Windpark vor Rügen
Wenig im Fokus steht bislang, dass ein effizienterer Energieeinsatz die Chancen deutlich verbessern würde, die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen.
Bild: imago/Frank Sorge
Der klimaneutrale Umbau der Volkswirtschaft kann nur dann ein Erfolg werden, wenn gleichzeitig der Energieverbrauch reduziert wird. Ein Blick zurück zeigt, dass dies möglich ist.
„Zehn Prozent gehen immer“ – mit diesem Appell forderte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangenes Frühjahr die Deutschen zum Energiesparen auf.
Offenbar wirkte diese Aufforderung. Nach ersten Schätzungen ging der Energieverbrauch in Deutschland im vergangenen Jahr um knapp fünf Prozent zurück, während gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Leistung real um 1,9 Prozent anstieg.
Dieser Schritt zur Entkoppelung von Wertschöpfung und Energieverbrauch kann nur der erste sein, dem weitere folgen müssen, wenn in Deutschland die ambitionierten energiepolitischen Ziele erreicht werden sollen. Bis 2045 soll das Land klimaneutral werden.
Dazu muss zum einen die Volkswirtschaft überall, wo es realisierbar ist, von fossilen Brennstoffen auf Strom umstellen. Zum anderen muss der damit einhergehende steigende Energiebedarf möglichst ausschließlich aus Erneuerbaren gedeckt werden. Bis 2030 soll die Stromerzeugung auf 750 Terawattstunden (TWh) gesteigert werden.
Dies sind 30 Prozent mehr, als heute verbraucht wird. Mindestens 600 TWh Elektrizität sollen binnen acht Jahren aus regenerativen Quellen stammen. Schließlich soll das Atomkraftzeitalter in Deutschland sehr bald enden, der Kohleausstieg rasch gelingen und anschließend zudem weitgehend auf Erdgas verzichtet werden. Daher sollen Windkraft- und Solarenergieanlagen kräftig ausgebaut werden. Regenerativ erzeugter Strom wird zum Schlüsselelement und Bindeglied der Energiewende.
Wenig im Fokus steht bislang, dass ein effizienterer Energieeinsatz die Chancen deutlich verbessern würde, diese ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen. Je weniger Energie Betriebe, öffentliche Verwaltung und Privathaushalte benötigen, desto weniger Energie muss erzeugt oder importiert werden. Technisch formuliert: Die gleiche Maschinenleistung, Helligkeit, Kälte oder Wärme muss mit einem geringeren Energieeinsatz erreicht werden.
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Das Problem dabei: Die ersten zehn Prozent Einsparungen mögen noch recht einfach und die zweiten mit einigen Anstrengungen möglich sein. Doch irgendwann wird jedes eingesparte zusätzliche Prozent sehr teuer, wenn es keinen Technologiesprung gibt.
Dass solch eine Entkoppelung von Energieverbrauch und Produktion auch über einen längeren Zeitraum durchaus möglich ist, zeigen die Erfahrungen der vergangenen 50 Jahre.
Nach den Ölpreiskrisen 1973 und 1979/81 war es gelungen, den Energieverbrauch bis 1990 annähernd konstant zu halten, während im gleichen Zeitraum die gesamtwirtschaftliche Leistung real um mehr als 80 Prozent anstieg. Zuvor war solch eine Steigerung der Energieeffizienz nicht für möglich gehalten worden, denn in den Wirtschaftswunderjahren 1955 bis 1970 nahm der Primärenergieverbrauch nahezu im Gleichschritt mit der Produktion zu.
Knapp zwei Wochen vor dem Beginn des Jom-Kippur-Kriegs, der die erste Ölkrise 1973 auslöste, hatte die Bundesregierung ein „Energieprogramm“ verabschiedet, das von einem Anstieg des Energieverbrauchs von 35 Prozent bis 1980 und von weiteren 20 Prozent bis zur Mitte 1985 ausging.
Dabei unterstellte die Regierung, dass die Volkswirtschaft im Trend der zurückliegenden Dekaden wachsen würde. Um die Abhängigkeit von Erdölimporten zu verringern, wurde ein schneller Ausbau alternativer Energieträger und nicht zuletzt von Kernenergie angestrebt – damals betrug der Anteil des Erdöls am Primärenergieverbrauch 55 Prozent. Bis zum Jahr 1985 waren Reaktoren mit einer installierten Kapazität zwischen 40 und 50 Gigawatt (GW) geplant, was damals zumindest 35 Kernkraftwerken entsprach.
Diese Pläne wurden freilich nie verwirklicht. Auf ihrem Produktionsmaximum im Jahr 1989 erzeugten die bestehenden 21 Kernkraftwerke 23 GW Strom. Damals ging auch das letzte AKW in der Bundesrepublik ans Netz. Zum einen verhinderten der gesellschaftliche Widerstand gegen die Kernenergie als Folge des fehlenden Endlagers sowie die steigenden Bau- und Betriebskosten einen weiteren Ausbau.
Zum anderen entkoppelten sich angesichts steigender Energiepreise Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch. Der Marktmechanismus funktionierte wie im Lehrbuch: Angesichts gestiegener Preise ging die Energienachfrage deutlich zurück. Vielen Unternehmen war es gelungen, ihre Produkte, Fertigungsverfahren und Geschäftsmodelle den neuen Preisrelationen anzupassen.
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Zudem trug der Strukturwandel von der energieintensiven Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft zu einem rückläufigen Verbrauch bei. Hinzu kamen erste Vorschriften zur Wärmedämmung von Gebäuden und zum Energiesparen ab Ende der 1970er-Jahre.
Nach der Wiedervereinigung setzte sich dieser Entkopplungsprozess beschleunigt fort. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in den vergangenen drei Jahrzehnten real um 57 Prozent, während der Primärenergieverbrauch bis 2021 um 15 Prozent zurückging. Der Industrie gelang es, den Energieeinsatz je Euro Bruttoproduktionswert seit 1991 durchschnittlich um nahezu ein Prozent pro Jahr zu senken, in den Sektoren Handel, Gewerbe, Dienstleistungen waren es sogar zwei Prozent.
Die Rückschau bestätigt also, dass eine wachsende Volkswirtschaft und ein sinkender Energieverbrauch kompatibel sind, sofern der Markt Innovationen hervorbringt – wie das Beispiel Beleuchtung verdeutlicht. Erst wurden die 100-Watt-Glühbirnen durch 70-Watt-Halogenstrahler ersetzt, dann durch 23-Watt-Energiesparlampen und schließlich durch Elf-Watt-LED-Leuchten, sodass heute die gleiche Helligkeit mit nur elf Prozent des Energieeinsatzes erzeugt wird.
Der Autor
Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.
Selbst wenn die bislang realisierten Effizienzpotenziale gesamtwirtschaftlich beachtlich waren, gilt es, dieses Tempo in den kommenden Dekaden noch zu erhöhen. Die deutschen Industrieunternehmen müssen ihre Energieeinsparungen verdoppeln, wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Schätzungen des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie zeigen, dass dies möglich ist. Demnach können bereits mit vorhandenen Technologien jährlich mindestens 200 TWh Energie in der deutschen Industrie eingespart werden – fast ein Drittel des Gesamtbedarfs.
Eine Möglichkeit, dieses Potenzial zu heben, sind höhere Energiepreise, etwa durch steigende CO2-Abgaben. Dabei besteht freilich das Risiko, dass energieintensive Produktionen abwandern und der Standort Deutschland Schaden nehmen würde, ohne dass es dem Klima nutzt.
Eine andere Möglichkeit, Innovationsprozesse zu fördern, wären günstigere Abschreibungsregeln, die oft wie ein Investitionsturbo wirken. „Wir wollen eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter schaffen“, versprachen die Ampelparteien den Unternehmen im Koalitionsvertrag.
Die Absicht, Superabschreibungen einführen zu wollen, ist also da – nur auf die Umsetzung dieser richtigen Idee wartet die Wirtschaft bislang vergeblich.
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