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03.01.2023

06:00

Morning Briefing

Kostbar: Europa fällt bei Chipproduktion zurück

Von: Teresa Stiens

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

oft hängt der Erfolg der großen Dinge an den ganz kleinen Details. Wer schon einmal einen Ikea-Schrank aufgebaut hat, bei dem am Ende eine Schraube fehlte, weiß wovon ich spreche.

Für den Technologiesektor steckt dieses eine kleine Detail, das alles entscheidet, in den Computerchips, die den Fortschritt der Branche bestimmen. Wobei „Technologiesektor“ heutzutage sehr weit zu verstehen ist: Auch moderne Autos, Flugzeuge oder Waschmaschinen hören ohne die Chips schnell auf zu fahren, zu fliegen oder zu schleudern.

Da scheint für Deutschland höchstbedenklich, was neue Zahlen des Lieferkettenspezialisten Everstream für das Handelsblatt verdeutlichen: Denn die Chipfabriken der Zukunft werden wohl vor allem in den USA stehen – weil die amerikanische Regierung ihre eigene Industrie hochsubventioniert.

Während die amerikanische Regierung im Sommer 52,7 Milliarden Dollar an staatlicher Unterstützung für die Industrie bereitstellte, debattiert Europa noch, ob Subventionen für die Branche überhaupt nötig sind. Gunther Kegel, Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie, kritisiert den schleppenden Fortschritt in der EU: „Das dauert zu lange bei uns, die USA sind anderthalb Jahre voraus.“

Anderthalb Jahre, die in der Technologiezeitrechnung eine Ewigkeit bedeuten. Schließlich entwickelt sich der Markt rasant weiter. Vor allem vor dem Hintergrund einer möglichen militärischen Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan, zwei weiteren großen Chipnationen, dürfte die Frage nach dem Zugang zu den kostbaren Halbleitern zur zentralen Frage der nächsten Jahrzehnte werden. Die hiesige Wirtschaft steuert also geradewegs in die nächste Abhängigkeitsfalle bei einem zentralen Zukunftsgut. Und das, obwohl sich Europa mehr technologische Souveränität auf die Fahne geschrieben hatte.

Grafik

Wir bleiben thematisch noch einmal in den USA, wo sich am heutigen Dienstag der neu gewählte Kongress konstituiert. Die Parlamentskammern in Washington sind politisch gespalten: Im Repräsentantenhaus sind ab heute die Republikaner in der Mehrheit, im Senat dominieren die Demokraten.

Auch für den Rest der Welt ist die neue Gemengelage in den USA von Relevanz, denn bei einigen zentralen außenpolitischen Herausforderungen ist Präsident Joe Biden auf den Kongress angewiesen.

Washington-Korrespondentin Annett Meiritz erkennt drei zentrale weltpolitische Fragestellungen, an deren Beantwortung der Kongress maßgeblich beteiligt sein wird:

  • Wie weit wird die amerikanische Unterstützung der Ukraine noch gehen?
  • Wie hart wird der Kurs sein, den Washington gegenüber Peking fährt?
  • Hat der Atomdeal mit dem Iran noch eine Chance?

Schlechte Nachrichten gibt es von der neuen Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Berlins sozialdemokratischer Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse. Sie geht davon aus, dass die jetzigen Schüler die Coronalücken während ihrer Schulzeit nicht mehr völlig schließen werden. „Wir müssen realistisch sein: Aufholen wird man das in Gänze nicht können“, sagt Busse.

Ein Eingeständnis der Bildungspolitik, das in der Schule wahrscheinlich eher mit einem „mangelhaft“ als mit einem „befriedigend“ bewertet würde. Schließlich fehlten in den Schulen lange die technischen Voraussetzungen und Strategien von Seiten der Politik, um einen solchen Rückstand gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Neue Herausforderungen warten schon: In diesem Jahr müssen weiter Hunderttausende ukrainischer Schüler integriert werden, während überall händeringend nach Lehrkräften gesucht wird.

Schlechte Noten gibt es auch für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das dem Handelsblatt vorliegt, verstößt der Minister gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes. Der Vorwurf: Wissing hätte weitsichtiger planen und informieren müssen, wie sein Ministerium die Klimaschutzziele erreichen will.

Nachdem der Verkehrssektor 2021 rund drei Millionen Tonnen CO2 mehr in die Luft pustete als eigentlich vorgeschrieben, legte Wissing ein Papier vor, um den Kohlenstoffdioxid-Exzess bis 2030 wieder auszugleichen. Doch das reichte nicht, so die jetzige Einschätzung. Vielmehr hätte der Minister auch darlegen müssen, wie er gedenkt, das restliche Einsparziel bis 2030 zu erreichen.

Doch dann hätte Wissing vermutlich so hässliche Wörter wie „Tempolimit“ oder „PKW-Maut“ in den Mund nehmen müssen. Gift für die liberale Seele. Stattdessen setzt die FDP darauf, die Emissionserlaubnisse stärker auf alle Ministerien zu verteilen, um den Verkehrssektor vor tiefgreifenden Reformen zu bewahren.

IMAGO/Political-Moments

Volker Wissing: Der Verkehrsminister steht für seine Politik in der Kritik, und zwar nun auch von Bundestagsjuristen.

Wissings Kabinettskollegin, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), muss sich indes mit einem öffentlichen Schmähgewitter auseinandersetzen. Aufhänger der Empörung ist eine Videoansprache zum neuen Jahr, die viele Fragen aufwirft.

Lambrecht steht in der Berliner Nacht, ihre Worte sind wegen der lauten Detonationen der Feuerwerkskörper kaum zu verstehen. Ausgerechnet in diesem Setting redet die Ministerin über den Krieg in der Ukraine und rekapituliert, dass damit für sie viele „besondere Eindrücke“ und „Begegnungen mit tollen Menschen“ verbunden gewesen seien. Ganz so, als berichte sie von einem Klassentreffen der 7c am Albertus-Magnus-Gymnasium in Mannheim.

Was sich die Ministerin dabei gedacht hat und wieso sich anscheinend niemand das Video vor der Veröffentlichung nochmal angesehen hat, ist nicht überliefert. Verheerend ist dabei nicht nur der Eindruck, dass Lambrecht nicht mit Bild und Ton umgehen kann und ihre Reden frei improvisiert.

Verheerend ist vor allem, dass einer deutschen Verteidigungsministerin nach einem Jahr Krieg in Europa dazu als erstes einfällt, sie habe in dieser Zeit ja so viele nette Menschen getroffen. Man tut das, was Lambrecht hätte tun sollen und bleibt sprachlos.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag ohne größere Schmähgewitter.

Es grüßt Sie herzlich

Ihre

Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt

PS: Krieg, Inflation und große Verunsicherung. Die Märkte waren 2022 in Aufruhr. Uns interessiert: Sorgen Sie sich mit Blick auf das kommende Jahr um Ihre Finanzen? Haben Ihre Rücklagen unter der Krise gelitten? Auf welche Anlageklassen werden Sie 2023 setzen und warum? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an [email protected]. Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag gedruckt und online.

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