Weltweit spekulierten Millionen Menschen plötzlich tagelang über einen angeblichen Militärputsch in China. Was hinter der Falschnachricht steckte.
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Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Mitte September: Falschnachrichten über einen angeblichen Putsch gegen den mächtigen chinesischen Führer verbreiteten sich rasch.
Bild: dpa
Berlin Es hätte die wichtigste Nachricht des Jahres sein können: Chinas allmächtiger Staats- und Parteichef Xi Jinping soll unter Hausarrest stehen, festgenommen vom eigenen Militärapparat, dem er selbst als oberster Befehlshaber vorsteht. Weltweit wurden gefälschte Beweise für den angeblichen Putsch millionenfach über die sozialen Netzwerke geteilt.
Dabei war China-Beobachtern am vergangenen Wochenende bereits innerhalb von Minuten klar: An dem vermeintlichen Coup ist „nix dran“. Nur die wenigsten deutschen Nachrichtenseiten berichteten über die Gerüchte, weil sie schlicht und einfach nicht stimmten.
Doch auf den sozialen Netzwerken hielt sich die Nachricht über den angeblichen Militärputsch unter anderem unter dem Hashtag „China Coup“ trotzdem hartnäckig und verbreitete sich tagelang immer weiter. Der Vorfall ist ein Lehrstück darüber, wie schnell sich über die sozialen Netzwerke haltlose Behauptungen multiplizieren – vor allem, wenn sie aus einem so intransparenten Land kommen wie China.
Begonnen hatte alles am Freitag. Laut einer Analyse von Mark Owen Jones, der zu digitaler Desinformation an der Hamad bin Khalifa University in Katar forscht, stammten die meisten der Tweets zu dem angeblichen Putsch gegen Xi Jinping zu diesem Zeitpunkt aus Indien und Nigeria.
Twitter-Accounts afrikanischer Herkunft nutzten die Aufmerksamkeit für den Hashtag #Chinacoup demnach auch dazu, um darunter völlig zusammenhanglose Tweets mit Werbung zu verbreiten. Manche Analysten des Hypes weisen zudem darauf hin, dass Medien, die von der religiösen Vereinigung Falun Gong unterstützt werden, bei der Verbreitung der Falschnachricht eine Rolle spielten.
Offenbar gab es bereits Tage vor dem großen Hype einen Tweet in chinesischer Sprache, der über einen Militärputsch spekulierte, weil angeblich 60 Prozent der Flüge in China gecancelt wurden. Weitere angebliche Beweise für den Putsch waren schnell erfunden. Einer davon lautete: Xi Jinping wurde nach dem Ende seiner Auslandsreise nach Usbekistan Mitte September nicht wieder in der Öffentlichkeit gesehen – da stimmt doch etwas nicht!
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Die Bloggerin Jennifer Zeng postete am Freitag in einem tausendfach geteilten Beitrag auf Twitter ein Video von einem angeblich 80 Kilometer langen Militärkonvoi nahe Peking. Am nächsten Tag stellte Zeng unter Berufung auf „jemanden, der die Familie eines Generals der Kommunistischen Partei Chinas kennt“ klar, dass die Gerüchte nicht stimmten.
Die Geschichte bescherte Zeng dennoch zahlreiche Zuschauer auf ihrem Youtube-Kanal: Mehr als 150.000 Menschen sahen ihr Video zu dem angeblichen Putsch. Ein großer Erfolg für Zeng – in der Regel sehen ihre Videos, die sie unter dem Titel „Eine unbequeme Wahrheit“ verbreitet, nur ein paar Tausend Menschen, selten mehr als 10.000.
Zahlreiche Twitter-Nutzer posteten zudem Videos von einer Explosion, die angeblich in Peking aufgenommen wurde. Tatsächlich stammten sie jedoch von einer Detonation in einem Industriekomplex in der nahegelegenen chinesischen Hafenstadt Tianjin im Jahr 2015.
Der Vorfall zeigt, wie einfach sich eine Falschnachricht verbreitet – selbst, wenn es sich um ein solch riesiges Ereignis wie den Sturz des mächtigen chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping handelt. Er zeigt aber noch etwas anderes: nämlich, wie abgeschottet die chinesische Staatsführung und China als Ganzes sind.
Kaum jemand aus der westlichen Welt hat noch Zugang zur obersten Parteispitze. Gerade um den Parteitag am 16. Oktober, an dem sich Xi Jinping eine historisch erstmalige dritte Amtszeit sichern will, ist die Geheimniskrämerei groß – Gerüchte fallen so auf fruchtbaren Boden.
Nur kurz vor der Verbreitung über den angeblichen Putsch hatte es mehrere Festnahmen und Verurteilungen hochrangiger Regierungsvertreter gegeben. „Das Gerücht, Xi Jinping sei verhaftet worden, hat Beine, weil dies ein so sensibler politischer Moment in China ist“, schrieb Drew Thompson, Visiting Senior Research Fellow an der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore, auf Twitter. Die jüngsten Prozesse und Verurteilungen gegen langjährige hochrangige Beamte schafften eine Atmosphäre wie in einem Hexenkessel, so Thompson.
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