Das US-Repräsentantenhaus wiederholt die gleiche Prozedur aktuell ein ums andere Mal – und hofft auf neue Ergebnisse. Die Definition von Wahnsinn.
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
es gibt ein sehr berühmtes Zitat, das Albert Einstein zugeschrieben wird: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
Tatsächlich jedoch gibt es keinen Beweis dafür, dass Einstein diese Worte jemals gesagt hat. Dass sich hartnäckig das Gerücht hält, der berühmte Nobelpreisträger habe diese Definition aufgestellt, zeugt allerdings von deren Wirkmächtigkeit.
Wie sehr der Eindruck von Wahnsinn dadurch entstehen kann, die gleiche Prozedur ein ums andere Mal zu wiederholen, ohne das gewünschte Ergebnis zu bekommen, zeigt sich derzeit in den USA. Im Repräsentantenhaus in Washington versucht der Großteil der republikanischen Partei seit Dienstag vergeblich, ihren Vertreter Kevin McCarthy zum Sprecher des Hauses zu wählen. Immer wieder scheitert er am Widerstand einiger Parteikollegen.
Daran konnte auch der Aufruf von Ex-Präsident Donald Trump nichts ändern, der auf seinem eigenen Social-Media-Kanal „Truth Social“ schrieb: „Verwandelt einen großartigen Triumph nicht in eine riesige und peinliche Niederlage.“ Auch der amtierende Präsident Joe Biden stimmte seinem Amtsvorgänger ausnahmsweise einmal zu und artikulierte die Angst, dass es so langsam peinlich werden könnte für die USA.
Der Hintergrund der Wahl des Wahnsinns: Seit Jahren tobt unter den Republikanern ein Richtungsstreit zwischen Mitgliedern, die wie Trump die Partei weiter nach rechts rücken wollen, und einem vergleichsweise moderaten Lager, zu dem McCarthy gehört. Ob der Wahnsinn bald ein Ende haben wird, kann bisher noch niemand voraussagen.
Nach inzwischen sechs gescheiterten Wahlgängen und einer mehrstündigen Pause verschoben die Abgeordneten die Abstimmung gestern Nacht erneut, auf den heutigen Donnerstag. Das Problem: Solange der „Speaker of the House“ nicht feststeht, kann das Repräsentantenhaus seine Arbeit nicht aufnehmen.
Ein Blick in die Geschichte lässt nichts Gutes erahnen. Als so ein Fall im Jahr 1855 schon einmal auftrat, dauerte es insgesamt zwei Monate und 133 Wahlgänge, bis der Sprecher des Hauses endgültig feststand. Wenige Jahre später begann der Bürgerkrieg.
Um die Frage, wie oft etwas wiederholt werden darf, bis es problematisch wird, geht es auch bei unserem nächsten Thema. Denn seit einiger Zeit sind Unternehmen von öffentlichem Interesse verpflichtet, ihre Wirtschaftsprüfer alle zehn Jahre auszutauschen. Zu eng war die Verbindung zwischen denjenigen, die prüfen, und denjenigen, die geprüft werden. Als Folge fiel die Kontrolle der Bücher oft lascher aus als eigentlich notwendig. Etwa, als ein gewisser Finanzdienstleister aus Aschheim 1,9 Milliarden Euro verbuchte, die es vermutlich gar nicht gab – und das niemandem auffiel.
Der Fall Wirecard hat die damals zuständige Prüfungsgesellschaft EY wirtschaftlich mit hinab gerissen, wie das Handelsblatt-Ranking der Abschlussprüfer im Dax jetzt zeigt. Die Gesellschaft hat seit 2020 kein einziges neues Mandat in Deutschlands oberster Börsenliga mehr gewinnen können.
Insgesamt jedoch ist ein anderes Mitglied der sogenannten „Big Four“ der größte Verlierer: KPMG verlor seit 2017 rund 347 Millionen Euro an Honorarvolumen in der Dax-Prüfung. Großer Gewinner hingegen ist PwC mit einem Plus von rund 199 Millionen Euro.
Alles in allem – auch das ist eine Erkenntnis der Auswertung – bleibt das Oligopol unter den Prüfungskonzernen unangetastet. Ein einziges Mal kam mit BDO bei SAP eine Prüfungsgesellschaft zum Zug, die nicht dem elitären Klub der „Großen Vier“ angehörte. Wie schnell sich dieser Klub verkleinern kann, zeigte 2002 das Unternehmen Arthur Andersen, das den Betrugsskandal beim Energiekonzern Enron verschlafen hatte. Ein Fall, den man sich bei EY gerade wohl sehr genau anschaut.
Bei vielen Mitarbeitern deutscher Start-ups dürfte indes momentan Jubelstimmung herrschen. Schließlich hat das Finanzministerium gerade eine Reform der sogenannten „Mitarbeiterkapitalbeteiligung“ angekündigt.
Das Konzept: Mitarbeiter bekommen bei Eintritt einen Teil vom Unternehmenskapital, der sich bei Verkauf oder Börsengang in persönliches Vermögen umwandeln kann. Eine potenzielle Belohnung also, die in der Ferne winkt, wenn alle auch hart genug für den Erfolg des Unternehmens arbeiten.
Das Problem: Das Ganze kann sich als Karotte entpuppen, die den treuen Mitarbeitern an einem Stock hingehalten wird, damit sie noch schneller laufen – denn ob die versprochene Belohnung am Ende wirklich winkt, ist alles andere als sicher.
Recherchen unserer Expertinnen der Gründerszene zeigen, dass die streng geheimen Verträge mit Investoren oft Klauseln enthalten, die für Mitarbeiter wenig vorteilhaft sind. Ihre Kapitalbeteiligung könnte am Ende deutlich geringer ausfallen, als sie es sich eigentlich erhofft hatten.
Schiere Verzweiflung, keine Perspektiven, Angst und Gewalt: Das Bild, das meine Kollegin Olga Scheer in ihrem Bericht aus dem Gazastreifen zeichnet, geht unter die Haut. Ein nicht enden wollender, festgefahrener Konflikt hat die Region ins Elend getrieben. Die regionale Wirtschaft starb langsam, als ihr größter Feind, die Willkür, die Oberhand gewann.
Die Willkür der radikalislamischen Hamas, die an einem Tag sieben Prozent Steuern verlangte, an einem anderen 17. Aber auch die Willkür des Nachbarn Israel, der eine Einfuhrgenehmigung für 200 Paletten mit Rohstoffen erteilte, an der Grenze aber nur noch 120 Paletten zuließ. So berichten es lokale Unternehmer. Fast alle ihre Mitarbeiter mussten sie entlassen, sagen sie. Nirgends auf der Welt ist die Arbeitslosenquote so hoch wie in Gaza.
Meine Empfehlung: Wenn Sie heute nur einen Text lesen, lesen Sie diesen: Abgeriegelt vom Rest der Welt – Gaza-Konflikt steht vor neuer Eskalation
Üblicherweise entlasse ich Sie am Ende des Morning Briefings gerne mit einem heiteren Gedanken. Manchmal verbietet es sich meiner Ansicht nach aber auch, auf ein wirklich ernstes Thema eine witzige Bemerkung folgen zu lassen. Dies ist so ein Fall. Deswegen bleibt mir am Ende nur, Ihnen einen friedvollen Tag voller neuer Möglichkeiten zu wünschen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre
Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×