Der türkische Präsident hat diplomatische Erfolge erzielt. Das könnte sich bei den Wahlen im kommenden Jahr auszahlen. Deutschland sollte sein Erdogan-Bild anpassen.
Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident bei der Eröffnung eines internationalen Forums.
Bild: dpa
Das Ergebnis war frustrierend, wohl auch für Recep Tayyip Erdogan. Auf Initiative des türkischen Staatschefs hatten sich die Außenminister Russlands und der Ukraine gemeinsam mit dem türkischen Amtskollegen in Antalya an einen Tisch gesetzt, um über eine Waffenruhe in der Ukraine zu sprechen.
Doch während der ukrainische Chefdiplomat Dmytro Kuleba ein Ende des Blutvergießens insbesondere in Städten wie Mariupol herbeiführen wollte, blieb Sergej Lawrow aus Moskau hart: Er sei gekommen, um zuzuhören – nicht, um etwas an der Lage zu ändern.
Gleichwohl: Ausgerechnet die Türkei könnte den Boden für Friedensgespräche bereitet haben. Ausgerechnet Erdogan, der in Deutschland dafür bekannt ist, Journalisten abzustrafen, Gegner einzusperren und Streit mit der EU zu suchen. Dieses Bild vom türkischen Staatspräsidenten hat sich in Deutschland verfestigt.
Aber es sollte angepasst werden. Auch weil ein Erfolg auf dem diplomatischen Parkett Erdogan durchaus bei den Wahlen im kommenden Jahr helfen könnte.
Die türkische Gesellschaft ist innenpolitisch gespalten, aber außenpolitisch existiert ein großer Konsens. Der lautet, dass die Türkei auf der Weltbühne so stark wie möglich auftreten sollte – innenpolitischen Problemen und einer Rekordinflation von zuletzt 53 Prozent zum Trotz.
In der Tat hat der türkische Staatschef im Schatten seiner autoritären Innenpolitik sein außenpolitisches Geschick das eine oder andere Mal unter Beweis gestellt.
In der Ägäis hat Erdogan im Streit um Seegrenzen bisher keinen Deut nachgegeben. Die Sanktionen der EU sind wieder aufgehoben worden, obwohl der Streit nicht beendet ist. Dennoch kommt am Sonntag der griechische Ministerpräsident nach Istanbul. In Aserbaidschan und Libyen hat Erdogan dank seiner Drohnenarmee die Kriege zu seinen Gunsten wenden können, in Syrien hat er mit Russland ein Patt erreicht.
Zweckbündnis Putin und Erdogan
Der Türke sieht in dem Russen ein Vorbote seines eigenen Schicksals.
Bild: via REUTERS
In den vergangenen Wochen hat Erdogan außerdem die Beziehungen zu Staatschefs aus Saudi-Arabien, den Arabischen Emiraten und Israel wieder gekittet. Und als Nato-Mitglied hat es die Türkei schlussendlich geschafft, Russland und die Ukraine an einen Tisch zu bringen – wenn auch bisher ohne greifbaren Erfolg.
Dass er das erreicht hat, liegt an einem diplomatischen Balanceakt: Die Türkei hat die Kämpfe in der Ukraine verurteilt, aber keine Sanktionen gegen Russland erlassen. Dem ukrainischen Militär lieferte die Türkei Kampfdrohnen, sperrte aber gleichzeitig den Bosporus für jegliche Marineschiffe, deren Basis nicht im Schwarzen Meer liegt.
US-Präsident Joe Biden, der Erdogan seit seinem Amtsantritt monatelang ignoriert hat, rief gleich nach dem Dreiergipfel Erdogan an, um sich ein persönliches Briefing geben zu lassen. Am Montag kommt Bundeskanzler Olaf Scholz in die Türkei. Er wird dort wohl kaum Forderungen stellen, sondern sich ebenfalls von Erdogan anhören, wie es im Ukrainekrieg wohl weitergehen wird.
Für den Blick auf Erdogan lässt das zwei Schlüsse zu. Zunächst sollten westliche Türkeibeobachter nicht unterschätzen, dass solche außenpolitischen Erfolge in der Türkei wahlentscheidend sein können. Das harte Auftreten finden einerseits viele in der Türkei toll; von guten Beziehungen zu den Nachbarn profitieren andererseits zahlreiche Unternehmen und ihre Mitarbeiter. All das zählt am Wahltag.
Zweitens sollte Deutschland sein Bild von Erdogan neu kalibrieren. Ihm nicht vergeben, dass er Tausende verhaften und abstrafen ließ; aber erkennen, dass seine derzeitige Politik jetzt durchaus wieder Anhänger finden kann.
Entscheidend dafür wird sein, ob er Russland und die Ukraine erneut an einen Tisch bringen kann. Das würde die Türkei endgültig zu einem wichtigen Akteur auf der Weltbühne machen – und darauf kommt es vielen Wählerinnen und Wählern in dem Land an.
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