Asia Techonomics
In der wöchentlichen Kolumne schreiben wir im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Bild: Klawe Rzeczy
Der Alltag in China ist durchdigitalisiert – aber Deutschland hat technologisch aufgeholt. Ein persönlicher Vergleich nach drei Jahren in der Volksrepublik.
Berlin Es ist ein Schock, als ich das erste Mal nach drei Jahren wieder in Deutschland einkaufen gehe. Mit Karte oder bar? Fragt mich die Verkäuferin. Mit Karte, sage ich. Ich lege meine Kreditkarte auf das Lesegerät, fertig. Noch nicht einmal eine Geheimnummer muss ich eingeben. Und das bei einem Betrag von ein paar Euro!
Das gleiche im Café, im Restaurant und beim Asia-Laden um die Ecke. Nur beim Baumarkt meckert die Verkäuferin, ob ich die 17 Euro nicht in bar bezahlen könnte – da ist es, das Deutschland, das ich kenne.
Nach drei Jahren, in denen ich aufgrund der strengen Einreisebestimmungen in China nur einmal kurz Mitte 2021 in Deutschland war, kommt mir das Land insgesamt ein großes Stück weiter bei der Digitalisierung vor – nicht nur beim Bezahlen. Vielleicht täuscht mein Eindruck, vielleicht war es auch vorher schon möglich, digital zu bezahlen. Aber mir fällt es auf.
Klar, es ist nicht zu vergleichen mit China, wo ich meist mit WeChat bezahlt habe und auch die Rechnung nach einem gemeinsamen Essen über die Messenger-App geteilt wurde.
Aber in Sachen Bequemlichkeit gefällt mir die deutsche Variante genauso gut. Um Rechnungen zu teilen, fragen mich meine Freunde jetzt: Hast du Paypal? Hinzu kommt: In Deutschland gibt es den Vorteil, dass ich auch problemlos bar zahlen kann, wenn ich das will.
Digitales Bezahlen in China
Wer in Peking bar bezahlen will, bekommt oft böse Blicke zugeworfen.
Bild: Reuters
Zwar ist in China sogar gesetzlich vorgeschrieben, dass man weiterhin auch mit Papiergeld zahlen können muss – doch wenn man es versucht, strafen einen die Verkäuferinnen mit bösen Blicken. Oft muss man warten, weil das Wechselgeld erst vom Nachbarladen geliehen werden muss.
Die Pandemie war und ist eine Katastrophe, aber zumindest etwas Gutes scheint sie gebracht zu haben, so mein Eindruck: Sie hat Deutschland bei der Digitalisierung vorangebracht.
Auch beim individuellen Transport hat sich in Berlin einiges getan. Mir fehlt am Anfang mein Fahrrad, es ist noch im Container auf dem Weg von China nach Deutschland. Ich schaue mich um: Überall in Berlin stehen nun diese kleinen Elektroroller. Ich habe es eilig und fürchte bereits, dass es tagelang dauern wird, bis ich auf der App freigeschaltet bin und einen der Roller ausleihen kann.
Als ich es trotzdem versuche, bin ich erneut angenehm überrascht: Innerhalb von Minuten kann ich den QR-Code scannen und einfach losfahren. Das ist sogar deutlich bequemer als in China, wo man erst die richtigen Bezahl-Apps auf dem Handy haben muss. Berlin hat zudem deutlich mehr Auto-Sharing-Angebote, Elektromotorroller und -fahrräder zum Leihen sieht man auch überall.
Auch der Stand der Digitalisierung der Behörden überrascht mich. Die Anmeldung meiner Hunde bei der Steuer erledige ich online. Parkausweis? Auch da geht der Antrag digital raus. Gut, es wird wahrscheinlich im Fall des Parkausweises mehrere Wochen dauern, bis ich die Ausnahmegenehmigung in den Händen halte. Und die Dienstleistungen, die ich nachfrage, sind natürlich auch nicht so komplex wie etwa die Beantragung von Elterngeld. Aber man freut sich ja schon über die kleinen Dinge.
Auch ansonsten läuft gefühlt deutlich mehr digital als noch vor drei Jahren. Die Eintrittskarte für die Documenta in Kassel bestelle ich online, die Gebühr für den Parkplatz bezahle ich per SMS. Kinotickets, Bahnfahrschein, selbst das Neun-Euro-Ticket – alles klappt online.
Etwas, das ich sofort in Deutschland vermisse, ist der stark ausgeprägte Dienstleistungssektor, den es in China gibt. Für alles hatte ich dort einen WeChat-Kontakt: Wollte ich frische Blumen, schrieb ich meinem Blumenverkäufer eine Nachricht, der dann wenige Stunden später einen Strauß vorbeibrachte.
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Hatte eine Freundin in der Stadt vergessen, mir ein Buch zurückzugeben, schickte sie einen Kurier. Wenn ich Geschenkband oder einen Bilderrahmen kaufen wollte, machte ich mir gar nicht erst die Mühe, in ein Geschäft zu gehen, sondern versank lieber für Stunden in der endlosen Taobao-Mall online und ließ mir die passende Ware liefern.
Und ich war nicht die einzige: In Peking und Schanghai wimmelt es nur so von Lieferfahrern, die von einem Becher Kaffee bis zum Reiskocher alles bringen.
Lieferfahrer warten in Peking auf ihre Bestellungen
Schlecht bezahlte Lieferanten gehören in chinesischen Städten zum Alltag.
Bild: AP
Möglich ist dieses riesige Angebot an Dienstleistungen, weil das Einkommensgefälle in China so enorm ist. Erste Regel als Teilnehmer im Straßenverkehr in China: Wenn ein Lieferfahrer auf seinem Elektroroller an dir vorbeiflitzt: Lass ihn vorbei! Denn die Unternehmen bezahlen ihre Mitarbeiter nach der Anzahl der Auslieferungen.
In Deutschland gibt es zwar auch Dienstleistungen im Internet – unsere neue Dogwalkerin haben wir über ein Onlineportal gefunden –, aber doch deutlich weniger als in der Volksrepublik.
Hinter dem enormen Erfolg und der Verbreitung von Apps in China steckt eben häufig der riesige Niedrigstlohnsektor. Der Nachahmbedarf für Deutschland ist da gering.
Bei einem gibt es aber keine Ausreden: In Städten wie Shenzhen sind sowohl die Bus- als auch die Taxiflotte längst durchelektrifiziert. In Deutschland hingegen fahren selbst in einer Großstadt wie Berlin noch immer kaum Elektroautos, die öffentlichen Busse knattern noch mit Dieselmotor durch die Straßen. Da könnte sich Deutschland ruhig etwas abschauen.
In der Kolumne Asia Techonomics kommentieren Nicole Bastian, Sabine Gusbeth, Dana Heide, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel Innovations- und Wirtschaftstrends in der dynamischsten Region der Welt.
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