Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
werden wir uns an 2023 als das Jahr erinnern, in dem Demokratie und Freiheit über Diktatur und Unterdrückung siegten? Möglich erscheint es – und zugleich das Gegenteil davon. Der Westen hat es mit seinen Waffenlieferungen und Sanktionen in der Hand, Wladimir Putin in der Ukraine eine Niederlage beizubringen, die sein Regime entscheidend schwächen würde. Doch ebenso gut möglich ist, dass sich die westliche Allianz spalten lässt und Putin mit einem Siegfrieden davonkommt.
Dem globalen Ringen um die Freiheit in all ihren Facetten widmen wir heute unseren Wochenendteil – pünktlich zum Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos. Koordiniert hat das Themenpaket mein Kollege Jens Münchrath. Dass er promovierter Philosoph ist, wirkt sich positiv auf den Tiefgang der Texte aus, aber nicht negativ aufs Lesevergnügen – versprochen!
Das gilt auch für ein Interview zum Thema, in dem der Harvard-Politologe Daniel Ziblatt einen wichtigen Gedanken formuliert: „Geschichte sollte nicht mit Pendeln verglichen werden. Ich lehne die Vorstellung ab, dass das politische Leben jemals automatisch verläuft. Die Zukunft ist offen.“
Soll heißen: Es existiert keine Gesetzmäßigkeit, dass auf eine Ära der Liberalisierung nun eine der Unfreiheit folgt, wie Kulturpessimisten gerne raunen. Ebenso wenig gibt es einen automatischen Siegeszug der Demokratie.
Das war auch nie anders. Selbst die Zeit um 1990, die uns im Rückblick wie eine einzige Welle der Demokratisierung erscheint, war in Wahrheit geprägt von Rückschlägen und Weggabelungen, an denen die Geschichte auch ganz anders hätte verlaufen können. Wie würden wir heute auf jene Ära blicken, wenn etwa 1991 der Putsch kommunistischer Hardliner in der Sowjetunion erfolgreich verlaufen wäre?
Die Menschheit hat es immer wieder selbst in der Hand, in welche Richtung sie sich entwickelt. Für alle, die die Freiheit lieben, ist das eine gute Nachricht.
Daniel Ziblatt
Das politische Leben verläuft nicht automatisch.
Eine Herausforderung, die auch schon vor 30 Jahren absehbar war, ist der Arbeitskräftemangel. Jetzt ist er da. Mehr als jedes zweite Unternehmen in Deutschland kann nicht mehr alle offenen Stellen besetzen, so die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der DIHK, Achim Dercks, sagt: „Wir gehen davon aus, dass in Deutschland rund zwei Millionen Arbeitsplätze vakant bleiben.“
Das entspreche einem entgangenen Wertschöpfungspotenzial von fast 100 Milliarden Euro. Oder rund zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.
Gegen den Arbeitskräftemangel gelten Zuwanderung und längere Lebensarbeitszeit als die gängigen Rezepte – doch Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup erwartet hieraus keine ausreichenden Effekte. Er plädiert dafür, zusätzlich den Trend zu einer immer niedrigeren durchschnittlichen Wochenarbeitszeit umzukehren.
Die sinkt seit Jahren – vor allem, weil immer mehr Beschäftigte in Teilzeit arbeiten. 1991 waren es 14 Prozent, 30 Jahre später 29 Prozent. Das ist wiederum ein Nebeneffekt der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Rürup plädiert für Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen, damit „all jene Beschäftigten, die mehr arbeiten möchten, auch mehr arbeiten und damit mehr Geld verdienen dürfen.“
Man kann es so sehen: Die freie Wahl der Arbeitszeit ist eine Form der Freiheit. Das gilt nicht nur für das Recht auf eine Teilzeitstelle, sondern auch für die Möglichkeit, gegen entsprechend mehr Gehalt bis zur gesetzlichen Obergrenze von 48 Stunden pro Woche zu arbeiten – und damit mehr als die 36 bis 40 Stunden, die Tarifverträge üblicherweise vorsehen.
Im Morning Briefing war es schon häufiger Thema: Der Wirtschaftseinbruch in Russland verläuft auf den ersten Blick erstaunlich glimpflich. Die Weltbank hat am Dienstag ihre Prognose für 2023 sogar leicht angehoben. Demnach soll die russische Wirtschaft im laufenden Jahr nur noch um 3,3 Prozent schrumpfen. Das wirkt wenig angesichts der westlichen Sanktionen.
Aber vielleicht schauen wir auch auf die falschen Zahlen? Der russische Ökonom Sergej Gurijew sagte in dieser Woche bei einer Gastvorlesung in Wien: „Das Bruttoinlandsprodukt ist in Kriegszeiten kein aussagekräftiges Instrument.“
Gurijew war 2013 nach Frankreich emigriert und ist inzwischen Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Sciences Po in Paris. Seine Position: Das BIP ist im Krieg nicht wirklich aussagekräftig, da die Rüstungsproduktion auf Staatskosten hochgefahren wird, was aber der Bevölkerung nicht zugutekommt. Das sieht auch der aus Russland geflohene frühere Vize-Energieminister Wladimir Milow so: Aussagekräftiger sei in Russland etwa der Rückgang des privaten Konsums 2022 um fast zehn Prozent.
Die deutsche Wirtschaft hingegen ist im vergangenen Jahr trotz Energiekrise, Rekordinflation und Materialengpässen erstaunlich robust gewachsen. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht dazu heute eine erste Schätzung. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen rechnen mit einem BIP-Wachstum von 1,8 Prozent. 2021 hatte es zu einem Plus von 2,6 Prozent gereicht.
Auch im laufenden Jahr dürfte es nicht zu dem zeitweise erwarteten schweren Konjunktureinbruch kommen. „Dass eine tiefe Rezession wie nach der Finanzkrise oder Corona im Euro-Raum und in Deutschland ausbleibt, ist mittlerweile Konsens“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Schließlich ist eine Gasmangellage unwahrscheinlich geworden.“ Außerdem seien die Hilfspakete der Bundesregierung so groß, dass der Staat rechnerisch den gesamten Anstieg der deutschen Energierechnung übernehme.
Wissen Sie eigentlich genau, was da alles in Ihrer Garage oder Ihrem Keller liegt? Ja, genau, in diesen braunen Kartons, die Sie nach dem letzten Umzug gar nicht mehr ausgepackt hatten? Wahrscheinlich doch nur der WM-Spielplan von 2002 und die Garantiekarten längst verendeter Elektrogeräte.
Aber Sie und ich sind ja auch keine US-Präsidenten. Und deshalb habe ich Verständnis für Joe Biden, der offenbar ein bisschen den Überblick darüber verloren hat, was alles in der Garage seines Privathauses in Delaware lagert. Unter anderem als vertraulich eingestufte Regierungsdokumente aus Bidens Zeit als Vizepräsident. Die haben seine Mitarbeiter dort beim Aufräumen gefunden und brav in Washington abgeliefert. Ähnliche Fundstücke gab es zuvor bereits in einem privaten Büro Bidens.
Das geht so natürlich nicht. US-Regierungsbedienstete sind verpflichtet, vertrauliche Unterlagen nach dem Ausscheiden aus dem Job an das Nationalarchiv zu übergeben. Ein Sonderermittler soll jetzt der Sache nachgehen.
Ich wünsche Ihnen ein Wochenende, an dem Sie Schöneres vorhaben als Ihre Garage aufzuräumen.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
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