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30.01.2023

17:39

Kommentar

Großbritannien braucht mehr als einen Platzhalter für die Zukunft

Von: Torsten Riecke

Rishi Sunak ist seit fast 100 Tagen britischer Premierminister. Viele Briten wissen jedoch immer noch nicht, wohin er das Königreich führen will.

Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, spricht im Rahmen einer Fragestunde an der Teesside University in Darlington. dpa

Britischer Premier Rishi Sunak kann das Führungsvakuum nicht füllen

Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, spricht im Rahmen einer Fragestunde an der Teesside University in Darlington.

Am Donnerstag ist der britische Premierminister Rishi Sunak 100 Tage im Amt. Das ist in diesen unruhigen Zeiten in London an sich schon ein Erfolg, musste seine Vorgängerin Liz Truss doch bereits nach der Hälfte der 100-Tage-Frist zurücktreten.

Sunak ist es mit ruhiger Hand zwar gelungen, Großbritannien politisch und finanziell zu stabilisieren. Eine neue Richtung konnte er dem durch Selbstzweifel, Fliehkräfte und Wirtschaftskrise verunsicherten Königreich jedoch nicht geben. Das liegt nicht nur daran, dass der 42-jährige Premier versucht, das Land wie ein Technokrat zu lenken.

Nach den chaotischen Erfahrungen mit Boris Johnson und Liz Truss tut dem Königreich etwas mehr nüchterne Kompetenz an der Spitze ganz gut. Dass Sunak das Führungsvakuum dennoch nicht zu füllen vermag, liegt einmal daran, dass sich die Briten nach dem irrlichternden Zickzackkurs der vergangenen Jahre nicht nur nach Ruhe, sondern auch nach einer Zukunftsvision sehnen, die über die aktuelle Wirtschaftskrise hinausreicht.

Und es liegt an einer Konservativen Partei, die nach 13 Jahren an der Macht ähnlich ausgelaugt und zerrissen wirkt, wie sie es während der 1990er-Jahre schon einmal war. „Schwach, schwach, schwach!“, rief der damalige Oppositionschef Tony Blair dem Premier John Major zu. Zwei Jahre später saß Blair in 10 Downing Street. Der heutige Labour-Chef Keir Starmer führt Sunak jetzt mit den gleichen Worten vor.

Die konservativen Regierungen haben die sieben Jahre seit dem Brexit-Referendum vor allem damit verbracht, zu sagen, was sie nicht wollen. Die EU war ein willkommener Antagonist, auf den man viele, auch hausgemachte Probleme abschieben konnte – von der unkontrollierten Einwanderung bis hin zum schwachen Wirtschaftswachstum. Noch in der vergangenen Woche machte Finanzminister Jeremy Hunt die „Fesseln“ früherer EU-Regulierungen für die chronische Investitionsschwäche verantwortlich.

Frank Hoppmann

Die Probleme haben sich seit dem Austritt aus der EU jedoch nicht verringert, im Gegenteil: Zwar gingen die Einwanderungszahlen aus der EU seit dem Brexit um gut 70 Prozent zurück, zugleich verdoppelte sich jedoch die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. Und beim Wirtschaftswachstum liegt Großbritannien in diesem Jahr auf dem letzten Platz unter den sieben großen Wirtschaftsnationen. Was auch damit zu tun hat, dass der Brexit die Wachstumskräfte im Land geschwächt hat.

Der konservativen Regierung fehlt eine Zukunftsvision

Sunak versucht, den Brexit-Kater mit der Wortschöpfung „Innovation Nation“ zu vertreiben. Sein Finanzminister träumt sogar von einem neuen Silicon Valley an der Themse. Dass Hunt noch im November die Steuererleichterungen für kleine Start-ups zusammenstrich, zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit oft nicht zusammenpassen. Tony Danker, Chef des Industrieverbands CBI, warnt zudem, dass Großbritannien beim grünen Subventionswettlauf zwischen den USA und der EU auf der Strecke bleiben könnte.

Hohl geblieben ist auch die von Johnson geerbte Idee, die Lebensverhältnisse zwischen dem reichen Süden und dem ärmeren Norden anzugleichen. Das Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen ist eher größer als kleiner geworden. Ähnliches gilt für den Zusammenhalt der vier Nationen im Vereinigten Königreich. In Schottland drängen die Nationalisten weiter auf Unabhängigkeit, in Nordirland planen sie noch in diesem Jahrzehnt die Wiedervereinigung mit den Landsleuten im Süden.

Sunak bleiben bis zu den nächsten Wahlen noch knapp zwei Jahre, um das Ruder im Land herumzureißen und die eigene Partei in den Griff zu bekommen. Dass dies zu schaffen ist, dachte John Major 24 Monate vor der historischen Schlappe 1997 auch.

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