Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

11.01.2023

11:00

Interpol-Abzocke

Ein Youtuber rächt deutsche Opfer des Online-Betrugs

Von: Mathias Peer

PremiumDie Interpol-Betrugsmasche sorgte in Deutschland und Österreich für Schaden. Dass mutmaßliche Hintermänner in Indien gefasst wurden, ist nicht nur der Polizei zu verdanken.

Halbleiter, Chip Klawe Rzeczy

Asia Techonomics

In der wöchentlichen Kolumne schreiben wir im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.

Bangkok Bedrohlich klingende Anrufe haben im vergangenen Jahr deutschlandweit für Unruhe gesorgt: „Guten Tag, hier ist Interpol“, ist auf der Bandansage auf Englisch zu hören, die Kriminelle ihren Opfern vorspielten. „Ihre Identität wird für betrügerische Zwecke missbraucht. Für mehr Informationen drücken Sie bitte die Eins.“ Wer der Aufforderung folgte, setzte damit eine Betrugsmaschine in Gang, die im schlimmsten Fall sehr teuer werden konnte.

Vermeintliche Polizisten, die sich wahlweise als Europol-, Interpol- oder Bundespolizeibeamte ausgaben, forderten am anderen Ende der Telefonleitung die Angerufenen dazu auf, ihr Konto leer zu räumen, um das Geld angeblich in Sicherheit zu bringen, etwa in Form von Bitcoins.

In Wirklichkeit schickten sie es unwissend an die Täter. Allein in Deutschland sind mehrere Fälle dokumentiert, in denen ausgetrickste Personen so Zehntausende Euro verloren haben.

Inzwischen ist klar, wer hinter der Betrugsmasche steckt: Verantwortlich – zumindest für einen Teil der Fälle – ist Ermittlern zufolge ein Callcenter in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, von dem aus weltweiter Telefonbetrug begangen wurde. Das teilte Mitte November das Bundeskriminalamt in Österreich mit – ein Land, das ebenfalls im Visier der Kriminellen stand.

Gemeinsam mit der Polizeibehörde Interpol und indischen Kollegen sei es den österreichischen Ermittlern gelungen, die groß angelegte Betrugsoperation der „falschen Polizisten“ zu zerschlagen. Zwei mutmaßliche Hintermänner wurden in Indien festgenommen.

Das Eigenlob der Ermittler hat ein Geschmäckle

Cybergestützter Betrug habe seit dem Beginn der Coronapandemie drastisch zugenommen, sagte Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock anlässlich des Falls. Die Kriminellen hätten hart verdiente Ersparnisse erbeutet und die schwächsten Teile der Gesellschaft ins Visier genommen, fügte er hinzu. „Die außergewöhnliche polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Österreich und Indien in diesem Fall zeigt, dass kein Krimineller außerhalb der Reichweite des globalen Netzwerks von Interpol liegt.“

Das Eigenlob der Ermittler hat aber ein Geschmäckle: Denn die Grundlage für den Erfolg gegen die Betrüger lieferte nicht etwa mühsame Polizeiarbeit, sondern die Expertise selbsternannter Betrugsjäger.

Dem britischen IT-Experten Jim Browning, der seine Privatermittlungen gegen die Online-Betrugsindustrie auf einem Youtube-Kanal mit vier Millionen Abonnenten dokumentiert, gelang es, sich in das indische Callcenter zu hacken und dessen Lage in der indischen Hauptstadt exakt zu verorten.

Er konnte dabei nachvollziehen, wie die Betrüger gezielt deutsche und österreichische Staatsbürger ins Visier nahmen. Browning schickte seine Erkenntnisse an die Behörden in Wien und machte den länderübergreifenden Polizeieinsatz damit möglich.

Ohne Browning und seine Mitstreiter wären die Betrüger wahrscheinlich noch am Werk: Viel zu selten finden internationale Strafverfolger einen Ansatzpunkt, um gegen die riesigen Online-Betrugsnetzwerke vorzugehen, die sich in Indien ausgebreitet haben.

Das 1,4 Milliarden Einwohner große Land zählt seit Jahren zu den Weltmarktführern des Internetbetrugs. Bereits 2017 führten Sicherheitsforscher 85 Prozent der sogenannten Tech-Support-Betrugsmaschen auf Betrüger in Indien zurück.

Dabei wird Internetnutzern unter anderem vorgegaukelt, sie hätten sich auf ihrer Hardware ein Virus eingefangen. Gegen eine Zahlung versprechen die vermeintlichen Helfer eine Lösung.

Indische Behörden sehen oft keine Handhabe gegen die Betrüger

Bei der Methode stehen besonders US-Amerikaner im Visier. Die amerikanische Bundespolizei FBI schätzt, dass im vergangenen Jahr mit solchen und ähnlichen Internetbetrugsmaschen mehr als zehn Milliarden Dollar erbeutet wurden – rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr.

Ein großer Teil der Täter wird in Indien vermutet, wo sich betrügerische Callcenter zwischen die Vielzahl seriöser Outsourcing-Unternehmen mischen, die für ausländische Konzerne den Kundendienst übernehmen.

Cybergestützter Betrug habe seit dem Beginn der Coronapandemie drastisch zugenommen, sagte Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock dpa

Interpol

Cybergestützter Betrug habe seit dem Beginn der Coronapandemie drastisch zugenommen, sagte Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock

Ermittlungserfolge gegen sie sind rar – indische Behörden sehen oft keine Handhabe, weil es schwer ist, die Täter mit konkreten Betrugsfällen im Ausland in Verbindung zu bringen. Fliegen Betrüger doch auf, dann zeigen sich meist gewaltige Ausmaße.

Kurz vor Weihnachten nahmen Behörden in den USA, Kanada und in Indien fünf Personen fest, die laut Anklageschrift mithilfe indischer Callcenter mehr als 20.000 Opfer um mindestens zehn Millionen Dollar gebracht haben sollen. Die mutmaßlichen Täter sollen ihre Masche über ein Jahrzehnt lang ungehindert betrieben haben.

Das FBI will nun mit einem in Indien speziell für die Bekämpfung der Betrugsindustrie abgestellten Beamten gegen das boomende Geschäft der Cyberkriminellen vorgehen.

Auch deutsche Strafverfolger wären gut beraten, mit ihren indischen Kollegen künftig enger zusammenzuarbeiten, um den Betrugssumpf trockenzulegen. Lösen lassen sich die grenzüberschreitenden Fälle nur mit internationaler Kooperation – und mit technischer Expertise. Da können die internationalen Ermittler auch von Youtubern etwas lernen.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×