Nichts ist schlimmer als die Krise, die droht. Doch inzwischen bin ich auf so vieles vorbereitet, dass es fast eine Enttäuschung ist, dass alles ganz glimpflich für mich läuft.
Der Autor
Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Nun war man ganz und gar auf ein Krisenjahr eingestellt, hatte sich eingedeckt mit Wärmflaschen, Alpaka-Socken und extradicken Decken – und dann soll es nun gar nicht so schlimm kommen? In den vergangenen Wochen kamen immer mehr verwirrende, fast verstörende Positivnachrichten.
Zum Beispiel ist die Teuerungsrate abgeflacht. Man hatte sich schon auf Verhältnisse der 1920er-Jahre eingestellt, mit galoppierender Inflation. Und nun soll es gar nicht soooo viel teurer werden? Ich habe mein Konto abgeräumt, um nur jeden erdenklichen Quatsch zu kaufen, bevor man für das Geld nichts mehr bekommt – und nun soll das alles nichts gewesen sein?
Was mache ich jetzt mit all den Paletten Dosentomaten und den Säcken Nudeln, die ich eigens angeschafft hatte in der Annahme, sie würden bald unbezahlbar sein? Es ist nicht einmal eine Gasnotlage eingetreten, dabei hatte ich mich schon darauf eingestellt, dass ich mein Mobiliar zerhacken und verfeuern müsste, wenn der Winter klirrekalt würde. Er war aber gemütlich warm bislang, der Winter.
Es wurde davon berichtet, dass es wahrscheinlich zu einem Blackout kommen würde. Ich habe natürlich einen großen, großen Vorrat an Kerzen gesammelt, damit ein bisschen Licht den Weg in die dunklen Hallen findet.
Ein Blackout, so flüsterte mir ein Bekannter, der bei den Stadtwerken arbeitet, hätte in meiner Stadt schlimme Konsequenzen. Dann würde nämlich das Trinkwassersystem ausfallen, weil die Pumpen nicht mehr funktionierten.
Ich habe deswegen eigens einen Filter gekauft, der mir erlauben würde, schlammiges Flusswasser zu filtrieren, um meine Säcke mit Nudeln zu kochen. Ich hätte dieses Wasser überdies verkaufen können, kanisterweise, und zwar zu Höchstpreisen, die am nächsten Tag schon von noch höheren Höchstpreisen abgelöst würden – selbstverständlich wegen der galoppierenden Inflation.
Ich war einigermaßen gut auf die Katastrophe vorbereitet – und nun wird sie einfach abgesagt? Es ist zu hören, es werde sogar mit einem leichten Wachstum gerechnet. Wachstum finde ich in diesem Zusammenhang schon fast eine Frechheit.
Es wird also alles irgendwie weitergehen, wie es die ganze Zeit irgendwie weitergegangen ist, mein Wasserfilter wird im Keller auf die Katastrophe warten, und ich habe mich ganz umsonst gefürchtet. Wir rechnen so oft mit dem Schlimmsten, dass es fast eine Enttäuschung ist, wenn es glimpflich ausgeht.
Das Schlimmste an 2023 wird vielleicht sein, dass es bei mir nun jeden Tag Nudeln mit Tomatensoße geben wird. Aber wenigstens kann ich dabei nun ganz viele romantische Kerzchen anmachen und es mir gemütlich machen. Und auf irgendeine Katastrophe kann man ja immer warten. Das Jahr ist noch lang.
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