Die britische Regierung verdrängt weiterhin eine wichtige Ursache für die wirtschaftliche Misere. Wenn das Land krisenfester werden will, braucht es eine ehrliche Brexit-Bilanz.
Jeremy Hunt mit dem berühmten „Budget“-Koffer
Der britische Finanzminister hat einen Wachstumsplan vorgelegt. Über die negativen Folgen des Brexit will er aber nicht reden.
Bild: AP
Wie formuliert man einen Wachstumsplan, ohne die größte Wachstumsbremse zu lösen? Mit seinem „Budget for Growth“ hat der britische Finanzminister Jeremy Hunt diese Woche das Kunststück vollbracht, die wirtschaftliche Misere seines Landes zu beschreiben und dabei den Brexit nur an einer einzigen Stelle zu erwähnen: Die geringere Biersteuer verkaufte er als „Brexit Pubs Garantie“.
Der wirtschaftspolitische Diskurs in Großbritannien krankt seit dem Votum für einen EU-Austritt 2016 an dem „Drei Affen“-Tabu: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. „Die Tories wollen nicht darüber reden, Labour will es nicht, die Gewerkschaften und der Industrieverband CBI wollen es nicht, und auch die nationalen Fernsehsender meiden das Thema“, konstatierte der ehemalige britische Finanzminister George Osborne kürzlich die nationale Verdrängungsanstrengung.
Einiges, was Hunt am Mittwoch in seinem Wachstumsplan angekündigt hat, geht in die richtige Richtung: Großzügige Abschreibungen können die lethargische Investitionstätigkeit der Unternehmen verbessern. Wobei das auf drei Jahre befristete Programm dazu führen könnte, dass Investitionen nur vorgezogen und nicht erhöht werden.
Auch die Arbeitsanreize durch eine bessere Kinderbetreuung und steuerliche Vergünstigungen zu erhöhen ist richtig. Ähnlich wie in den USA gab es im Königreich nach der Pandemie ebenfalls eine Art „Great Resignation“ – viele Beschäftigte sind einfach nicht auf den Arbeitsmarkt zurückgekehrt.
Wenn das Land jedoch krisenfester werden und sein beachtliches Wachstumspotenzial besser ausnutzen will, braucht es eine ehrliche Brexit-Bilanz. Anders als die übrigen Industrienationen wurde Großbritannien nach den Worten der britischen Notenbankerin Catherine Mann von einem einzigartigen Schock getroffen: „Kein anderes Land hat sich dazu entschlossen, seinen engsten Handelspartnern einseitig Handelsschranken aufzuerlegen.“
Nach Berechnungen des parteiunabhängigen Office for Budget Responsibility (OBR) wird die Handelsintensität der traditionsreichen Handelsnation durch den Brexit langfristig um 15 Prozent zurückgehen. Darüber verlor der britische Finanzminister kein Wort.
Und noch eine politisch unangenehme Statistik vergaß Hunt in seiner Haushaltsrede: Das OBR rechnet langfristig mit einer Netto-Einwanderung von 245.000 Migranten pro Jahr, wobei der Rückgang von EU-Einwanderern durch Personen aus Nicht-EU-Ländern überkompensiert wird. Ihr Brexit-Versprechen, die Einwanderungszahlen nach unten zu bringen, werden die regierenden Tories nicht halten können. Die Einwanderung ist sogar höher als vor dem EU-Austritt.
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