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01.02.2022

11:48

Europa-Kolumne

Wie bessere Wärmedämmung Deutschlands Russland-Dilemma lösen könnte

Von: Moritz Koch

Die Abhängigkeit von russischem Gas schränkt Europas außenpolitischen Handlungsspielraum ein. Unabhängig kann die EU nur werden, wenn sie weniger Energie verbraucht. 

Europa-Kolumne: Die EU verliert Rückhalt der deutschen Wirtschaft

Europa-Kolumne

Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: [email protected]

Beim Streben nach europäischer Souveränität lohnt es sich, klein anzufangen. Nicht beim Aufbau einer eigenen EU-Armee, nicht bei der Ernennung eines EU-Außenministers. Sondern: bei Doppelverglasung und Fassadenverkleidung, bei einer besseren Wärmedämmung. 

Das mag seltsam klingen, doch das Kalkül ist einleuchtend: Fast die Hälfte des Erdgases, das Europa importiert, wird für das Beheizen von Gebäuden benötigt. Und wer ist Europas wichtigster Gaslieferant? Wer entscheidet mit darüber, ob in Deutschland, Italien, Ungarn und Österreich im Winter die Wohnungen warm bleiben? Richtig: Russland.

Jenes Russland, das gerade mit einer Invasionsarmee die Ukraine umstellt – und das Europa jetzt spüren lässt, was es politisch bedeutet, bei der Versorgung der eigenen Bevölkerung auf eine revanchistische Macht angewiesen zu sein. 

Energiesparsame Häuser würden nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sie würden auch den außenpolitischen Handlungsspielraum der EU vergrößern.

Und: Energiesparsame Häuser sind keine Luftschlösser wie die meisten anderen Vorhaben zur Stärkung der strategischen Autonomie Europas, sei es die Vollendung der Verteidigungsunion oder auch nur die Abschaffung der Einstimmigkeitsregel bei außenpolitischen Entscheidungen im Kreis der Mitgliedsstaaten.

240 Millionen Gebäude haben außenpolitisches Gewicht

Wenn in den vergangenen Wochen eines deutlich geworden ist, dann dies: Je stärker die Energie-Abhängigkeit eines EU-Landes, desto geringer ist die Neigung, sich russischen Aggressionen entgegenzustellen. Solange der Kreml weiß, dass Russland hat, was Europa nicht ersetzen kann, sind die westlichen Abschreckungsversuche mit Sanktionsdrohungen nur bedingt glaubwürdig. Dieses Problem erfordert keine abstrakten Debatten, sondern konkrete Antworten.

Eine Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zeigt, wie schwer es Europa im Ernstfall fiele, Russland als Energielieferanten zu ersetzen. Das Flüssiggas, das gerade aus den USA und Qatar nach Europa geschifft wird, lindert zwar die Angst vor einem kalten Winter etwas.

Aber es könnte den Experten zufolge einen Ausfall der Gaslieferungen über russische Pipelines nicht vollständig ausgleichen. Die Verringerung der Abhängigkeit erfordert auch eine Verringerung des Verbrauchs. 

Der Green Deal, mit dem die Kommission den Kontinent auf Klimaneutralität trimmen will, ist damit sicherheitspolitisch fast genauso bedeutsam wie umweltpolitisch. Erst im Dezember hat die EU einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, dem zufolge Neubauten schon von 2030 „energieautark“ sein müssen, öffentliche Gebäude sogar schon früher, Altbauten spätestens 2050. 

Eine einzelne Renovierung hat keine Auswirkung auf die außenpolitische Verhandlungsmacht der EU und das strategische Kalkül des Kremls – 240 Millionen Gebäude aber, so viele gibt es in der Europäischen Union, schon. Die Renovierungspflicht, so abseitig sie zunächst erscheint, würde letztlich mehr bewirken als alle Gipfelbeschlüsse und Sonntagsreden zusammen, die in den vergangenen Jahren die Transformation der EU vom Markt zur Macht eingefordert haben.

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