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24.11.2022

12:07

Kolumne „Kreative Zerstörung“

Der naive Personenkult in der Techbranche geht mir auf den Geist

Von: Miriam Meckel

FTX-Gründer Sam Bankman-Fried inszenierte sich als Wohltäter und Weltverbesserer – jetzt fehlen Milliarden. Wie oft wollen wir uns noch einreden lassen, dass ein einziger Mensch die Welt retten kann?

Nach der Pleite seiner Kryptobörse haben ihn gleich mehrere Behörden im Visier. Getty Images (2)

FTX-Gründer Bankman-Fried

Nach der Pleite seiner Kryptobörse haben ihn gleich mehrere Behörden im Visier.

So viele Fragen, und die Antworten trägt ein 30-jähriger Ex-Milliardär in seinem Herzen in die Karibik oder in den Knast. Die Pleite der Krypto-Börse FTX, der gnadenlose Fall ihres Gründers und Krypto-Posterboys Sam Bankman-Fried (SBF) und die Untersuchungen, die nun folgen und vermutlich noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen werden, all das wirkt inzwischen wie eine Realityshow à la „The Big Short“.

Wie oft soll denn noch ein Ponzi-Prinzip in Verbindung mit Eigengeschäften viele Investoren um ihr angelegtes Vermögen bringen, bis klar ist, dass ein großes Ganzes selten aus dem Nichts entsteht?

Jetzt, acht Milliarden fehlende Kundendollar später, tun die meisten wieder ganz überrascht: Nanu, wie konnte das denn passieren? Einfache Antwort: durch einen totalen Mangel an Aufsicht und Kontrolle auf der einen und ein naives, verblendetes Vertrauen in vermeintliche Unternehmenswunder auf der anderen Seite.

Die Informationen, die nun scheibchenweise öffentlich werden, deuten auf ein quasifeudales System der Selbstbedienung einer kleinen Gruppe von Menschen, die einander in mannigfaltigen Formen verbunden sind.

Die zusammen in einem Luxusresort auf den Bahamas leben und von dort aus gleich zwei Unternehmen steuern: FTX und das Handelshaus Alameda Research, dessen Name so wissenschaftlich und gemeinnützig klingt, dass sich niemand über die allzu engen Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen wunderte. SBF entschied alles mit einer kleinen Gruppe Vertrauter nach dem Prinzip: Loyalität schlägt Kompetenz.

Miriam Meckel ist deutsche Publizistin und Unternehmerin. Sie ist Mitgründerin und CEO der ada Learning GmbH. Außerdem lehrt sie als Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Klawe Rzeczy

Die Autorin

Miriam Meckel ist deutsche Publizistin und Unternehmerin. Sie ist Mitgründerin und CEO der ada Learning GmbH. Außerdem lehrt sie als Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen.

Nun kann es eine vergnügliche Vorstellung sein, mit einem polyamourösen Harem von den Bahamas aus zwei Unternehmen zu führen. Wenn dann etwa eine Million Kunden um acht Milliarden Dollar gebracht werden, ist das weniger vergnüglich.

John Ray, neu eingesetzter CEO der Kryptobörse FTX, der die Reste des Unternehmens nun durch den Insolvenzprozess steuern muss, sagt: „Nie in meiner ganzen Laufbahn habe ich ein solches Totalversagen von Kontrolle und einen so umfassenden Mangel vertrauenswürdiger finanzieller Berichterstattung erlebt, wie es in diesem Fall gegeben ist.“ Das will schon was heißen, denn: John Ray hat unter anderem die Enron-Pleite gemanagt, die das texanische Energieunternehmen 2001 dem Boden gleichgemacht hat – einer der größten Wirtschaftsskandale der US-Geschichte.

Auch US-Präsident Biden fiel auf Sam Bankman-Fried rein

Viel interessanter noch als die wahnwitzigen Offenbarungen von mangelnder Aufsicht und Kontrolle in Verbindung mit grenzenloser Selbst- und Fremdüberschätzung ist der Skandal, der hinter dem Krypto-Crash liegt.

SBF war nicht nur das Krypto-Wunderkind, er war auch der Hauptprotagonist einer Bewegung, die sich „effektiver Altruismus“ nennt. Die philosophische und soziale Bewegung setzt darauf, effektiver wohltätig zu sein, um mit Hilfsaktionen möglichst viele Menschen möglichst wirkungsvoll zu erreichen. Sie hat im Silicon Valley einen besonders schwingenden Resonanzraum, und SBF war ihr Fixstern.

Er sammle sein unfassbares Vermögen nicht für sich, sondern um es an die abzugeben, die bedürftig sind, so beschrieb sich der 30-Jährige. Das klingt großartig und nach echtem Purpose. Weltbekannte Investmentfirmen wie Sequoia Capital, Millionen einfache Anleger, ja, auch der amtierende US-Präsident fielen darauf herein.

Naiver Personenkult in der Techbranche

Nur ist der ganze schöne Anstrich jetzt in einem großen Knall von der Fassade abgeplatzt. Und bei genauerem Hinsehen muss man zugeben: Es gibt auch keine Fassade, sondern nur ein schwarzes Loch dort, wo einmal ein schickes Kartenhaus des Selbstmarketings stand.

So langsam geht mir dieser naive Personenkult in der Techbranche echt auf den Geist. Das ist nicht der Glaube an die Fähigkeiten eines Genies, das ist Kult – gespeist von wirren Allmachts- und Unfehlbarkeitsvorstellungen, die eine fehlgeleitete Silicon-Valley-Attitüde denen entgegenbringt, die sich entsprechend inszenieren: als mysteriöse Nerds, die im Mantel des Allgemeinwohls dem effektiven Egoismus frönen und denen jenseits ihres Unternehmenserfolgs alles egal ist.

Wie oft wollen wir uns noch einreden lassen, dass ein einziger Mensch die Welt retten kann, wenn er nur entschlossen und verrückt genug vorgeht? Wie oft müssen wir noch auf die Schnauze fallen, bis sich die Einsicht durchsetzt: Erfahrung und Erfolg haben nicht nur einen ersten Buchstaben gemeinsam?

Der frühere Chef der Bank of England sagte einst: „Wenn dir jemand etwas über Finanzen erklärt und es ergibt keinen Sinn, dann bitte die Person, das Argument noch einmal zu erläutern. Macht die Antwort immer noch keinen Sinn, nimm die Beine in die Hand und laufe.“

Es ist so ermüdend und langweilig, immer wieder die gleichen Geschichten der Gründergenies zu hören, die unsere Welt verbessern – um irgendwann dann die totale Entzauberung zu den Geschichtsakten zu legen. Es gibt sie, die effektiven Altruisten. Das sind die vielen wahrhaftigen Unternehmerinnen und Unternehmer, die Arbeitsplätze, Wohlstand und Innovationen schaffen – meist jenseits aller öffentlichen Aufmerksamkeit.

In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Denn was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling. ada-magazin.com

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