PremiumDer Traditionskonzern zieht sich von der Frankfurter Börse zurück. Aus Unternehmensperspektive kann man das nachvollziehen, für den Standort ist es ein herber Rückschlag.
Gaszylinder von Linde
Der Leitindex Dax verliert sein wertvollstes Mitglied.
Bild: Linde AG
Schon vor der Fusion mit Praxair war Linde ein internationales Unternehmen. Mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter waren im Ausland tätig, dort saß auch der Großteil der Eigentümer.
Doch in den vergangenen Jahren ist der Konzern seiner ursprünglichen Heimat weiter entrückt: der formale Sitz in Dublin, der Steuersitz in London, die operative Führung zu großen Teilen in den USA. Nun folgt der Rückzug von der Frankfurter Börse. Die Kritiker der Fusion, die darin eine heimliche Übernahme durch die Amerikaner sahen, fühlen sich bestätigt.
Das ist zunächst für den Finanzplatz Frankfurt ein herber Rückschlag, ist Linde doch das wertvollste Unternehmen im Dax. Deutschland steht, auch aufgrund einer wenig ausgeprägten Aktienkultur, international in Sachen Börse in einer der hinteren Reihen. Schon bislang wurde auch der Großteil der Aktien von Linde an der Wall Street gehandelt.
Aus Sicht des Managements und der Aktionäre ist die Entscheidung nachvollziehbar. Die industrielle Logik der Fusion ging auf, wie wiederum die Befürworter prophezeit hatten, und der Kurs legte kräftig zu. Linde stieß dadurch immer wieder an die Kappungsgrenze von zehn Prozent, mit der die Deutsche Börse das Indexgewicht eines einzelnen Dax-Werts bei jeder Neuberechnung des Indexes begrenzt.
Solange sich die Aktie besser entwickelt als der Dax, müssen Fonds, die den deutschen Leitindex abbilden, immer wieder Linde-Aktien verkaufen.
Das drückt den Kurs. Eine Neuregelung kam trotz vieler Gespräche hinter den Kulissen nicht zustande. Der Abschied Lindes, das seit dem Zusammenschluss noch stärker auf Rendite und Shareholder-Value ausgerichtet ist, ist dann die erwartbare Konsequenz. In Danbury sitzen keine Romantiker, sondern knallharte Rechner.
Dass Linde Nachahmer findet, ist zumindest kurzfristig eher nicht zu erwarten. SAP, nach Börsenwert die Nummer zwei hinter Linde, ist ebenfalls in Deutschland und den USA gelistet, hat derzeit aber keine Pläne für einen Rückzug hierzulande. Andere deutsche Konzerne wie Siemens haben sich in der vergangenen Dekade eher von der Wall Street verabschiedet, weil sich die Erwartungen an ein Doppellisting nicht erfüllt hatten.
Die Kappungsgrenze im Dax hat durchaus ihren Sinn, zumal der Gesetzgeber derzeit Fonds ohnehin nur ein Investment von bis zu zehn Prozent in Einzelaktien erlaubt. Die Diversität soll gesichert, die Abhängigkeit von einzelnen Schwergewichten in Grenzen gehalten werden. Es gibt ja ohnehin schon einige Klumpen in der höchsten deutschen Börsenliga, von der starken Präsenz der Automobilbranche bis zu Unternehmensfamilien wie bei Siemens.
Dennoch sollten die Beteiligen weiter nach flexiblen Lösungen suchen, um einen zweiten Fall Linde in weiterer Zukunft möglichst zu vermeiden. Ein erster Schritt war bereits die Erweiterung des Dax auf 40 Mitglieder, die das Gewicht einzelner Titel verringert. Doch bei Linde lief der Kurs so gut, dass man schon bald wieder an die Grenzen stieß.
Erstpublikation: 18.01.23, 19:27 Uhr.
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