Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

28.02.2020

04:09

Kommentar

Der Staat ist kein guter Forscher – was uns das Virus lehrt

Von: Siegfried Hofmann

Im Kampf gegen das Coronavirus braucht es keine zentrale, staatliche Initiative. Stattdessen sind Anreizsysteme und kreative Forscher gefragt.

Weltweit arbeiten Forscher an einem Impfstoff gegen das Coronavirus. dpa

Pharmaforschung

Weltweit arbeiten Forscher an einem Impfstoff gegen das Coronavirus.

Die Coronakrise hat nun auch Europa mit Macht erfasst. Die Gefahr, dass sich die neuartige Infektionskrankheit zur globalen Pandemie entwickelt, wird damit von Tag zu Tag größer. Ist angesichts dieser Entwicklung nicht allmählich auch eine große, staatlich gesteuerte und möglichst globale Initiative in der Forschung nötig, um endlich Impfstoffe und Medikamente gegen diese neue Infektionskrankheit zu entwickeln?

Die Forderung liegt nahe. Sie ist trotzdem mit Vorsicht zu genießen. Es gilt, die Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Auch mit noch so großen Ressourcen wird es nicht möglich sein, mal eben in wenigen‧ Wochen oder Monaten eine neue, sichere Arznei gegen einen Erreger wie das Coronavirus zu entwickeln. Dazu ist die Biologie schlicht zu kompliziert.

Auch wenn es im Labor heutzutage relativ schnell gelingt, Moleküle zu konstruieren, die solche Viren zerstören können, bleiben mit Blick auf den medizinischen Einsatz viele Fragen offen: Wie funktioniert ein solcher Wirkstoff im Körper von Patienten? Überlebt er überhaupt lange genug, um an den Ort des Geschehens zu gelangen? Greift er keine gesunden Zellen an?

Pharmaentwickler benötigen Jahre, um solche Fragen in präklinischen Experimenten und Tierversuchen zu klären. Erst dann können die ersten Versuche am Menschen starten. Auch die erfordern Zeit und Gründlichkeit, um Sicherheit und Wirksamkeit zu belegen. Alles andere wäre ein Lotteriespiel und Quacksalberei.

Deshalb ist klar, dass Gegenmittel auf kurze Sicht allenfalls unter den bereits bekannten, zumindest teilweise bereits geprüften Arzneien zu finden sein werden. Immerhin haben sich hier bereits einige Kandidaten herauskristallisiert.

Ähnlich ist die Situation bei Impfstoffen. Die US-Firma Moderna lieferte vor wenigen Tagen einen ersten Impfstoffkandidaten aus, der ab Ende April bei den ersten Probanden getestet werden soll. Das ist ein extrem schneller Erfolg bei einem Virus, das gerade mal seit zwei Monaten bekannt ist. Aber auch dieser Impfstoff müsste nach den ersten Tests an einer deutlich größeren Zahl von Menschen überprüft werden. An einen Masseneinsatz ist selbst im Erfolgsfall vor 2021 kaum zu denken.

Sozialistische Staaten haben nichts zum Fortschritt beigetragen

Welche Risiken in einer solchen Impfstoffentwicklung schlummern, zeigte sich bei dem von Sanofi erforschten Vakzin gegen das Dengue-Fieber. Der in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelte Impfstoff sorgte in der Praxis dafür, dass sich die Krankheit bei einem Teil der Geimpften verschlimmerte.

Auch grundsätzliche Erwägungen sprechen gegen die Idee einer staatlichen Medikamentenentwicklung. Praktisch alle bedeutenden Pharmainnovationen der letzten 100 Jahre sind aus einer Kombination von akademischer Grundlagenforschung und privater, profitorientierter Produktentwicklung entstanden. Sozialistische und zentral gesteuerte Staaten haben so gut wie nichts zum medizinischen Fortschritt beigetragen.

Selbst die erfolgreichen westlichen Pharmakonzerne versuchen inzwischen, ihre Forschung eher noch weiter zu dezentralisieren – etwa über Kooperation mit jungen Biotechfirmen, die wiederum von Risikokapitalgebern mit vielen Milliarden Euro angefüttert werden. Warum sollte nun ausgerechnet im Fall Corona eine staatlich dirigierte Arzneimittelentwicklung diesem System überlegen sein?

Klar ist indessen, dass auch die industrielle Pharmaforschung auf vernünftige Rahmenbedingungen und Anreizsysteme angewiesen ist. Hier liegt gerade mit Blick auf Infektionskrankheiten durchaus einiges im Argen. Denn unter heutigen Bedingungen ist es für Pharma- und Biotechfirmen finanziell völlig unattraktiv, Medikamente gegen sporadisch auftretende Krankheiten zu entwickeln oder sich sogar auf noch unbekannte Erreger vorzubereiten.

Mangelnde Anreize für Forschung

Viele Firmen sind daher komplett aus der Infektionsforschung ausgestiegen. Nicht umsonst wird seit Jahren bereits intensiv über den Mangel an Wirkstoffen gegen antibiotikaresistente Keime diskutiert. Im Prinzip sind dort, wo hohe Millionenbeträge für Medikamente gezahlt werden, die vielleicht nur ganz selten oder sogar gar nicht eingesetzt werden, andere Erstattungsmodelle notwendig.

Auch in der Infektionsdiagnostik gibt es riesige Defizite. Von routinemäßigen Tests auf Influenzaviren etwa sind deutsche Arztpraxen Lichtjahre entfernt. Bakterielle Erreger werden selbst in vielen Kliniken noch wie zu Zeiten Robert Kochs analysiert. Das liegt zum einen am Erfolg der Breitband-Antibiotika, zum anderen an mangelnden finanziellen Incentives für eine intensivere Diagnostik.

Am Ende ist das vermutlich eine der wichtigsten Lehren aus der Coronakrise. Es ist keine staatliche Medikamentenentwicklung nötig, wohl aber ein besseres Anreizsystem, um die Industrie generell stärker in Richtung Infektionskrankheiten zu lenken. Die aktuelle Epidemie wird man damit zwar nicht mehr verhindern können. Vielleicht aber die nächste.

Mehr: Das Coronavirus und die Lungenkrankheit Covid-19 sind derzeit weltweit das beherrschende Thema. Wir klären Fragen rund um das Virus SARS-CoV-2.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×