Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

21.01.2021

06:00

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

alles war anders zur Stunde Null des ethischen Wiederaufbaus der amerikanischen Nation. 200.000 US-Flaggen statt eines Zuschauerpulks vor dem Kapitol in Washington, alle Zuhörer bei der Vereidigung des 46. Präsidenten Joe Biden mit Gesichtsmaske, sein Vorgänger entgegen aller Tradition nicht anwesend. Einen Brief hat er immerhin hinterlassen, über dessen Inhalt das Netz so spekulierte: „Joe, you know I won.“

Dieser „Joe“ erwähnte Donald Trump nicht, nur dessen Fake-News-Strategie: „Wir müssen die Kultur ablehnen, in der Fakten manipuliert oder sogar fabriziert werden.“ Bidens Botschaft war Einheit, Einheit, Einheit. Zurück zum amerikanischen Weg, eine bessere Welt erschaffen zu wollen: „Machen wir einen Neuanfang, alle miteinander.“ Als erstes stieß der neue Commander-in-Chief eine Einwanderungsreform und den Wiederbeitritt zum Pariser Klimaschutzabkommen an.

AP

Vereidigung des 46. Präsidenten Joe Biden.

Lady Gaga sang die Nationalhymne, Garth Brooks „Amazing Grace“, aber die Entdeckung dieses Tages war eine 22-jährige Poetin und Aktivistin gegen Polizeigewalt aus Los Angeles: Amanda Gorman. Die Vision Bidens hat sie in das eigens verfasste Gedicht „The Hill We Climb“ gewoben, das Unterrichtsstoff werden sollte – egal, ob Homeschooling oder Präsenzunterricht. „If we merge mercy with might / and might with right / then love becomes our legacy / and change our children’s birthright“, heißt es da.

Und am Schluss: „For there is always light / if only we’re brave enough to see it / if only we’re brave enough to be it.“ Es sind solche Zeilen, die Angela Merkels Worte von einer „Feier der amerikanischen Demokratie“ begründen.

dpa

Die 22-jährige Amanda Gorman aus Los Angeles engagiert sich als Aktivistin gegen Polizeigewalt.

Europa ist so euphorisch, dass man rätselt, was dafür wohl die stärkere Ursache ist: der Abflug des alten oder der Start des neuen Präsidenten. Irgendwie scheint „America First“ über Nacht in „Friendship First“ verwandelt. „Diese neue Dämmerung ist der Moment, auf den wir lange gewartet haben“, sagt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen: „Endlich wieder hat Europa, nach vier langen Jahren, einen Freund im Weißen Haus.“

Etwas weniger pathetisch ist naturgemäß der alte Trump-Freund Boris Johnson. Er glaubt, es gäbe beispielsweise im Kampf gegen Covid und den Klimawandel die gleichen Ziele und damit eine logische Zusammenarbeit. China übrigens hat zum Abschied von Trump Sanktionen gegen den „lügenden und betrügenden“ Ex-Außenminister Mike Pompeo sowie 27 weitere Top-Offizielle angekündigt. Vielleicht kann Alfred Polgar das Phänomen Lügenbaron am besten erklären: „Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.“

Klartext redet der frühere US-Spitzendiplomat und heutige Harvard-Professor Nicholas Burns im Handelsblatt-Interview: „Wir haben Probleme.“ Das Land stecke in einer schweren Verfassungskrise, nachdem Trump sein Amt entehrt und den Eid auf die Verfassung gebrochen habe. Milizionäre und Rassisten würden aber nur „winzige Grüppchen“ bilden.

Burns erklärt, in Bidens Wahlkampfteam mitgemacht zu haben, weil der Routinier einen „einzigartigen außenpolitischen Erfahrungsschatz“ besitze. Ihn persönlich habe es abgestoßen, wie Trump die deutsche Bundeskanzlerin behandelt habe: „Sie ist in den Vereinigten Staaten hoch angesehen.“

dpa

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zeigt Verständnis für die Forderung nach Schulöffnungen trotz der Corona-Krise.

Ein anderes Interview ergab die aktuelle Titelgeschichte: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zeigt Verständnis für die Forderung nach Schulöffnungen trotz der Coronakrise. „Ich verstehe jeden, der für offene Bildungseinrichtungen kämpft“, sagt er und erklärt: „Wir dürfen uns nicht von der Angst regieren lassen.“ Die aktuelle Corona-Politik verteidigt er aber vehement. Der CDU-Politiker sagt im Einzelnen über…

  • den jüngsten Lockdown-Beschluss: „Wir haben eine neue Situation durch die Corona-Mutationen. Da ist es besser, man handelt jetzt, als noch zwei Wochen zu warten. Das Virus nimmt auf unsere Terminpläne keine Rücksicht.“
  • Gleichberechtigung: „Als ich Anfang der 1990er-Jahre Innenminister war, hatte ich noch große Schwierigkeiten, eine Frau in Teilzeit zur Referatsleiterin zu befördern. Heute ist das kein Problem mehr. Wir dürfen durch die Pandemie nicht wieder zurückfallen.
  • die Kanzlerkandidatur: „Wenn man eine so starke und erfolgreiche Kanzlerin hat, dann sollte der Kanzlerkandidat nicht sehr lange neben ihr agieren. Wir sollten den Kanzlerkandidaten so rechtzeitig küren, dass wir die Plakate drucken können, aber auch nicht viel früher.“

Schäuble rechnet nun wie der Rest der Republik damit, dass einer der Parteivorsitzenden Kandidat wird: Armin Laschet oder Markus Söder. Der Niederlage seines Favoriten Friedrich Merz weint er – offiziell – keine Träne hinterher.

Große Konzerne, großer Einsatz, großes Spiel: Die Deutsche Telekom, Orange aus Frankreich, die britische Vodafone und Telefónica aus Spanien haben sich für „Open RAN“ zusammengetan, einen neuen offenen Standard für die Mobilfunk-Architektur der Zukunft. Wenn sich das durchsetzen sollte, müssten Betreiber wie Telekom & Co. nicht mehr komplette Paketlösungen bei Ausrüstern wie Ericsson, Nokia oder Huawei kaufen.

Gerade die Beteiligung des chinesischen Konzerns Huawei am 5G-Netz ist politisch umstritten. Die Bundesregierung hat nach unseren Informationen jetzt die Förderung des Projekts mit insgesamt zwei Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Ausgereift ist das neue Modell noch nicht. Neville Ray, Netzchef von T-Mobile US: „Für uns ist die Technik noch nicht reif für die Primetime.“

dpa

Douglas-Chefin Tina Müller macht offenbar Ernst mit den seit langem erörterten Filial-Schließungen.

Und dann ist da noch Douglas-Chefin Tina Müller, die offenbar Ernst macht mit den seit langem erörterten Filial-Schließungen. Ursache soll der prosperierende Online-Handel sein, der in der Pandemie noch mal weiteren Schwung erfährt. In Deutschland dürften mehr als 50 von 430 Filialen wegfallen, in Europa 500 von 2400, vor allem in Spanien und Italien. Dort unterhält Douglas sehr kleine Läden.

Bereits im Sommer hatte Managerin Müller von einem „Trend weg vom stationären Einkauf zum Online-Shopping“ gesprochen: „Diesem Strukturwandel müssen wir Rechnung tragen, indem wir das Filialnetz überarbeiten.“ Offenbar bewegt sie die Erkenntnis des Verlagsgründers Bertie Charles Forbes: „Wenn du dein Unternehmen nicht antreibst, wird der Markt dich und dein Unternehmen austreiben.“

Ich wünsche Ihnen einen produktiven Tag. Es grüßt Sie herzlich
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

Hier können Sie das Morning Briefing abonnieren.

Morning Briefing: Alexa

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×