Unerfahrene Anleger strömen an den Aktienmarkt. Steigt nun endlich die Aktionärsquote? Oder sind sie beim ersten Crash wieder weg? Zwei Meinungen.
Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse
Vor allem junge Erwachsene unter 25 Jahren setzen vermehrt auf Aktien.
Bild: Reuters
Der Trend ist eindeutig: Unerfahrene – meist junge – Anleger finden den Weg an den Aktienmarkt. Laut einer Studie von Comdirect, Consorsbank und ING Deutschland aus dem Spätsommer mit 2000 Deutschen zeigen vor allem Menschen unter 25 Jahren deutlich mehr Interesse. 2018 nutzten 19 Prozent dieser Altersklasse Aktien als Geldanlage. Mittlerweile sind es schon 39 Prozent.
Der jüngste Höhenflug des Dax wurde auch durch diese unerfahrenen Privatinvestoren getrieben. Eigentlich war der Aktienhandel zum Jahresende fast eingeschlafen, weil die Profis ihre Bücher bereits geschlossen hatten – dennoch erreichte der Leitindex ein neues Rekordhoch. Wie wird die neue Generation Börse den Aktienmarkt verändern?
von Leonidas Exuzidis
Die jungen Wilden entdecken den Aktienmarkt für sich. Endlich, möchte man sagen. Die chronisch niedrige Zahl an Aktionären in Deutschland dürfte schon bald nachhaltig steigen. Das unbekümmerte Verhalten der jungen Anleger mag manche Marktbeobachter überraschen. Doch ihr Interesse ist eine gute Nachricht für die Aktienkultur in Deutschland.
Mehr und mehr Menschen stellen fest, dass Aktien angesichts chronischer Minizinsen nahezu alternativlos sind. Eine willkommene Erkenntnis. Die Sparquote hat nach jüngsten Berechnungen des Bankenverbands BVR den Rekordwert von 17 Prozent erreicht. Aber noch immer sind Girokonto und Sparbuch hierzulande – das gilt für alle Altersklassen – die mit Abstand populärsten Methoden der Geldanlage. Das passt nicht zusammen. Umso besser, wenn mehr Sparer zu Investoren werden.
Günstige Onlinebroker wie Trade Republic oder Justtrade spielen beim neuen Börsenboom eine wichtige Rolle. Sie verlangen keine oder geringe Gebühren für Transaktionen. Das mag zum Zocken anregen. Gleichwohl bieten sie Interessierten einen einfachen Zugang zum Aktienmarkt. Das Angebot solcher Broker beinhaltet auch günstige Sparpläne, die für den langfristigen Vermögensaufbau bestens geeignet sind.
Es gibt keinen Grund, unerfahrene Trader zu verteufeln und den Markt den Profis zu überlassen. Im Gegenteil: Neueinsteiger tragen dazu bei, wichtige Trends zu setzen, bei der nachhaltigen Geldanlage zum Beispiel.
Andererseits ist es auch nachvollziehbar, dass unerfahrene Anleger einzelnen Trends hinterherlaufen und fast schon hektisch Aktien zu- und andere verkaufen. Sie deshalb allesamt als Zocker abzustempeln wird der „neuen Generation Börse“ allerdings nicht gerecht. Sicher wird es unter diesen neuen Interessenten auch Trader geben, die den Handel mit Aktien eher als Spiel sehen und nur auf schnelle Rendite aus sind. Das mag ihnen kurzfristig gelingen, langfristig jedoch ist diese Strategie wenig Erfolg versprechend.
Nur ein kleiner Teil der neuen Generation Börse fällt unter die Kategorie der Zocker. Sicher, der Großteil der jungen Wilden wird Anfängerfehler machen, aber man muss den Neulingen die Freiheit gewähren, auch schmerzhafte Erfahrungen zu machen.
Wer mag von sich behaupten, bei seinen Investments stets fehlerlos gewesen zu sein? Auch maximale Routine an der Börse schützt nicht vor dramatischen Fehlgriffen – Stichwort Wirecard. Viel wichtiger ist es, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Der größte Lerneffekt tritt ein, wenn es um das eigene Geld geht.
Nur auf diese Weise können aus Amateuren irgendwann erfahrene Investoren werden. Diese Trader bleiben langfristig. Die Zocker nicht. Sie werden sich verspekulieren und anschließend „den Markt“ dafür verantwortlich machen. Die Folge wird eine Art Selbstauslese sein, bei der am Ende deutlich mehr Aktionäre übrig bleiben als zuvor. Und das wird der deutschen Aktienkultur sehr guttun.
von Jürgen Röder
An der Börse verstärken sich die Anzeichen, dass es 2021 zu einem sogenannten Crack-up-Boom kommen könnte. Einer Katastrophenhausse, die nur noch von den Emotionen neuer, unerfahrener Anleger getrieben wird, aber die wirtschaftlichen Aussichten nicht mehr widerspiegelt.
Um das zu verstehen, muss man auf das Börsenjahr 2020 zurückblicken. Es war ein besonderes Jahr. Nicht nur, weil es den schnellsten Crash und die schnellste Erholung der gesamten Dax-Historie gab, sondern auch, weil viele junge Anleger an die Aktienbörse gekommen sind.
Das ist nicht erstaunlich. Neulingen fällt es leichter als Börsenprofis, nach einem Crash einzusteigen. Die einen sehen die Chancen, während die „alten Hasen“ im März dieses Jahres, als der Dax auf 8255 Punkte abrutschte, auf ihr Depot geschaut haben und sich angesichts der massiven Verluste nur schwer eine Erholung vorstellen konnten.
Diese jungen Trader, die erst im April oder Mai ihre ersten Aktien kauften, kannten das Gefühl Verluste zu machen noch gar nicht. Und haben es seitdem auch noch nicht richtig kennen gelernt. Schließlich ist das deutsche Börsenbarometer seit März um fast 70 Prozent gestiegen, auch mithilfe der Neueinsteiger.
Doch unerfahrene Anleger laufen verrückten Trends und Wertpapieren mit einem starken Momentum hinterher. Die Bewertung spielt dabei offenbar keine Rolle.
Ein Beispiel: In Deutschland verdichteten sich Anfang Dezember die Zeichen für einen harten Lockdown. Die bei den neuen Tradern sehr beliebte Aktie des Essenslieferanten Delivery Hero kletterte innerhalb einer Woche um zehn Prozent. Was viele von ihnen offenbar nicht wussten: Das Unternehmen hat gar kein Deutschlandgeschäft. Ein Lockdown hierzulande spielt keine Rolle.
An den US-Börsen sind die Warnzeichen noch deutlicher: Der Börsengang des US-Lieferservices Doordash wurde mit einem Kurssprung von 82 Prozent gleich am ersten Handelstag gefeiert. Und der Hype um Elektroautos lässt sich am besten mit der Kursentwicklung von Quantum-Scape beschreiben, einem Unternehmen, das künftig Batterien für Elektrofahrzeuge herstellen will. Erst 2025 soll es nennenswerte Umsätze geben, doch der Aktienkurs stieg in den vergangenen drei Monaten zwischenzeitlich um fast 800 Prozent. Schwer vorstellbar, dass an solchen Kurskapriolen sehr viele Profianleger beteiligt waren.
Ältere Börsenanleger kennen solche Situationen, wenn Privatanleger die Kurse nach oben jubeln. Das gab es zuletzt vor 20 Jahren. Stichwort: Technologieblase, die im Jahr 2000 platzte. Damals stieg der Dax nach einer zwei Jahre andauernden Rally anschließend noch um weitere 40 Prozent innerhalb von drei Monaten. Es herrschte Partystimmung.
Doch jede Feier geht einmal zu Ende. Was damals hieß: In den folgenden drei Jahren stürzte der Dax um 70 Prozent ab. Damals wurde auch das Börsensegment Neuer Markt „begraben“, verabschiedet von der Börse haben sich zu dieser Zeit auch viele Privatanleger. Die folgenden Jahre zeigten, wer sich einmal richtig die Finger verbrannt hatte, der war für die Anlageform Aktie oft für immer verloren.
Was kann man daraus lernen? Eine Börsenparty kann länger dauern, als es sich die meisten Investoren vorstellen können. Und so unbekümmert die unerfahrenen Trader während des Crashs eingestiegen sind, so schwer wird es ihnen fallen, sich von ihren scheinbar so wachstumsstarken Erfolgsaktien zu trennen. Denn bei Kurverlusten haben sie bislang nur eine Reaktion kennen gelernt: Nachkaufen. Doch diese Reaktion wäre dann vermutlich das Ende der neuen Trader an der Börse.
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