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03.11.2022

04:06

Kommentar

China-Reise: Die ökonomistischen Fehlkalküle des Kanzlers

Von: Jens Münchrath

Die Zeiten, in denen die wirtschaftliche Perspektive das Verhältnis zu China dominierte, sollten vorbei sein. Doch Scholz betreibt eine Politik des business as usual, anstatt Abhängigkeiten zu verringern.

Olaf Scholz macht gegenüber China Zugeständnisse und wickelt auch den Einstieg des chinesischen Konzerns Cosco in den Hamburger Hafen ab.

Olaf Scholz' Chinareise

Olaf Scholz macht gegenüber China Zugeständnisse und wickelt auch den Einstieg des chinesischen Konzerns Cosco in den Hamburger Hafen ab.

Manchmal sind es die kleinen Szenen, die ebenso verräterisch wie aufschlussreich sein können. Als der Bundeskanzler beim jüngsten EU-Gipfel gefragt wurde, warum er mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China reise und ob das nicht das falsche Signal sei, antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz wie so oft etwas übellaunig, wortkarg, aber dennoch mit einem verschmitzten Lächeln: Warum solle das falsch sein, Deutschland habe das doch immer so gemacht. Würde er keine Delegation mitnehmen, dann wäre die Frage nach dem Warum berechtigt, so Scholz.

Business as usual also, in einer Zeit, die mit den vergangenen 30 Jahren im Grunde so gut wie nichts mehr gemein hat. Wie dem auch sei, Scholz fliegt jetzt nach Peking, als allererster Regierungschef des Westens seit Beginn der Pandemie und kurz nachdem sich Xi Jinping als eine Art mächtiger Kaiser von China hat inthronisieren lassen. Das System Xi, es steht für ein neues totalitäres China.

Und der Kanzler bringt nicht nur eine Wirtschaftsdelegation mit, sondern gleich auch ein Gastgeschenk, das symbolkräftiger kaum sein könnte: Gegen sechs seiner Fachminister, gegen seine europäischen Partner entschied sich der Kanzler für eine Genehmigung des Einstiegs des chinesischen Staatskonzerns Cosco in den Hamburger Hafen. Und das ist nicht alles: Auch die Chipfertigung des Dortmunder Halbleiterherstellers Elmos könnte bald einen chinesischen Eigentümer haben. So jedenfalls will es der Kanzler.

Es war ihm offensichtlich wichtig, business as usual gegenüber Peking halt. Kritiker sprechen dagegen - nicht zu unrecht - von Unterwerfungsgesten. Und sicherlich ist die Frage nicht unberechtigt, ob es nicht auch an Berlin wäre, jetzt mal ein Zeichen der Diskontinuität zu setzen, vor allem auch nach den verheerenden strategischen Fehlkalkülen der vergangenen Jahrzehnte in der deutschen Russlandpolitik.

Läge es nicht etwa im tiefsten deutschen Interesse, dass Europa gemeinsam ein Signal der Geschlossenheit setzt? Etwa indem der Kanzler auf die Idee des französischen Staatspräsidenten eingegangen wäre, gemeinsam nach Peking zu fahren?

Olaf Scholz ist mit einer Wirtschaftsdelegation nach China gefahren – unter anderem war Biontech dabei. (Foto von Mai 2022) IMAGO/Xinhua

Videoschalte zwischen Olaf Scholz (l.) und Xi Jinping

Olaf Scholz ist mit einer Wirtschaftsdelegation nach China gefahren – unter anderem war Biontech dabei. (Foto von Mai 2022)

Kein Sonderweg gegenüber China mehr – das müsste die Maxime der angekündigten neuen Chinastrategie sein, an der die Bundesregierung arbeitet. „Russland ist der Sturm, China der Klimawandel“ – so hat es Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang treffend formuliert.

Xi mag sich nicht so leicht in militärische Himmelfahrtskommandos begeben wie Putin, außenpolitisch verhält er sich strategisch geschickter und denkt langfristiger. Aber China ist um ein Vielfaches mächtiger als Russland – und nicht weniger imperialistisch.

Eine Taiwan-Invasion wäre eine Katastrophe für die Weltwirtschaft

Xi hat Hongkong gleichgeschaltet, Xi sanktioniert nach Belieben unliebsame Handelspartner wie Litauen oder Australien, er macht Schwellenländer im Rahmen der Seidenstraße über Kreditabhängigkeiten gefügig. Und vor allem: Xi hat zuletzt auffällig oft angekündigt, Taiwan heim ins Reich holen zu wollen – notfalls mit Gewalt. Niemand sollte annehmen, dass Peking dabei ähnlich dilettantisch vorgehen würde wie Moskau.

Auch weiß niemand, wann China sich stark und sicher genug fühlt, diesen Schritt zu wagen. Die wenigsten allerdings bezweifeln, dass ein solches Szenario Realität werden wird, das katastrophale Folgen auch für die Weltwirtschaft hätte und im Besonderen für jene Volkswirtschaft, die ihr ökonomisches Schicksal wie kein anderes Land an die Volksrepublik gebunden hat: Deutschland.

Was bedeuten die Rahmenbedingungen für die Kanzlerreise und die deutsche Chinastrategie? Nein, die Bundesregierung sollte nicht nach US-Vorbild den Bruch mit der Volksrepublik suchen. Es wäre fahrlässig, sich nicht auf das Szenario einer Taiwan-Invasion vorzubereiten. Ebenso wie es fahrlässig wäre, die Abhängigkeiten nicht zu verringern und die Lieferketten nicht zu diversifizieren.

Deutsche Manger reden, als gäbe es noch das alte China

Denn diese Abhängigkeiten sind vielschichtiger als im Falle Russlands. Es geht um strategische Rohstoffe wie Seltene Erden oder Silizium. Es geht um Zukunftstechnologien wie KI oder 5G-Funktechnik. Und vor allem geht es um den gigantischen chinesischen Markt, der für viele deutsche Manager unverzichtbar erscheint.

Cosco hat auch Anteile anderer europäischer Häfen wie Rotterdam oder Piräus. dpa

Containerterminal Tollerort, Hamburg

Cosco hat auch Anteile anderer europäischer Häfen wie Rotterdam oder Piräus.

Natürlich wollen sie weiter ihre Geschäfte dort machen. Ob es aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht strategisch klug ist, so zu tun, als sei das neue China das alte, darf bezweifelt werden. Ein Land, das seine in der Tat atemberaubenden ökonomischen Erfolge der marxistisch-leninistischen Ideologie zu opfern bereit ist, ist nicht mehr das China des Deng Xiaopings. Trotzdem investiert BASF zehn Milliarden dort, will Siemens seinen Umsatz im Kerngeschäft „Digitale Industrien“ bis 2025 auf rund vier Milliarden Euro verdoppeln. VW sowie Mercedes sind abhängiger vom chinesischen Markt als je zuvor. Selbst Aldi verstärkt sein Engagement.

Und mancher Manager hört sich auch jetzt noch so an, als sei China noch das El Dorado der zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, als sei Formel „Wandel durch Handel“ nicht längst als platter Ökonomismus diskreditiert.

Niemand in Europa fordert eine vollständige Abkopplung von China. Auch blind dem amerikanischen Weg einer radikalen Eindämmung zu folgen kann keine Strategie sein. Aber die Zeiten, in denen man das Verhältnis zur Volksrepublik vor allem aus ökonomischer Perspektive definieren konnte, sind vorbei.

Schon weil, wer immer auch 2024 US-Präsident wird, die Amerikaner den Druck auf Peking erhöhen werden. Auch deutsche Konzerne könnten dann möglicherweise vor der Wahl stehen, sich zwischen amerikanischem und chinesischem Markt zu entscheiden. Das Szenario einer bipolaren Weltwirtschaft ist real.

Will Deutschland in dieser Welt ein zumindest mitbestimmender Faktor sein, braucht es Europa – und auch den Zugang zum großen europäischen Binnenmarkt als Faustpfand in Verhandlungen mit China.

Kanzler Scholz hat mit seinen jüngsten Sonderwegen nicht unbedingt den Eindruck erweckt, er nehme diesen Aspekt allzu wichtig. Vielleicht ändert sich das während seiner Gespräche mit Xi – jenem großen Vorsitzenden, der die Systemfrage stellt und sein autoritäres Modell nicht nur für welttauglich, sondern weltführend hält.

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