Auf der Videoplattform ist es zum Trend geworden, den Arbeitsplatz zum Wohlfühlort zu verklären. Besseres Marketing können sich Unternehmen nicht wünschen – doch womöglich verlangen.
Der Autor
Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
In der „New York Times“ habe ich gelesen, dass Tiktok-Creators, so nennt man die Leute, die auf der Social-Media-Plattform regelmäßig kleine Filme veröffentlichen, ein neues Betätigungsfeld gefunden haben: ihren Arbeitsplatz.
Sie filmen im Büro, zeigen Teesorten in der Teeküche oder den Wasserspender. Und natürlich die schöne Aussicht aus dem Bürofenster. Auch der Weg zur Arbeit ist offenbar etwas Besonderes. Das schöne Licht am Morgen, die Bäume am Straßenrand: Mit dem richtigen Videofilter kann dann auch ein etwas öder Bürojob wirken wie ein Yoga-Retreat.
Arbeit ist nun etwas Romantisches, Achtsames. Und wenn du ein Tiktok-Creator bist, dann kannst du auch die dampfende Tasse Tee neben der Tastatur so filmen, dass man meint, den Dunst der weiten Welt einzuatmen.
Das macht Arbeitgebern das Leben natürlich etwas einfacher. Früher mussten sie Image-Videos drehen. Es wurden perfekt ausgeleuchtete Büroräume in imposanten Kamerafahrten gezeigt, und das Ganze wurde mit jeder Menge Staffage versehen und natürlich rasanter Musik.
Wenn Arbeitgeber zeigen wollten, was für ein tolles Unternehmen sie sind, dann präsentierten sie nicht einfach den Wasserspender im Büro, sondern die großen Regale in Logistikzentren, ihre weltweit einmaligen Bagger oder sonst was Beeindruckendes, meist Großes.
Der Arbeitnehmer sollte das Gefühl haben, dass er mit einem Anstellungsverhältnis Teil von etwas sehr Mächtigen wird, das ihm selbst eine glorreiche Zukunft verspricht. Eigentlich sahen die Unternehmen gar nicht aus wie Unternehmen, sondern wie große gesellschaftliche Bewegungen, getrieben von Träumen und Idealen.
Es konnte einem ganz schwindelig werden bei diesen Videos, musste man sich doch fragen, ob man denn selbst genügend Träume und Ideale hat, um in so einer Welt überhaupt mithalten zu können. Was, wenn man einfach jemand ist, die oder der gern Excel-Tabellen ausfüllt und Termineinladungen verschickt?
Da ist es doch viel, viel besser, wenn Arbeitnehmer selbst Videos davon aufnehmen, wie erfüllend ein Job im Büro sein kann, und darauf aufmerksam machen, wie toll das Licht um 16 Uhr durch die westliche Glasfront fällt und welch schönen Schatten die Büropflanzen dann an die Wand werfen.
Würde das andere nicht viel eher dazu ermutigen, sich für einen Job dort zu bewerben, als irgendwelche Recruiting-Videos? Wie die Büropflanze hat aber auch das eine Schattenseite. Ein gutes Video zu drehen ist nun der beste Weg, sich als Angestellter bei den Chefs beliebt zu machen. Jetzt, wo Unternehmen wissen, wie sie Tiktok nutzen können – durch ihre Mitarbeiter –, wird schnell der Druck steigen.
Man wird dann beim Personalgespräch fragen, warum eigentlich noch kein Fan-Video gepostet wurde. Schnell werden alle Mitarbeiter zum Smartphone greifen, wenn der wöchentliche Obstkorb angeliefert wird. Hoffentlich kommt dann jemand noch dazu zu arbeiten.
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