Die USA dürften als der Gewinner aus der aktuellen Krise hervorgehen. Die größte Volkswirtschaft zieht Investitionskapital nicht zuletzt aus Europa an. Der Standort Deutschland hat das Nachsehen.
Autoindustrie
Die Wirtschaftspolitik des Weißen Hauses zielt seit längerem darauf ab, global agierende Unternehmen dazu zu bringen, relevante Teile ihrer Wertschöpfung in die USA zu verlagern.
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Unternehmen sind „vaterlandslose Gesellen“, bemerkte bereits 2004 der damalige Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), durchaus zu Recht. Gerade große Unternehmen mit mehreren Produktionsstandorten sind flexibel und investieren dort, wo sie die höchste Nach-Steuer-Rendite erwarten.
Schließlich sind die Vorstände rechtlich zur Wahrung und Vermehrung des ihnen treuhänderisch anvertrauten Vermögens verpflichtet. Mittlerweile erwirtschaften viele Dax-Konzerne den Großteil ihrer Gewinne im Ausland, was auch daran liegen dürfte, dass Deutschland für sie ein Hochsteuerland ist.
Gleichwohl ist die deutsche Volkswirtschaft mit ihrem exportorientierten Geschäftsmodell bislang recht gut gefahren. Die internationale Streuung von Produktionsstätten und weltumspannende Lieferketten sicherten die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und erlaubten es, qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze in den heimischen Werken und Konzernzentralen zu halten.
Wohl keine andere große Volkswirtschaft hat ökonomisch so stark von dem Globalisierungsschub nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Integration Chinas in den Welthandel profitiert wie die deutsche.
Doch diese Stärke macht verwundbar, wenn der freie Welthandel durch nationalstaatliche Interventionen ins Stocken gerät. Dabei droht die größte Gefahr weder von Russland noch vom Expansionsdrang des chinesischen Staatskapitalismus – sondern von den USA. Anders als oft geglaubt ist US-amerikanischer Protektionismus keine Erfindung von Ex-Präsident Donald Trump.
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Die Wirtschaftspolitik des Weißen Hauses zielt seit Längerem darauf ab, global agierende Unternehmen mit Zöllen oder anderen Druckmitteln dazu zu bringen, relevante Teile ihrer Wertschöpfung in die USA zu verlagern, um dort Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Nicht wenige der „Hidden Champions“ des deutschen Mittelstands stehen vor der Frage, künftig Teile ihrer Produktion in die USA verlagern zu müssen.
Bei US-Präsident Joe Biden lautet die letztlich auf Autarkie abzielende Parole zwar nicht wie beim Amtsvorgänger „America first“. Doch mit seinem als „Inflation Reduction Act" getarnten gigantischen Subventionsprogramm verfolgt er nichts anderes als eine industrielle Revitalisierung der USA.
Das Gesetzespaket sieht Ausgaben in den nächsten zehn Jahren von annähernd 400 Milliarden Dollar in Programme zur Energiesicherheit und zum Klimawandel vor. Das Ziel: Bei Schlüsseltechnologien und erneuerbaren Energien wollen die USA führend werden und den Aufstieg Chinas bremsen.
Joe Biden
Bei US-Präsident Joe Biden lautet die letztlich auf Autarkie abzielende Parole zwar nicht wie beim Amtsvorgänger „America first“.
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Deshalb sollen Subventionen in Milliardenhöhe an jene Unternehmen fließen, die in den USA produzieren. Mit seinem Tweet vom 14. August brachte Biden seine Absichten in seltener Klarheit auf den Punkt: „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Menschen die Haube ihres Autos öffnen und das Made-in-America-Siegel in die Batterie eingeprägt sehen.“
Der zweite Teil dieser Strategie besteht darin, gezielt Chinas strategisch wichtige Halbleiterindustrie zu schwächen. So verhängten die US-Behörden vergangenes Wochenende ein Verkaufsverbot für Produkte von zehn chinesischen Telekommunikations- und Sicherheitstechnikherstellern wegen „nicht akzeptabler Risiken“ für die nationale Sicherheit.
>> Lesen Sie mehr: USA stemmen „größte Investitionen aller Zeiten“ fürs Klima – und lösen in Europa Ängste aus
Bereits Anfang Oktober wurde die Ausfuhr von Technologien für die Chipfertigung in China stark beschränkt. Das Risiko, dass auch europäische Hersteller von etwaigen Sanktionen getroffen werden, wenn sie diese US-Vorschriften nicht „freiwillig“ beachten, ist durchaus real.
Als geistiger Vater der Idee des grenzüberschreitenden freien Handels gilt David Ricardo. Vor gut 200 Jahren zeigte er, dass alle am Freihandel beteiligten Staaten gewinnen, wenn jedes Land das produziert, was es relativ am kostengünstigsten kann, und diese Güter gegen Waren tauscht, die andere Länder relativ günstiger herstellen können.
Vor zwei Dekaden relativierte dann der Jahrhundertökonom Paul Samuelson dieses Dogma: „Es stimmt nicht, dass der uneingeschränkte Freihandel unterm Strich jedem überall nutzt.“ Vielmehr könne ein schnelles technologisches Aufholen Chinas in den USA Wohlfahrtsverluste verursachen. Und genau diese Verluste wollen die US-Regierungen nun verhindern - ohne Rücksicht auf Verbündete.
„Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass es die Gefahr gibt, dass Industriearbeitsplätze aus Deutschland und Europa verschwinden könnten, die dann nicht so schnell zurückkommen“, mahnt SPD-Chef Lars Klingbeil.
Und Vizekanzler Robert Habeck betont, „Protektionismus lähmt Innovationen. Es geht nicht so sehr darum, unser altes industrielles Herz zu verlieren, sondern um das Risiko, dass die nächste Welle technologischer Innovationen nicht in Europa stattfinden wird. Denn der Inflation Reduction Act kümmert sich um die coolen neuen Sachen.“
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Ein Wirtschaftsminister der Grünen warnt also vor dem Protektionismus anderer, während er mit dem eigenen offenbar weniger Probleme hat; schließlich ist es doch seine Partei, die mit Freihandelsabkommen fremdelt.
Als weitere Belastung für die Industrie des „Alten Kontinents“ kommt nun hinzu, dass Energie in Europa auf Dauer teuer bleiben wird. So erwartet der Chemiegigant BASF, dass der Gaspreis in Europa längerfristig etwa dreimal so hoch sein dürfte wie in den USA. Teile der hiesigen Produktion wären dann nicht mehr wettbewerbsfähig.
Tesla Werk Berlin Brandenburg
Eigentlich hatte Tesla geplant, sein einziges europäisches Werk in Brandenburg auch zur weltgrößten Batteriefabrik zu machen.
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Überdies altert gerade in Deutschland die Bevölkerung rapide. Dies führt zu Fachkräftemangel und steigenden Lohnkosten. Zudem sind Umsatzsteigerungen in den USA dank einer jüngeren und wachsenden Gesellschaft deutlich einfacher zu realisieren.
Protektionismus ist ein süßes Gift, für Biden und seine Nachfolger. Dank subventionierter „grüner Investitionen“ soll sich der „Rust Belt“ in einen „Battery Belt" verwandeln. Und so verwundert es kaum, dass Tesla kürzlich seine Pläne für eine große Batteriefabrik in Brandenburg auf Eis legte und nun offenbar in den USA investieren will.
Schließlich verspricht die US-Regierung jedem Käufer eines Elektroautos eine 7500-US-Dollar-Steuergutschrift – sofern das Auto in den USA montiert wurde. Ab 2026 müssen überdies 80 Prozent der Seltenen Erden für die Batterie im Inland oder in jenen Ländern geschürft worden sein, mit denen die USA Freihandelsabkommen haben.
Damit will Biden sicherstellen, dass möglichst kein Dollar Staatshilfe das Land verlässt. Im Ergebnis dürfte die Rechnung für die US-Steuerzahler und Autokäufer recht hoch ausfallen. Doch das hilft den europäischen Autostandorten nicht.
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Mit den bislang etablierten Regeln für fairen Handel hat das alles nichts zu tun. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass es für besondere handelspolitische Fairness selten mehr als einen Trostpreis gibt. Der EU wird nichts anderes übrigbleiben, als hart mit den USA über Freihandel zu verhandeln, um nicht ein großer Verlierer im verkappten Handelskrieg zu werden.
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