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27.01.2023

11:02

Kommentar – Der Chefökonom

Lindners Plan der Aktienrente kommt gegen die teuren Reformen für Babyboomer kaum an

Von: Bert Rürup

Die von der Bundesregierung geplante Finanzspritze für die gesetzlichen Renten aus Aktienerträgen kommt zu spät, um die Folgen des Alterungsschubs abzufedern. Dennoch ist der Plan vernünftig.

Der Bundesfinanzminister will die gesetzliche Rente mit Aktienerträge kofinanzieren. Doch sein Plan hat Schwächen. IMAGO/photothek

Christian Lindner forciert die Aktienrente

Der Bundesfinanzminister will die gesetzliche Rente mit Aktienerträge kofinanzieren. Doch sein Plan hat Schwächen.

Das vermutlich Beste an der „Aktienrente“ ist der Name. Denn er verbindet die mit dem Begriff „Aktie“ verbundenen hohen Renditeerwartungen mit dem Begriff „Rente“, der Sicherheit suggeriert. Ob der Plan von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) beides halten kann, ist ungewiss.

Zunächst sollen zehn Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in eine Aktienrücklage zur Kofinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung fließen. Nach Lindners Vorstellungen soll – ungeachtet von Widerständen beim grünen Koalitionspartner – dieser bescheidene Kapitalstock in den kommenden 15 Jahren auf 150 Milliarden Euro anwachsen. Aus den Erträgen dieses „Generationenkapitals“ werden dann – wenn es nach dem Finanzministerium geht – ab Mitte der 2030er-Jahre die gesetzlichen Renten gestützt.

Dieses geplante „Generationenkapital“ hat kaum noch etwas mit dem Konzept gemein, das die FDP im Bundestagswahlkampf 2021 propagierte. Der Aufbau des Kapitalstocks soll nicht durch ein Abzweigen von Beiträgen und damit zulasten der Finanzierungsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen. Vielmehr soll die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Renten durch die Erträge rentabel angelegter Bundesmittel gestärkt werden.

Das rentenpolitische Problem Deutschlands ist seit Jahrzehnten bestens bekannt. Schon sehr bald werden die geburtenstarken Jahrgänge (Mitte der 1950er- bis zweite Hälfte der 1960er-Jahre) aus dem Arbeitsleben ausscheiden und durch deutlich schwächer besetzte Kohorten ersetzt werden.

Deshalb war es ab Ende der 1980er-Jahre Ziel der Politik, den Anstieg der gesetzlichen Renten moderat zu dämpfen, um die Rentenbezieher an den finanziellen Lasten der Alterung zu beteiligen. Der letzte große Schritt in Richtung „Nachhaltigkeit“ war die 2007 auf Initiative des damaligen Sozialministers Franz Müntefering (SPD) beschlossene „Rente mit 67“, deren Umsetzung erst im Jahr 2031 abgeschlossen sein wird.

Abschied vom Konsens in der GroKo

Von diesem rentenpolitischen Konsens verabschiedeten sich die beiden Großen Koalitionen der Jahre 2013 bis 2021. Sie wurden vom beschäftigungsintensiven Aufschwung der zurückliegenden Dekade geblendet. So wurden mehrere teure Reformen vorrangig zugunsten der Rentner sowie der geburtenstarken rentennahen Jahrgänge verabschiedet, wie die Rente ab 63, die Mütterrente I und II sowie untere und obere Haltelinien für das Rentenniveau und den Beitragssatz.

Im Gegenzug entfielen mögliche Beitragssatzsenkungen. Die Warnungen vieler Rentenexperten, dauerhafte Leistungsverbesserungen aus temporären Beitragsüberschüssen zu finanzieren, verhallten. Bemerkenswert ist, dass auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampelregierung das Thema Alterung nicht angesprochen wurde.

Die langfristigen Folgen der Reformen des zurückliegenden Jahrzehnts sind gravierend. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts müsste der Beitragssatz von derzeit 18,6 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2050 steigen, wenn der rentenrechtliche Status quo fortgeschrieben wird. Alternativ müsste die Mehrwertsteuer von 19 auf etwa 30 Prozent erhöht werden, um den immensen Anstieg der Bundeszuschüsse finanzieren zu können. Beides scheint wenig wahrscheinlich.

Ungeachtet dessen gilt es als erwiesen, dass wegen einer besseren Risikodiversifizierung Alterssicherungssysteme, die aus einer Mischung aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Renten bestehen, krisensicherer und ergiebiger sind als rein umlagefinanzierte oder rein kapitalgedeckte Systeme.

Grafik

Allerdings ist es nicht möglich, ein optimales Mischverhältnis von Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung zu bestimmen, da sich im Zeitverlauf Bevölkerungsaufbau, Wirtschaftsstruktur, Integration in die internationale Arbeitsteilung und Kapitalmarktergiebigkeit ändern können.

Die in vielen Ländern Neid erweckend hohen Alterseinkommen sind zumeist das Ergebnis eines Zusammenwirkens umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Alterssicherungssysteme. Oft gilt Schweden dafür als ein Vorbild. Dort müssen seit dem Jahr 1999 alle Erwerbstätigen 2,5 Prozent ihrer Bruttoerwerbseinkommen in ein kapitalgedecktes Vorsorgesystem ihrer Wahl investieren.

Daher spricht im Interesse einer stabilen und möglichst hohen Altersversorgung viel dafür, in Deutschland den im internationalen Vergleich geringen Anteil der kapitalgedeckten Alterseinkommen zu erhöhen.

Problem der „doppelten Alterung“

Die wesentlichen Probleme der neuen Aktienrente: Sie kommt zu spät, und ihr Volumen ist klein. Gegen Ende dieser Legislaturperiode beginnen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente zu gehen. Gleichzeitig hält der Anstieg der Lebenserwartung an. Insofern ist die gesetzliche Rentenversicherung in den kommenden gut 15 Jahren mit einer „doppelten Alterung“ konfrontiert.

Wenn ab den 2040er-Jahren die Babyboomer weitgehend verstorben sind, wird aus der doppelten Alterung eine nur von der Zunahme der Lebenserwartung getriebene einfache Alterung, die weit einfacher zu beherrschen ist.

Insofern wären die von den Ministern Heil und Lindner erhofften Erträge aus dem neuen Kapitalstock bereits jetzt sehr hilfreich – und nicht erst in 15 Jahren. Hinzu kommt, dass die Höhe der erwarteten Erträge recht überschaubar ist.

Unterstellt man, dass der deutsche Staat sich zu zwei Prozent verschulden kann, aber langfristig sechs Prozent Rendite am Kapitalmarkt erzielbar sind und die Vermögensverwaltung keine relevanten Kosten verursacht, so können mit einem Anlagekapital von 150 Milliarden Euro jährliche Nettoerträge von sechs Milliarden Euro erzielt werden.

Gegen solch Zinsdifferenzgeschäfte ist im Prinzip nichts einzuwenden – wenn sie denn funktionieren. Das Problem ist, dass diese unterstellten sechs Milliarden Euro jährlich gegenwärtig den Ausgaben der Rentenversicherung von etwa sechs Tagen entsprechen, angesichts des steigenden Rentenvolumens mit stark sinkender Tendenz.

Handelsblatt: Prof. Bert Rürup

Der Autor

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.

Die Aktienrente aus dem angedachten Kapitalstock kann also kaum mehr sein als ein bescheidenes Element der perspektivischen Kofinanzierung. Ganz sicher macht er aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine lebensstandardsichernde Vollversorgung, selbst wenn das Mindestsicherungsniveau von 48 Prozent garantiert würde. Davon könnte man nur dann sprechen, wenn mindestens 70 Prozent des in den letzten Arbeitsjahren bezogenen Erwerbseinkommens ersetzt würden. Doch davon ist die gesetzliche Rentenversicherung weit entfernt.

Die Aktienrente ist daher ein kleiner Fortschritt, aber keineswegs ein Ersatz für eine private oder betriebliche Zusatzversorgung. Daran wird auch das von Sozialminister Heil in Aussicht gestellte Rentenpaket II nichts ändern, mit dem das Mindestsicherungsniveau dauerhaft festgeschrieben werden und die obere Haltelinie für den Beitragssatz von 20 Prozent ab 2025 abgeschafft werden soll.

Sollte es dazu kommen, müsste der Bund nicht nur fünfzehn Jahre lang zehn Milliarden Euro für das „Generationenkapital“ aufbringen, sondern zusätzlich einen mit dem Rentenbeitragssatz steigenden Bundeszuschuss finanzieren. Finanzminister Lindner würde seinen Nachfolgern eine schwere Hypothek hinterlassen.

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