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17.04.2022

10:48

Essay

Der Fluch der Rohstoffe: Warum Russland ein Scheinriese ist

Von: Wolfgang Drechsler

Moskau lebt dank seines Rohstoffreichtums über seine Verhältnisse – und ähnelt immer mehr den ökonomischen Verliererstaaten Afrikas.

Partnerschaft unter Verlierern. (Archivbild aus 2021) imago images/ITAR-TASS

Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein Angolanischer Kollege Tete Antonio

Partnerschaft unter Verlierern. (Archivbild aus 2021)

Johannesburg Es war der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Russland auf eine Frage nach dessen Entwicklungsstand ein „Obervolta mit Atomraketen“ bezeichnete. Obervolta, der damalige Name des heutigen Burkina Faso.

Mit dem griffigen Vergleich wollte Schmidt damals vor allem ironisch auf die tiefe Kluft zwischen der bitteren Armut der einfachen Russen einerseits und der (atomaren) Hochrüstung des Riesenreichs andererseits hinweisen – auf den enormen Gegensatz von Anspruch und Realität.

Man würde die Worte von Schmidt heute nicht mehr verwenden. Aber der Befund hat noch immer eine gewisse Gültigkeit. Russland bewegt sich im internationalen Spiel der Mächte seit Langem weit oberhalb der eigenen wirtschaftlichen Gewichtsklasse. Wie ein Scheinriese geriert sich der Staat: außen groß und innen hohl.

Während das von seinen 145 Millionen Menschen erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt laut Internationalem Währungsfonds (IWF) weltweit immerhin noch an elfter Stelle liegt, rangiert das Land gemessen am Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 68 und liegt damit selbst hinter Staaten wie Rumänien. Russland ist kein entwickeltes Industrieland, sondern ein mittelprächtiges Schwellenland, das seine internationale Stellung allein aus einer Eigenschaft zieht: seiner Hochrüstung mit Atomwaffen.

In der Liste der Staaten mit den höchsten Rüstungsausgaben rangiert Russland entsprechend hinter den klar dominanten USA sowie China und Indien auf Platz vier.

Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion und zwei nach Putins Machtantritt ist die Bilanz zutiefst ernüchternd. Die russische Wirtschaft ist schwach und wenig innovativ; in Russland wird so gut wie nichts hergestellt, was die Welt gebrauchen könnte. Entsprechend gering sind die Exportumsätze jenseits von Rohstoffen und, in Teilen, Waffen.

Tankstelle der Welt – mit vorgelagertem Bistro

Stattdessen hat sich Putins Reich als reiner Rohstoff- und Nahrungsmittellieferant in die globale Arbeitsteilung eingereiht und sich damit einer Wirtschaftsweise verschrieben, die fast nur auf der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen fußt. Gleichzeitig muss Moskau fast seinen gesamten Technologiebedarf importieren.

Der Politikprofessor Philip Manow von der Universität Bremen hat Russland deshalb auch als die „Tankstelle“ der Weltwirtschaft mit einem ihr vorgelagerten „Bistrobereich“ beschrieben.

Damit ähnelt das Land aber nicht Großmächten wie den USA und China, mit denen es auf Augenhöhe um Macht und Einfluss rangelt – sondern viel mehr jenen Staaten Afrikas, die zu den Verlierern der weltweiten Wirtschaftsordnung zählen. Weil eine autoritär führende Elite verkonsumiert, was ihnen ihre Rohstoffverkäufe einbringen.

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Dass das kein Weg Richtung Prosperität und Macht, sondern stattdessen eine ökonomische und politische Entwicklungsspirale abwärts ist, kann man an vielen Ländern Afrikas sehen. Sie hat längst auch Russland erwischt – und wird das Land ökonomisch und gesellschaftlich weiter nach unten ziehen. Der Ukrainekrieg ist da nur Trendbeschleuniger, nicht Auslöser.

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Das afrikanische und das russische Modell ähneln sich mehr, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Es gibt kaum eine eigene verarbeitende Industrie – und wenn doch, dann auf einfachstem technologischem Niveau und fast nur zur Versorgung der eigenen Bevölkerung mit ein paar essenziellen Konsumartikeln.

Was Russland mit vielen afrikanischen Staaten gemein hat

Schließlich teilen viele Staaten Afrikas und Russland politisch auch den Autoritarismus, die Neigung zur Macho-Führung von sogenannten „big men“. In Afrika hat sich diese Tendenz nur deshalb nicht militärisch-aggressiv nach außen gewendet, weil die Kolonialgrenzen zur Zeit der Gründung der Organisation für afrikanische Einheit 1963 als sakrosankt festgeschrieben wurden; das wurde, abgesehen von der Abspaltung Eritreas von Äthiopien und des Südsudans von Sudan, auch respektiert.

Insofern trifft Moskaus Außenpolitik in Afrika auf vertrautes, fruchtbares Terrain. Seit dem Kollaps der Sowjetunion konzentriert sich Russland auf ein knappes Dutzend der 54 afrikanischen Staaten.

Im internationalen Konkurrenzkampf auf dem Kontinent ist Russland ein Winzling, konstatiert Professor Gerrit Olivier, ab 1992 Südafrikas erster Botschafter in Russland.

Zwar haben Russlands Interventionen in Afrika eine lange Tradition: Während des Kalten Kriegs unterstützte Moskau marxistisch-leninistisch inspirierte Widerstandsbewegungen auf dem ganzen Kontinent. Doch während China in den vergangenen Jahrzehnten für Afrika zu einem großen Handels- und Investitionspartner herangewachsen ist, hat Russland nur einigen von Konflikten geplagten Staaten etwas zu bieten. Russlands Präsenz und Rolle in Afrika seien jetzt und wohl auch zukünftig zu unbedeutend, um größeren Einfluss zu gewinnen, glaubt Olivier.

Dies liege auch daran, dass Russland in Afrika fast nur Konflikte statt Entwicklung und Frieden fördere. Russlands Handel mit Afrika beschränkt sich weitgehend auf Waffen und Dienstleistungen von Militärberatern sowie auf den Verkauf von Weizen oder Dünger.

John Bolton, unter Donald Trump Sicherheitsberater im Weißen Haus, hat Russlands militärisches Engagement in Afrika als eine „ausbeuterische Praxis“ beschrieben, die wie im Fall von Angola, Südafrika oder Zimbabwe oft auf Allianzen aus dem Kalten Krieg beruht – Waffenlieferungen als Gegenleistung für Afrikas Unterstützung in der Uno, verbunden mit dem Versuch, autoritäre Führer an der Macht zu halten und darüber fast jede nachhaltige Entwicklung zu untergraben.

Seit 2015 hat Russland mehr als 20 bilaterale militärische Kooperationsabkommen mit afrikanischen Staaten geschlossen. Mit einem Anteil von 35 Prozent ist Russland inzwischen zum größten Waffenlieferanten Afrikas geworden. Russische Waffen sind für Afrika attraktiv, weil sie billiger sind als amerikanische.

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Im Gegensatz dazu ist Russlands nicht-militärischer Handel mit Afrika nur leicht gestiegen, und er ist im Vergleich zum Volumen Chinas marginal. Der Austausch mit Russland macht nur rund zwei Prozent des afrikanischen Handels mit Ländern außerhalb des eigenen Kontinents aus; das Handelsvolumen mit Europa und China ist mehr als zehnmal größer. 2018 betrug der Gesamtumfang des russischen Handels mit der Region ganze fünf Milliarden Dollar - weniger als der Handel mit der Türkei, Singapur oder Thailand.

Auf der Verliererseite der internationalen Arbeitsteilung

Entsprechend spielt Russland in Afrika längst jene Rolle, die ihm auch weltweit droht: als eine mittelprächtige Regionalmacht, die sich vorzugsweise mit den Verlierern der afrikanischen Staatenwelt verbündet.

In Madagaskar oder im Kongo konnte sich der von Moskau favorisierte Präsidentschaftskandidat zuletzt nicht durchsetzen. Der Versuch, den sudanesischen Langzeitdiktator Omar al-Baschir im Amt zu halten, schlug ebenso fehl wie ein geheim ausgehandelter Deal, Atomkraftwerke an Südafrika zu liefern. Und auch der Rückzug russischer Söldner aus Mosambik, wo diese erfolglos gegen die Islamisten im Norden kämpften, ist ein weiterer Ausweis für die mannigfaltigen Probleme des russischen Entwicklungsmodells in anderen Teilen der Welt.

Russlands Schicksal spiegelt sich in Afrika so gleich doppelt: als Nachahmer des schlechten Vorbilds, das viele afrikanische Staaten ökonomisch darstellen. Und als Scheinriese, der selbst unter ökonomischen Zwergen kaum noch Einfluss ausüben kann.
Mehr: Hungersnöte und Unruhe: Wie der Ukrainekrieg Afrika bedroht.

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