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18.03.2023

08:00

Sebastian Matthes

Morning Briefing Plus – Die Woche

Beben an den Märkten – Der Rückblick des Chefredakteurs

Von: Sebastian Matthes

PremiumDie Finanzmärkte schauen verschreckt auf die Lage bei den Großbanken. Aber Fakt ist: In Europa ist die Lage der Credit Suisse eher ein Sonderfall.

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

willkommen zurück in turbulenten Zeiten. Nachdem vergangenes Wochenende die Silicon Valley Bank zusammenbrach, bebten diese Woche die Finanzmärkte, taumelnde Bankaktien zogen die Börsen weltweit abwärts: Und in wenigen Tagen wurden in den USA 1,6 Billionen Dollar vernichtet, in der Eurozone waren es 427 Milliarden.  

Fakt ist: Die Lage der europäischen Banken unterscheidet sich von der in den USA (die bedrohliche Lage der Credit Suisse ist eher ein Sonderfall). Und das liegt auch an der strengeren Regulierung des gesamten europäischen Bankensektors, über die Bankmanager seit Jahren mehr oder weniger lautstark stöhnen. Anders als in den USA unterliegen in Europa auch die kleinen und mittelgroßen Banken strengen Vorschriften.  

Was aber auch stimmt: So eine Krise wird nur bedingt durch Zahlen über Eigenkapitalquoten ausgelöst. Oft noch wichtiger ist die Psychologie. Innerhalb von Stunden kann alles, was eben noch als sicher galt, in Frage stehen. An den Märkten gibt es kein Halten mehr, wenn das Vertrauen schwindet, wie wir vergangene Woche gesehen haben.

Es war eine Illusion zu glauben, die geldpolitische Wende würde nach Jahren des Nullzinses ohne größere Friktionen ablaufen. In einer Zeit, in der Geld wieder einen Preis bekommt, werden überall im Finanzsystem Risiken neu bewertet.  

Grafik

Und so müssen wir uns womöglich wieder an die Begriffe gewöhnen, die wir während der letzten Finanzkrise gelernt und wieder verdrängt haben. Credit Default Swaps ist so einer. Dahinter verbergen sich Kreditausfallversicherungen, die plötzlich unglaublich teuer werden. Oder erinnert sich noch jemand an den Interbankenmarkt, auf dem sich die Institute gegenseitig Geld leihen? Schon ist auch wieder von Subprime-Krediten die Rede, jenem Segment für Kredite an Menschen mit geringer Bonität. Amerikanische Banken hatten vor 15 Jahren mit solchen Krediten in verbriefter Form das Weltfinanzsystem verseucht und 2008 die Finanzkrise ausgelöst. Damals ging es um Subprime-Hypothekenkredite. Dieses Mal um Autokredite. Die ersten Anbieter geraten schon in Schieflage.  

Noch eine Gewissheit bleibt nach der vergangenen Woche: Die Regulierer weltweit sind gescheitert mit ihrem Ziel, das Finanzsystem so sicher zu machen, dass Banken nicht mehr „too big to fail“ sind. Das machte US-Finanzministerin Janet Yellen am Donnerstag deutlich, als sie sagte, dass nicht alle Banken gerettet würden, die in Schwierigkeiten geraten, sondern nur diejenigen, deren Pleite die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat: 

1. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten waren auch der Einstieg in unser Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, den wir diese Woche im Kanzleramt trafen. Der ehemalige Finanzminister fürchtet keine neue Finanzkrise in Deutschland und Europa, wie er sagt, weil das Geldsystem weniger fragil sei als vor zehn Jahren. Außerdem sprachen wir über die großen Streitthemen seiner Koalition (Heizungen und Haushalt), den grünen Umbau der Wirtschaft – und die Frage, ob er den Chatbot ChatGPT schon ausprobiert hat. Es war ein langes, ein nachdenkliches Gespräch, das durchaus Hinweise gibt auf politische Impulse, die der Kanzler in den nächsten Monaten setzen will – und welche nicht.

 Jonas Holthaus für Handelsblatt

Das Handelsblatt traf sich in der abgelaufenen Woche mit Bundeskanzler Olaf Scholz.

2. Ein Satz von Olaf Scholz hat uns dann noch länger beschäftigt. Er glaubt nämlich, dass Deutschland durch den grünen Umbau der Wirtschaft regelrechte Wirtschaftswunderjahre bevorstehen würden – was ja so als Satz erst einmal gut klingt. Doch ist das überhaupt realistisch? Diese Frage untersucht Ifo-Chef Clemens Fuest in einem höchst lesenswerten Text für uns. Nur so viel vorab: Er ist da nicht ganz so optimistisch wie der Kanzler, und er hat ziemlich gute Argumente dafür: Die Energiekrise, die Friktionen im Welthandel und die schrumpfende Bevölkerung werden das Wunder zunichtemachen.  

3. Charles Goodhart geht da noch einen Schritt weiter. Der frühere Notenbanker und Ökonom der renommierten London School of Economics warnt im Handelsblatt , dass die Zeiten mit wachsendem Wohlstand vorbei sind, weil weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren müssen. Die Inflation wird bei dreieinhalb bis vier Prozent liegen. Und: Die Menschheit werde „nie wieder eine so gute wirtschaftliche Zeit haben wie zwischen dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er-Jahre und dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008“. Aber genug mit Pessimismus.  

4. Ein Beben der ganz anderen Art erlebte diese Woche das Silicon Valley, wo das Start-up OpenAI eine neue Version des Chatbots ChatGPT vorstellte. Das Modell kann nicht nur längere Texte auswerten und macht weniger Fehler – es erfasst neben Texten auch Bilder. Zeigt man der Maschine ein Bild des Kühlschrankinhalts, schlägt GPT-4 Rezepte vor, die sich damit zubereiten lassen. Fotografieren Nutzer ihren Kleiderschrank, macht GPT-4 Vorschläge, welche Kleidungsstücke auf die Reise nach Italien oder Schweden mitgenommen werden sollten.

5. Als ich diese Woche in München auf der Bühne stand und in den Saal fragte, wer bereits ChatGPT ausprobiert hat, gingen fast alle Hände hoch. Und das war kein Start-up-Event. Es war das Gala-Dinner für die Hall of Fame der Familienunternehmen, bei der wir zusammen mit KPMG jedes Jahr faszinierende Unternehmerpersönlichkeiten ehren. ChatGPT war auch dort allen ein Begriff. Der Bot verbreitet sich schneller als alle Internetdienste zuvor: In nur zwei Monaten erreichte ChatGPT 100 Millionen Nutzer.  

argum / Thomas Einberger für Handelsblatt

Bei der Hall of Fame werden die besten Familienunternehmer ausgezeichnet.

7. Man muss sich nicht einmal sonderlich für Autos interessieren, um diese Meldung spannend zu finden. Am Mittwoch schickte VW einen Elektrokleinwagen ID.2 ins Rennen gegen Tesla. Einstiegspreis: unter 25.000 Euro. Solche kleinen E-Autos sind die Basis für die von der Ampel eifrig diskutierte, aber bislang nicht gelieferte Verkehrswende. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich deutsche Hersteller wegen der geringen Margen weitgehend aus dem Geschäft mit Kleinwagen zurückgezogen haben. Und für den Moment scheint VW dem US-Rivalen voraus zu sein. Womöglich aber nicht mehr lange.

8. Die französische Politik erlebte am Donnerstag dramatische Stunden: Emmanuel Macron entschied, die Rentenform, sein wohl wichtigstes innenpolitisches Projekt, ohne Votum der Abgeordneten in Kraft zu setzen. Unter anderem geht es um die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 64 Jahre. Ein längst überfälliger Schritt. Am Freitag dann der Antrag für ein Misstrauensvotum der Opposition. Hat die Erfolg, könnte es zu Neuwahlen kommen. Die Politik in Paris ist gerade in einer Art Schwebezustand. Noch ist nicht klar, wie stark die Proteste und Streiks gegen Macron weitergeführt werden. Und ob ein Misstrauensvotum gegen seine Regierung im Parlament am Montag tatsächlich erfolgreich sein kann. „Unterdessen sieht – und riecht – man die Auswirkungen des Rentenstreits auf Pariser Straßen“, erzählte mir gerade unser Paris-Korrespondent Gregor Waschinski.  „Mittlerweile liegen hier mehr als 10.000 Tonnen nicht abgeholter Müll, weil die Stadtreinigung seit fast zwei Wochen streikt.“

Imago (2), dpa, Getty Images

Thomas Rabe: Der Bertelsmann- und RTL-Chef hat hunderte Mitarbeiter des Verlags Gruner+Jahr entlassen.

9. Erinnern Sie sich noch, als Bertelsmann-Chef Thomas Rabe vor ein paar Wochen ankündigte, 700 von 1900 Stellen bei Gruner + Jahr zu streichen und zahlreiche Marken einzustellen? Mich traf diese Meldung besonders, weil ich als Hamburger selbst einmal für das einst stolze Hamburger Verlagshaus gearbeitet habe. Meine Kollegen Michael Scheppe und Hans-Jürgen Jakobs haben nun pikante Details recherchiert. Offenbar hat Rabe das Haus in Hamburg systematisch schlecht gerechnet. Meine Kollegen beschreiben einen Mann, der nach einer märchenhaften Serie von Erfolgen an sich selbst zu scheitern droht. Der Text trägt die passende Headline „Taschenspielertricks in Gütersloh“.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Herzlichst
Ihr
Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt

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