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28.03.2021

18:10

Kommentar

Das Verfassungsgericht muss zügig über den EU-Wiederaufbaufonds entscheiden

Von: Moritz Koch

Karlsruhe gefährdet den Zeitplan für den EU-Wiederaufbaufonds. Genau das aber kann Europa sich nicht leisten.

Die Karlsruher Richter drohen den Zeitplan für den dringend benötigten Europäischen Wiederaufbaufonds durcheinander zu bringen. argus

Richterroben beim Bundesverfassungsgericht

Die Karlsruher Richter drohen den Zeitplan für den dringend benötigten Europäischen Wiederaufbaufonds durcheinander zu bringen.

In der Sache ist nichts entschieden. Doch die Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht am Freitag den Wiederaufbaufonds der EU vorläufig stoppte, hinterlässt ein ungutes Gefühl. „Die Begründung wird nachgereicht“, schrieben die Richter, als wären Argumente in einer so sensiblen Angelegenheit erst einmal optional. 

Das Verfassungsgericht reagierte mit seiner wortkargen Verfügung auf die Verabschiedung des sogenannten Eigenmittelbeschlusses durch Bundestag und Bundesrat. Dieser ermöglicht es der EU erstmals in ihrer Geschichte, im großen Stil Kredite aufzunehmen.

Diese wiederum sollen den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds speisen, der die ökonomischen Narben der Pandemie heilen und eine wichtige Anschubfinanzierung für die digitale und ökologische Modernisierung Europas sein soll.

Mit der Einigung auf den Wiederaufbaufonds sendeten die Staats- und Regierungschefs der EU vergangenes Jahr ein wichtiges Signal: In der schwersten Krise der Nachkriegszeit steht Europa zusammen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz schwärmt seither von einem „Hamilton-Moment“, wie Amerika vor 230 Jahren entwickle sich Europa zum Bundesstaat. 

Diese Rhetorik könnte sich nun rächen. Die Rechtsgrundlage für eine einmalige Hilfsaktion in Notstandszeiten ist wesentlich solider als das europa- und verfassungsrechtliche Fundament einer Fiskalunion. So wünschenswert Letztere auch sein mag, so unklug ist es, die Debatte mit dem Wiederaufbaufonds zu vermengen. 

Karlsruhe will sich von Brüssel nichts diktieren lassen

Denn die Zeit drängt. Nur wenn im Mai alle Mitgliedstaaten die Eigenmittelbeschlüsse ratifiziert haben, wird die EU im Juli mit der Auszahlung der Hilfen beginnen können.

Dieser Zeitplan ist in Gefahr. Die Karlsruher Richter haben es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorläufig untersagt, das Gesetz zu unterzeichnen. Das sehr auf seine Eigenständigkeit bedachte Verfassungsgericht ist nicht geneigt, sich Entscheidungen aus Brüssel diktieren zu lassen.

Die Kläger um den AfD-Gründer Bernd Lucke werden sich bestätigt fühlen, aber sie treiben ein gefährliches Spiel. Vielmehr als die 750 Milliarden Euro braucht Europa das Bekenntnis zur Solidarität, wenn es ökonomisch nicht noch weiter gegenüber USA und China zurückfallen will

Mit seinem „Bündnis Bürgerwille“ inszeniert sich Lucke als Vorkämpfer einer schweigenden Mehrheit in Deutschland. Doch glücklicherweise ist der Bürgerwille, den Lucke zu verkörpern glaubt, ein Minderheitenphänomen. 

Das Verfassungsgericht sollte den Eigenmittelbeschluss sorgfältig, aber zügig prüfen. Von einem juristischen Quertreiber darf es sich nicht instrumentalisieren lassen.

Kommentare (6)

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Account gelöscht!

29.03.2021, 08:45 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht ist als Verfassungsorgan genau für solche Fragen zuständig, es macht also seine Arbeit. Und es ist, davon bin ich zutiefst überzeugt, selbstbewusst genug, sich nicht instrumentieren zu lassen. Die Absurdität dieses Gedankens ist an sich schon bemerkenswert.

Es wird dabei der Dringlichkeit der Thematik gerecht werden, ohne die notwendige Sorgfalt außer Acht zu lassen.

Fragen Sie sich doch lieber einmal, werter Herr Koch, was das Bundesverfassungsgericht dazu veranlasste, sich zu so einem ungewöhnlichen Schritt genötigt zu sehen?

Über Sinn und Zweck der Wiederaufbaufonds kann man politisch streiten, insbesondere ob er als Akt europäischer Solidarität geeignet ist, die Brücken über die politischen Gräben innerhalb der EU darzustellen.
Der historische Vergleich des Herr Scholz mit den USA ist ebenso abwegig wie die gelegentlichen politischen Einschätzungen des Bundesfinanzministers.

Diese Fragen hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht zu klären, aber auch das wird Karlsruhe sehr bewusst sein.

Account gelöscht!

29.03.2021, 10:10 Uhr

Hallo Herr Koch,
wer will was inszenieren, Lucke oder AdD? Nein, die Bundesregierung inszeniert den Ausverkauf der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich nicht um einen Wiederaufbaufonds, sondern rein um eine Umverteilung von Deutschland Richtung Südstaaten. Herr Raffelhüschen hat es im Focus auf den Punkt gebracht:
"Deutschland finanziert großzügige Renten in EU-Ländern"
Es ist unerträglich, wie wir ausgenommen werden und eine Reform nach der anderen durchleiden müssen und in den Südstatten passiert nichts. Hier ein Vergleich aus dem Focus:
Deutschland: männl. Beschäftigter 39,1 Arbeitsjahre bei 51,9% Rentenbezug
Italien: 32 Jahre bei 91,8%
Frankreich: 35,4 Jahre bei 73,6%
Spanien: 35,3 Jahre bei 83,4%
Die Südstaaten können gerne auf 15-20% verzichten und wir brauchen keinen Wiederaufbaufonds. Ich weiß auch garnicht, was kaputt ist? Corona ist keine Bombe sondern ein Virus, der das Gesundheitssystem an seine Grenzen bringt und nicht ein Land in Schutt und Asche wirft.
Es reicht mir.

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