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19.01.2022

13:44

Kommentar

Übernahme von Activision Blizzard: Microsoft darf die Vorwürfe nicht bagatellisieren

Von: Alexander Möthe

Wirtschaftlich betrachtet ist der Zeitpunkt für den Deal perfekt. Doch die Folgen eines Imageskandals, wie er den Spieleentwickler belastet, sind kaum kalkulierbar.

Microsofts Monsanto-Moment dpa

Microsoft kauft Activision Blizzard

Wirtschaftlich richtig, aber mit einem schwer kalkulierbaren Risiko.

Gibt ein gestandener CEO wie Satya Nadella fast 70 Milliarden Dollar für die größte Übernahme in der Konzerngeschichte aus, hat er sich das gut überlegt. Die Kollegen im Vorstand, der Aufsichtsrat, die Aktionäre – alle müssen überzeugt von dem Deal sein. Und alle Risiken müssen vorab abgeschätzt werden, auch durch Rechtsgutachten.

Wenn der Microsoft-Chef also in den kommenden 18 Monaten 68,7 Milliarden Dollar zahlt, um den Spieleentwickler und Publisher Activision Blizzard zu kaufen, weiß es genau, was er tut.

Schließlich kennt und schätzt man sich. Activision Blizzard entwickelt auch für Microsofts Xbox-Konsole Blockbuster-Games in Serie. Der Markt für Gaming ist der am stärksten wachsende Markt im Bereich Entertainment, mit Spielen lässt sich mehr umsetzen als mit Hollywood-Filmen.

Dazu steigt der Konsolidierungsdruck durch kauffreudige Unternehmen wie den Weltmarktführer Tencent. Wirtschaftlich betrachtet ist der Zeitpunkt für die Übernahme perfekt. Eigentlich.

Denn der Spieleentwickler hat große Probleme: Der Blizzard-Teil des börsennotierten Unternehmens steht gerade erst am Anfang der Aufarbeitung eines Skandals um sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch. Der geschmacklose Begriff „Cosby Suite“ wird dem Unternehmen für immer anhaften: So nannten leitende Angestellte ein Hotelzimmer, in dem sie mehreren Berichten zufolge Mitarbeiterinnen sexuell belästigten. Die Aktie verlor danach rund 30 Prozent.

Microsoft bringt viel Ärger ins eigene Haus

Microsoft hat dadurch einen Rekordabschlag auf den Kaufpreis bekommen. Doch gerade die Folgen von Imageskandalen sind nicht seriös kalkulierbar. Streiks der Belegschaft sowie Ermittlungen durch US-Behörden lassen Activision Blizzard wohl bis auf Weiteres nicht zur Ruhe kommen. Activision-CEO Bobby Kotick widerstand bisher allen Rücktrittsforderungen. Absoluter Aufklärungswille ist nicht erkennbar.

Kotick wird nun auch die Übernahme begleiten und danach laut Insiderberichten zurücktreten. Er wird so zur Versicherung für Microsoft: Eskaliert der Skandal, sitzt er nah am Notausgang. Platzen die Verfahren oder man einigt sich außergerichtlich, kann Microsoft die Aufarbeitung vorantreiben und mit Koticks regulärer Demission für beendet erklären.

Grafik

Aus der Branche heißt es, dass Microsoft bei Activision Blizzard aufräumen kann und wird. Doch noch zu erwartende Klagen bergen in den USA verheerendes Potenzial. Ein Beispiel dafür ist die Monsanto-Übernahme durch Bayer. Der Dax-Konzern kaufte den Glyphosat-Hersteller für 66 Milliarden Dollar, schätzte die Rechtsrisiken bezüglich laufender Klagen gegen den umstrittenen Unkrautvernichter als beherrschbar ein. Zum Problem wurden dann nicht die Milliarden-Rückstellungen für Schadensersatz. Es war das verlorene Vertrauen der Investoren, das Bayer massiv belastete. Drastisch fallende Aktienkurse kann sich selbst eins der wertvollsten Unternehmen der Welt wie Microsoft nicht erlauben.

Nadella muss aufpassen, will er den Monsanto-Moment bei Microsoft vermeiden. Er darf die Vorwürfe nicht bagatellisieren. Er muss die Chance nutzen, echten Kulturwandel vorzuleben. Er muss die emotionale Fan-Community lesen lernen.

Denn Gaming-Kunden sind Fans – und die sind organisiert. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige „Aufschreie im Netz“. Wie machtlos Unternehmen sind, wenn Communitys „die Großen“ herausfordern, hat sich vor einem Jahr gezeigt. Über das Reddit-Forum Wall Street Bets sprachen sich Gamer ab, um Aktien zu kaufen und so unter anderem den Kurs der Gamestop-Aktie zu manipulieren – und zwangen mit dieser Unberechenbarkeit ganze Hedgefonds in die Knie.

Gamer sind keine spitze Zielgruppe mehr, die nehmen muss, was sie kriegen kann. Sie sind heterogene, anspruchsvolle, leidenschaftliche und sehr aufmerksame Kunden.

Microsoft investiert fast 70 Milliarden Dollar in deren aktuell skandalträchtigsten Anbieter.

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