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20.02.2023

09:23

Gastkommentar – Homo oeconomicus

Wir sollten uns auf dauerhaft höhere Zinsen und Kosten einstellen

Der Weltwirtschaft droht nach wie vor eine Rezession. Aber die Zinsen und Kosten werden dabei nicht so schnell sinken wie früher, prognostiziert Lena Sellgren.

Lena Sellgren ist Chefvolkswirtin von Business Sweden. Business Sweden

Lena Sellgren

Lena Sellgren ist Chefvolkswirtin von Business Sweden.

Die Rückkehr Chinas in den Welthandel bedeutet hoffentlich ein Ende des menschlichen Leids und der wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch die Pandemie ausgelöst wurden. Doch wie wir vor etwa einem Jahr, als Russland in die Ukraine einmarschierte, erfahren mussten, sind schockierende Überraschungen oft nicht weit entfernt.

Was die Pandemie anbelangt, so hat die Weltwirtschaft relativ gut abgeschnitten. Die negativen Auswirkungen waren weniger schwerwiegend als ursprünglich erwartet und der Welthandel erreichte bereits Ende des Jahres 2020 wieder das Vorkrisenniveau. Doch der Krieg in der Ukraine verursachte sowohl neue Unterbrechungen der Lieferketten als auch eine Energiekrise in Europa.

Heute sind die kurzfristigen Aussichten nach wie vor mit vielen Abwärtsrisiken behaftet. Weitere geopolitische Konflikte, anhaltende Inflation und strenge Gegenmaßnahmen der Zentralbanken – all dies deutet auf einige Probleme für die Finanzmärkte hin. Gleichzeitig erholen sich die Vertrauensindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex. Aber könnte das eine falsche Hoffnung sein?

Der Welthandel ist nach Beginn des Ukrainekriegs so stark eingebrochen wie Anfang 2020. Sollte sich die Geschichte wiederholen, könnte uns nicht nur eine Verlangsamung, sondern eine Rezession bevorstehen. Es besteht kein Zweifel, dass 2020 ein Ausreißerjahr war. Einige Analysten sind aber der Meinung, dass dennoch eine Rezession kommen könnte.

Zentralbanken stehen vor schwierigem Balanceakt

Unsere Fähigkeit, uns anzupassen, wird hoffentlich eine „sanfte Landung“ ermöglichen, bei der sich die Konjunktur zwar eintrübt, eine Rezession aber ausbleibt. Die Weltwirtschaft hat sich als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet, und die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig.

Definition: Was ist eine Rezession?

Rezession im eigentlichen Sinn

Im üblichen Konjunkturschema ist die Rezession der Abschwung nach einem wirtschaftlichen Boom. Das Schema zeigt jetzt aber eigentlich einen Aufschwung an, nachdem die meisten Folgen der Coronapandemie vorüber sein sollten. IfW-Vizepräsident Stefan Kooths hält Rezession daher aktuell nicht für den passenden Begriff: „Es bestehen weiterhin wichtige Auftriebskräfte, die für einen fortgesetzten Aufschwung sprechen.“

Technische Rezession: Wirtschaftswachstum

Eine populäre technische Definition der Rezession ist hingegen, dass eine Volkswirtschaft zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung vorweist. Daran ist Deutschland aktuell noch knapp vorbeigeschlittert. Im vierten Quartal 2021 hatten die Auswirkungen der Pandemie für ein Minus von 0,3 Prozent gesorgt, im ersten Vierteljahr 2023 stand dann ein leichtes Plus von 0,2 Prozent.

Technische Rezession: Wirtschaftsauslastung

Die führenden Institute definieren eine Rezession etwas komplizierter: Sie stellen die Frage, wie hoch die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Optimalfall wäre, wenn also alle Arbeiter und Maschinen genau wie vorgesehen genutzt würden. Das ist das sogenannte Produktionspotenzial. Ist die Wirtschaft wie aktuell in der Krise, produziert sie weniger, als sie laut Potenzial eigentlich könnte. Steigt diese Unterauslastung zwei Quartale in Folge an, sprechen die Institute von einer technischen Rezession.

Eine solche hat schon ein Dreivierteljahr lang vorgelegen, vom dritten Quartal 2021 bis zum ersten Quartal 2022. Laut den Institutsprognosen nimmt die Unterauslastung seitdem aber wieder ab, ab 2023 soll sich Deutschland dann sogar in einer Überauslastung wiederfinden.

Die Inflation steigt zwar nicht mehr so stark an, muss aber noch deutlich zurückgehen, bevor die Zentralbanken die Leitzinsen senken können.

Außerdem sind die tatsächlichen Auswirkungen von Zinserhöhungen noch nicht zu erkennen. In der Regel dauert es zwölf bis 18 Monate, bis die Auswirkungen in vollem Umfang auf die Wirtschaft durchschlagen.

Die Zentralbanken stehen eindeutig vor einem schwierigen Balanceakt. Sie müssen dafür sorgen, dass die Inflation zurückgeht, ohne die Nachfrage zu stark zu dämpfen, was langfristig die Arbeitslosigkeit erhöht.

Die Zentralbanken müssen dafür sorgen, dass die Inflation zurückgeht, ohne die Nachfrage zu stark zu dämpfen, was langfristig die Arbeitslosigkeit erhöht. dpa

EZB in Frankfurt am Main

Die Zentralbanken müssen dafür sorgen, dass die Inflation zurückgeht, ohne die Nachfrage zu stark zu dämpfen, was langfristig die Arbeitslosigkeit erhöht.

Internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds und die OECD gehen davon aus, dass die Inflation in Europa und den USA in den nächsten zwei Jahren auf das Inflationsziel von zwei Prozent zurückgehen wird.

Auch wenn die Zentralbanken bereit sein werden, ihre Leitzinsen zu senken, ist die lange Ära der niedrigen Zinsen, die wir seit der globalen Finanzkrise erlebt haben, nun endgültig vorbei.

Alle müssen sich auf eine neue wirtschaftliche Ära einstellen, in der höhere Kosten und Zinssätze die Norm sind. Und wenn wir uns alle daran gewöhnt haben, wird die Nachfrage wieder anziehen. Es geht nur darum, eine weitere Periode des Wandels zu überstehen.

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