehoben und vor allem Geringverdiener, die oft eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung haben, begünstigt werden könnten – ohne dass damit insgesamt höhere Kosten verbunden sein müssen. In Österreich orientieren sich die Rentenanpassungen nicht an der Entwicklung der Löhne, sondern an der der Verbraucherpreise.

Diese Inflationsindexierung sichert die Kaufkraft jeder Rente auf Dauer, beteiligt die Bezieher aber nicht an Reallohnsteigerungen als Folge des Produktivitätswachstums. Dieses geringere Ausgabenwachstum schafft Spielraum, um das Rentenniveau anzuheben, die Staatskassen zu entlasten und damit auch mehr Geld zur Verbesserung des Wachstumspotenzials bereitzustellen.

Eins ist nämlich klar: Die rasche Erholung von der Rezession 2009 und der sich anschließende lange Aufschwung waren nicht zuletzt auch deshalb möglich, weil Deutschland von einer demografischen Pause profitierte.

Diese geht nun zu Ende; schon bald setzt ein zwei Dekaden andauernder Alterungsschub ein, der das Wachstumspotenzial nahe Null drücken wird. Umso wichtiger wird es für die Politik, alsbald für wachstumsfreundlichere Rahmenbedingungen zu sorgen.

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01.05.2020, 09:35 Uhr

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