Der US-Präsident sagte Europa bei seinem jüngsten Besuch militärischen Schutz zu. Das transatlantische Bündnis steht. Die Frage ist nur: für wie lange?
Joe Biden mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen
Der US-Präsident machte bei seinem Besuch in Brüssel klar: Die USA stehen im Ukrainekrieg hinter Europa.
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Brüssel Am Ende mussten ihn seine Berater fast abführen: Joe Biden, so schien es, wollte Brüssel gar nicht mehr verlassen. Erst mit erheblicher Verspätung hob die Air Force One am Freitag ab, um den US-Präsidenten nach Polen zu bringen, der zweiten Station seiner Europavisite.
Biden fühlte sich im Kreis der engsten Bündnispartner erkennbar wohl. Er vermeldete eine weitere Stärkung der Nato, sagte die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge zu, hob einen Energiepakt mit der EU aus der Taufe – keine schlechte Bilanz für einen zweitägigen Besuch. Und doch lag eine gewisse Melancholie über den Beratungen in Brüssel.
So vertrauensvoll die transatlantische Zusammenarbeit derzeit auch ist, das Trauma der Trump-Jahre wirkt nach. Die Sorge vor dem, was Europa bevorsteht, wenn der 79-jährige Biden eines womöglich nicht ganz fernen Tages aus dem Amt scheidet, wird in Brüssel zwar öffentlich nicht artikuliert, ist aber überall zu spüren.
„America is back“, hatte Biden bei seinem Amtsantritt verkündet. Nach anfänglichen Irritationen erweist sich die Bündnispflege jetzt als Grundprinzip seiner Außenpolitik. Das Gezerre um die Verteilung der Corona-Impfstoffe ist in Vergessenheit geraten, die Verbitterung über die Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban in den Hintergrund gerückt.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine den Krieg nach Europa zurückgebracht, im Moment der Bedrohung schließen Europäer und Amerikaner die Reihen. Das transatlantische Bündnis steht. Die Frage ist nur: für wie lange?
„Biden liebt Europa“, sagen seine Berater – das macht ihn in der amerikanischen Spitzenpolitik fast schon zu einem Unikat. Die Regierung von George W. Bush überwarf sich im Streit über den Irak-Krieg mit Europa. Barack Obama, zunächst von den Europäern umjubelt, beschwerte sich bald über die Trittbrettfahrerei der Alliierten, pflegte ein distanziertes, emotionsloses Verhältnis zur EU. Donald Trump schließlich erklärte Europa zum ökonomischen Gegner, zettelte einen Wirtschaftskrieg an und stand kurz davor, die Nato zu sprengen.
Biden mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel
Den Diplomaten in Brüssel grault es vor einer Rückkehr Donald Trumps.
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Das Gedankenspiel, wie prekär die Lage Europas wäre, wenn der US-Präsident jetzt nicht Biden, sondern Trump hieße, lässt selbst erfahrene EU-Diplomaten erschaudern. Nur weil die Europäer die Amerikaner an ihrer Seite wissen, können sie es wagen, sich der russischen Aggression mit harten Wirtschaftssanktionen und umfangreichen Waffenlieferungen entgegenzustellen. Amerikas militärische Überlegenheit schreckt Russland ab, ohne den Schutzschirm der USA wäre Europa aufgeschmissen.
Sicher: Auch mit Biden gibt es Reibereien. Biden wäre nicht Biden, wenn er sich keine rhetorischen Fehltritte leisten würde, Kommunikationsdisziplin war noch nie seine Sache. Die Schlagzeile, die von der Europareise in Erinnerung bleibt, ist Bidens Ausruf, dass Putin „nicht an der Macht bleiben“ dürfe. Dass der Amerikaner den russischen Präsidenten zudem noch einen „Schlächter“ nannte, wirkt Bemühungen in Berlin und Paris entgegen, Putin auf diplomatischem Weg davon zu überzeugen, seine Aggression einzustellen.
Grundsätzlich aber wissen die Europäer, dass sie sich auf Biden verlassen können. Der US-Präsident nutzte seine Reise, um den Westen auf einen „Kampf zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung“ einzuschwören. In dieser Auseinandersetzung stehen die USA und die EU eindeutig auf derselben Seite.
>>Lesen Sie hier: Joe Biden hat seine Rolle gefunden: Als Europas bester Mann
Was die Europäer hingegen nicht wissen, ist, ob auch die nächste US-Regierung bereit ist, die Rolle als Führungsnation der demokratischen Welt auszufüllen. Trump liebäugelt mit einer erneuten Kandidatur. Seine Chancen, ins Weiße Haus zurückzukehren, stehen nicht schlecht, wie Umfragen zeigen. Der Isolationismus ist zu einer ernst zu nehmenden politischen Strömung in den USA geworden.
Die Sicherheitssituation der Europäer hat sich mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dramatisch verschlechtert – und sie würde noch viel schlechter werden, wenn die Amerikaner das Interesse verlieren, als Schutzmacht Europas zu agieren. Auf dieses Szenario muss sich die EU vorbereiten. Sie muss militärisch selbstständiger werden. Nicht um sich von Amerika zu lösen oder der Nato Konkurrenz zu machen, sondern um gewappnet zu sein, wenn sich die USA aus innenpolitischen Gründen von Europa abwenden.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. In zweieinhalb Jahren findet in den USA die nächste Präsidentschaftswahl statt.
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