In diesem Jahr wird sich entscheiden, wie der Krieg in der Ukraine die künftige Weltordnung prägen wird. Vieles hängt vom Westen ab.
Der Autor
Wolfgang Ischinger ist ehemaliger Botschafter in Washington und war Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.
Bild: Klawe Rzezcy
Als ich die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar 2008 übernahm, schien unsere Welt auf ganz gutem Weg: Die Finanzkrise brach erst Monate später aus. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zwar schon im Jahr zuvor in München eine konfrontative Rede gehalten – aber viele dachten, der Mann müsse wohl mal Dampf ablassen, bevor er das Präsidentenamt in Moskau seinem interimistischen Nachfolger Dmitri Medwedew überlässt. Mit dem Iran wurde gesprochen, genauso wie mit China. Krieg schien nicht in Sicht.
Wo stehen wir heute, Ende Februar 2023, unmittelbar nach der Münchner Sicherheitskonferenz, deren Tagesordnung von den 360 Tagen des blutigen Angriffskriegs einer nuklearen Großmacht gegen einen europäischen Nachbarn überschattet war?
Vier Punkte würde ich als die entscheidenden Erkenntnisse nach diesem Münchener Krisenwochenende festhalten:
Die gute Nachricht ist, dass China und die USA trotz einer schwer belasteten Atmosphäre die MSC genutzt haben, um zu reden. Auch wenn das Gesprächsergebnis zwischen US-Außenminister Antony Blinken und dem obersten Diplomaten Chinas, Wang Yi, mehr als bescheiden ist – es ist von unschätzbarem Wert, dass die Dialogplattform München immerhin dazu beitragen konnte, dass man sich überhaupt trifft. Im Bayerischen Hof in München ist das protokollarisch ganz einfach, weil ohnehin alle da sind.
Im Schatten des russischen Angriffs auf die Ukraine konnte Teheran still, heimlich und leise die nukleare Anreicherung weiter hochtreiben. Die iranische Bombe ist keine Frage von Jahren, wenn es so weitergeht.
>> Lesen Sie hier unseren Kommentar: Münchner Sicherheitskonferenz – Zeitenwende in der Zeitfalle
Schwer zu erkennen ist, wie die frühere konstruktive Zusammenarbeit in Sachen Atomvertag (JCPOA) zwischen allen fünf Ständigen Sicherheitsratsmitgliedern angesichts der diversen Großmachtkonflikte wieder angekurbelt werden könnte. Die Nuklearmacht Iran wäre eine regional und global katastrophal schlechte Nachricht im Laufe des Krisenjahrs 2023.
Trotz ihrer massiven machtpolitischen Auseinandersetzung mit China haben die USA ihre Rolle als entscheidende „Macht in Europa“ eindrücklich bekräftigt. Es ist nicht abwegig, den Besuch von US-Präsident Joe Biden in Kiew, was die Symbolkraft anbetrifft, mit den Berlinauftritten der beiden Präsidenten John F. Kennedy und Ronald Reagan im Kalten Krieg zu vergleichen. Und dass über 30 Senatoren den Weg nach München fanden, unterstreicht die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen.
Demgegenüber ist es weder Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron noch Bundeskanzler Olaf Scholz gelungen, die Selbstbehauptung Europas im Sinne von Souveränität oder Autonomie voranzubringen. Die Handlungsfähigkeit Europas angesichts des russischen Angriffs zu stärken, das war der Plan. Bislang sollte man eher von einer vertanen historischen Chance reden.
Münchner Sicherheitskonferenz
Die Diskussionen in München haben gezeigt, dass wir umdenken müssen, meint Ischinger.
Bild: dpa
Das Allerwichtigste zum Schluss: unser Umgang mit der russischen Aggression und der Unterstützung für die gepeinigte Ukraine. Allzu häufig haben wir uns anhören müssen, dass der Krieg lange dauern kann und dass unsere Hilfe fortgesetzt wird, solange es nötig sein wird.
Die Diskussionen in München haben gezeigt, dass wir umdenken müssen: Unser gemeinsames Ziel – im Interesse aller, der Ukraine und ihrer Soldaten ebenso wie im Interesse der geschundenen ukrainischen Bevölkerung – muss es sein, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Boris Pistorius
Der neue Verteidigungsminister hat die notwendige Prioritätensetzung erkannt, meint Ischinger.
Bild: AP
Das heißt, mehr Material, Waffen und Munition für die Ukraine, und zwar jetzt – nicht nächstes oder übernächstes Jahr! Manche in Berlin, aber auch in anderen Hauptstädten, werden sich zu fragen haben, warum wir viele Monate des Jahres 2022 vertrödelt haben. Gut, dass der neue Verteidigungsminister die notwendige Prioritätensetzung erkannt hat, kaum dass er das Amt übernommen hatte.
Wir werden nur dann bei der MSC 2024 über eine stabilere künftige Friedensordnung in Europa reden können, wenn wir jetzt maximal Druck machen. Das ist die wichtigste Botschaft aus München.
Der Autor war Staatssekretär im Auswärtigen Amt und leitete die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) von 2008 bis 2022. Er ist jetzt Präsident des MSC-Stiftungsrats.
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