Bundeskanzler Olaf Scholz hat angeregt, dass mehr Beschäftigte bis zu ihrem Renteneintrittsalter arbeiten sollten. Die Handelsblatt-Leserschaft debattiert, wie sinnvoll das ist.
Älterer Mann beim Streichen
Beim Thema Fachkräftemangel wird derzeit diskutiert, ob mehr Menschen bis zu ihrem offiziellen Renteneintrittsalter arbeiten sollten.
Bild: dpa
Düsseldorf Erst wünschte sich Bundeskanzler Olaf Scholz, dass mehr Beschäftigte bis zu ihrem offiziellen Renteneintrittsalter arbeiten. Dann legte Arbeitsminister Hubertus Heil in der Rentendebatte nach und forderte in der „Bild am Sonntag“, dass Unternehmen vermehrt auch ältere Arbeitnehmer einstellen sollten. Dies soll helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
In den Zuschriften der Handelsblatt-Leserschaft zu dieser Debatte finden sich viele, die gar nicht vorhaben, frühzeitig in Rente zu gehen. So schreibt ein Leser sogar: „Es ist eine moralische Verpflichtung, seine Arbeitskraft dem Markt zur Verfügung zu stellen, wenn man sie noch hat, und sich nicht von der Sozialgemeinschaft ernähren zu lassen, wenn man es nicht nötig hat.“
Nur gibt es eben auch Menschen, die durch die Belastung im Beruf „aus körperlichen Gründen definitiv nicht mehr länger arbeiten“ können, wendet ein Leser ein. Deshalb fragt ein anderer: „Warum lässt man nicht Fachkräfte im Rentenalter frei entscheiden, ob sie weiterarbeiten wollen?“
Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, hätten die Handelsblatt-Leser zudem einige andere Vorschläge, wie eine verstärkte Integration von Fachkräften aus dem Ausland oder eine Stärkung der dualen Ausbildung.
Aus den Zuschriften der Handelsblatt-Leserschaft haben wir eine Auswahl für Sie zusammengestellt.
„Ja, die älteren Menschen, die noch auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein möchten, haben vielerlei nützliches Expertenwissen. Deren Einsatz würde helfen.
Unternehmen müssen hierfür flexibler werden: Wenn ich 55 oder 60 Jahre alt bin, möchte ich keine 60 bis 70 Stunden pro Woche mehr arbeiten. Leistung wird dann nicht mehr durch fortdauernde Hochleistung (oder gar Überlastung) erfolgen (können). Vielmehr sind dann vielleicht 15 bis 30 Stunden angemessen, auf zwei, drei oder vier Tage verteilt.
Ich selbst arbeite mit vielen Teilzeitkräften. Alle Vorurteile dazu sind Humbug. Die Unternehmer und Unternehmerinnen müssen nicht nur wirtschaftlich mutig sein, sondern auch in Sachen Personalstrategie.“
Thomas Probst
„Das Verhalten der beiden Herren ist schon unverfroren zu nennen. Es war schließlich die SPD, die mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren für einen vorzeitigen Abgang von Fachpersonal sorgte. Das müsste wieder zurückgenommen werden.
Fachkräfte müssen wir verstärkt aus dem Ausland integrieren. Es wäre hilfreich, wenn die Anforderungen an die Qualifikation nicht so extrem hochgeschraubt werden.“
Wolfgang Köbler
>> Lesen Sie dazu: Olaf Scholz wünscht sich, dass mehr Beschäftigte bis 67 arbeiten. Dabei hat seine Partei eine Mitschuld am Trend zur Frühverrentung.
„Ich persönlich habe auf gar keinen Fall vor, ‚früher‘ in Rente zu gehen, da sich dies für mich aus persönlichen Gründen ohnehin verbietet.
Die jüngst geäußerten Aufforderungen von Heil und Scholz sind meines Erachtens nach grober Unfug. Man kann Unternehmen nicht dazu zwingen, ältere Mitarbeiter einzustellen, wenn sie dies nicht aus freien Stücken tun.
Hingegen könnte man unter anderem steuerrechtliche Anreize schaffen, um hochqualifizierte Fachkräfte im Betrieb zu halten; in unserer Firma versuchen wir etwa, hervorragende Senior-Key-Account-Manager zu halten, die normalerweise mit 63 in die ‚Frührente‘ gehen würden.
Dem Fachkräftemangel kann man nur durch drei Maßnahmen entgegenwirken: 1) Massive Stärkung der dualen Ausbildung in Deutschland, inklusive der Anhebung von deren Sozialprestige. 2) Aufhebung des unsinnigen Numerus Clausus – eine natürliche Selektion könnte alternativ durch die Universitäten selbst in den ersten Semestern geschehen. 3) Massive Anwerbung von ausländischen High Potentials – Deutschland muss als Einwanderungsland für Hochqualifizierte attraktiver gemacht werden, in direkter Konkurrenz zu den USA und Kanada.
Das starre – fixe – Rentenalter muss aufgehoben und durch ein flexibles Modell ersetzt werden.“
Sven Petran
„Der Fachkräftemangel ist vielfach hausgemacht. Seit zwei Jahren suche ich mit meiner Ausbildung als Werkzeugmacher, Maschinenbauingenieur mit zusätzlichem Wirtschaftsstudium, Weiterbildung als Onlineredakteur, Produktmanager, Webadmin und vielen weiteren Fähigkeiten eine Aufgabe in der Automobilindustrie. Über 20 Jahre habe ich dort als Key-Account-Manager in kleinen und mittleren Unternehmen die OEMs und 1th Tiers gemanagt.
Heute, im Alter von 60 Jahren, mit weiteren möglichen sechs Jahren Berufstätigkeit bis zum Renteneintritt, bin ich ein Paria in der Industrie. Trotz unzähliger Bewerbungen und Hilfe durch Headhunter habe ich keine Arbeit gefunden, obwohl ich mit 60 Jahren voll arbeitsfähig bin.
Mein Eindruck ist, dass ich aufgrund meines Alters aussortiert werde, obwohl gerade die älteren Mitarbeiter entscheidende Vorteile mitbringen. Jung ist leider im Trend. Für viele unternehmungslustige ältere Fachkräfte bleibt nur die Selbstständigkeit oder eine Tätigkeit als Lkw-Fahrer oder Pflegekraft.“
Oliver Denk
„Ich bin 62 Jahre alt, stehe 46 Jahre im Berufsleben und habe vor, auch noch bis über mein gesetzliches Renteneintrittsalter mit 66 Jahren und 5 Monaten hinaus zu arbeiten.
Es ist eine moralische Verpflichtung, seine Arbeitskraft dem Markt zur Verfügung zu stellen, wenn man sie noch hat, und sich nicht von der Sozialgemeinschaft ernähren zu lassen, wenn man es nicht nötig hat. Wer soll denn noch die Dienstleistungen erbringen, die die ältere Generation haben will und braucht, aber gleichzeitig immer früher noch arbeitsfähig in Rente gegangen wird?“
Ernst Kranert
„Olaf Scholz hat gut reden, natürlich gibt es mehr als genug Rentner, die noch weiterarbeiten können oder wollen, bei einigen sieht es allerdings anders aus. Menschen, die seit ihrem 14. Lebensjahr in hand‧werklichen Berufen gearbeitet haben, können aus körperlichen Gründen definitiv nicht mehr länger arbeiten. Eine Verallgemeinerung der Altersgrenze ist unter diesem Gesichtspunkt überhaupt nicht möglich.
Zum Thema Fachkräftemangel prinzipiell: In Deutschland ist die berufliche Karriere viel zu häufig vom Elternhaus abhängig. Auch in der Schule wird häufig überhaupt nicht persönlich gefördert, sondern nur der Lehrplan abgehakt. Wer nicht im Fach XY mindestens die und die Note hat, fällt durch. Grundsätzlich ist ein System der Allgemeinbildung gut, in dieser Form eher NICHT. Einen wirklich guten Support bekommen Schulen doch nur punktuell. Wir erfahren als Eltern täglich am eigenen Leib, was funktioniert und was nicht. Es geht doch viel zu häufig um Einstellungstermine für Lehrer oder Planstellen etc., nicht darum, was WIRKLICH dringend ist, so kann das ganze System nicht funktionieren.“
Mirko Hensgen
„Ich liebe meinen Job und bin froh, dass ich daher nicht ständig zwischen ‚work‘ und ‚life‘ die ‚balance‘ suchen muss. Meine Arbeit gehört zu meinem Leben. Und da ist dann noch die Sache, meine Kinder so lange finanziell unterstützen zu wollen, bis sie ihr Studium abgeschlossen haben. Was aber der allerwichtigste Punkt ist: Ich bin gesund.“
Christoph Andexlinger
„Ich habe bis zum Renteneintrittsalter gearbeitet. Für so etwas brauchte man damals aber einen rationalen Arbeitgeber. Als ich 45 Jahre alt war, erzählte mir ein Vorstandsvorsitzender, er würde mich zwar nehmen, mich aber spätestens mit Vollendung des 55. Lebensjahres wieder entlassen.“
Walter Neuschitzer
„Weshalb schon wieder Bürokratie? Warum lässt man nicht Fachkräfte im Rentenalter frei entscheiden, ob sie weiterarbeiten wollen? Und zwar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Fachwissen an jüngere Kollegen zu vermitteln ist ein Asset für alle: für die Firma, für den jüngeren Kollegen und eine psychologische Streicheleinheit für das Ego des sich fit fühlenden ‚Noch nicht‘-Ruheständlers.“
Barbara Schmidt
>> Lese Sie auch: Heils Hohn – Der Arbeitsminister will von seinen eigenen Fehlern ablenken
„Die Frage muss lauten: Möchte ich weiter arbeiten? Ich bin fast 60 Jahre und denke an neue Herausforderungen, aber nicht an die Rente. Mit Kopfschütteln verfolge ich die Diskussion, die aus meiner Sicht von der falschen Seite begonnen wird.
Wer kann und möchte, der sollte auch weiter seine Erfahrungen einbringen, unabhängig vom Alter. Deshalb sollten wir die Diskussion mit der Frage beginnen: Wer möchte weiter arbeiten? Mit der ersten richtigen Frage beginnt ein anderes Denken. Das wäre wünschenswert.“
Egon Wiedekind
„Ich hätte gerne länger gearbeitet, wenn der Anreiz zum Ausstieg nicht gewesen wäre.
Die für mich wichtigen Faktoren, um länger zu arbeiten: exzellente Führungskraft, gutes Team, freie Arbeitszeit-/Urlaubszeitgestaltung (gerne auch bei angepasstem Gehalt), Weiterbildungsangebot.
Sobald die Mindestaltersgrenze für die Rente erreicht ist, sollte jederzeit der Ausstieg möglich sein (sofern oben genannte Faktoren nicht mehr gegeben sind). Meine Entscheidung!“
Gerhard Lichtenthäler
„Die Debatte über den Zeitpunkt des Renteneintritts scheint mir verkürzt. Will man den Fachkräftemangel bekämpfen, muss man auch über die Abschaffung des Ehegattensplittings nachdenken. Die Vorteile und Effekte einer solchen Reform des Steuerrechts sind bereits ausreichend erforscht und diskutiert worden. Ein modernes Steuerrecht sollte keine systematischen Anreize zum Nicht-Arbeiten schaffen.“
Gloria Gaupmann
„Wie viele unterschiedliche Berufe und Arbeitsplätze gibt es? So viele unterschiedliche Arbeitszeitsituationen gibt es auch. Das System ist zu starr, und wer zur Arbeit gezwungen wird, wird wahrscheinlich auch weniger oder wenig Leistung bringen, manch einer kann auch nicht mehr. Der Blick darauf ist viel zu akademisch und in nicht bürogebundenen Arbeitsplätzen einer anderen Realität unterworfen.
… und wer Spaß an seiner Arbeit hat, der geht auch länger hin. Das sollten Arbeitgeber berücksichtigen.“
Armin Schoenau
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Mehr: In der vergangenen Woche debattierte die Handelsblatt-Leserschaft darüber, wie Deutschland noch mehr Energie sparen könnte.
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