Sebastian Matthes
Viele WEF-Veteranen beklagen, dass der große Weltwirtschaftsgipfel nicht mehr das ist, was er einmal war. Eine Reise nach Davos lohnt trotzdem – denn es gibt viel zu besprechen.
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
es ist wieder so weit. Am Montag reisen rund 3000 CEOs, Regierungsmitglieder und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen zum Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Davos. Und mehr denn je stellt sich die Frage: Braucht man in einer Zeit von zunehmendem Nationalismus und Protektionismus noch ein Forum, das durch seine Plädoyers für Freihandel und eine globalisierte Wirtschaft groß geworden ist? Muss man noch nach Davos fahren?
Ich denke schon. Denn so sehr einige Davos-Veteranen auch darüber klagen, dass der Gipfel nicht mehr das ist, was er einmal war, gibt es doch so einiges zu besprechen.
Die Frage zum Beispiel, wie global operierende Unternehmen in einer Welt agieren können, die in überwunden geglaubte Machtblöcke zerfällt. Oder, welche Auswege es gibt für den europäisch-amerikanischen Handelskonflikt rund um das US-Subventionsprogramm Inflation Reduction Act. Und wo in Zeiten der Klimakrise überhaupt das Wachstum herkommen soll. Zudem geht es um die spannendsten neuen Technologien. Vor allem die Durchbrüche in der Kernfusion und im Quantencomputing werden in vielen Veranstaltungen eine Rolle spielen.
Über all das werden wir im Handelsblatt berichten. Wir werden Interviews führen, die wichtigsten Diskussionen analysieren und natürlich auch berichten, was hinter den Kulissen passiert. Viele Diskussionen sind übrigens als Videostream abrufbar.
Am Donnerstag werde ich mit SAP-CEO Christian Klein in Davos über die Zukunft der europäischen Tech-Wirtschaft sprechen. Sie können die Diskussion hier verfolgen.
Das WEF hat den Ton jedenfalls schon diese Woche gesetzt, als das Forum das Ende der Globalisierung ausrief: „Die neue ökonomische Ära“ könnte eine Ära „der wachsenden Kluft zwischen reichen und armen Ländern werden und den ersten Rückschritt in der Menschheitsentwicklung seit Jahrzehnten“ einleiten, heißt es im gerade veröffentlichten „Global Risk Report“ des Weltwirtschaftsforums.
Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos
Das große Treffen der Weltwirtschaft findet wieder im klassischen Format in Davos statt.
Bild: Bloomberg
Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, nach Davos zu fahren. Mir fallen kaum andere Orte ein, an denen man in so kurzer Zeit mit so vielen interessanten Menschen spricht, die sich über die Zukunft dieser Welt Gedanken machen. Mein Kalender ist voll, oft durchgehend von 7 bis 23 Uhr. Und doch, das zeigt die Erfahrung, ist immer noch Raum für viele zufällige Begegnungen. Beim letzten Mal lernte ich bei einer Gondelfahrt eine Gruppe erfolgreicher Start-up-Gründerinnen aus der Ukraine kennen, die trotz Energieknappheit und Bombenalarm ihre Firmen aufbauten. Diese Begegnungen sind für mich die wahren Davos-Momente.
1. Die Zahlen sind derzeit besser als die Stimmung: Erstaunliche 1,9 Prozent ist die deutsche Wirtschaft 2022 gewachsen – und auch für dieses Jahr sieht es viel besser aus als vor einigen Monaten gedacht. Erstaunlich, vor allem angesichts der Untergangsszenarien von Verbänden und einigen Unternehmensvertretern.
2. Den guten Konjunkturaussichten kann der US-Ökonom Nouriel Roubini wenig abgewinnen. Im Handelsblatt-Interview sagt er: „Wir haben wie Zombies gelebt, laufen schlafwandelnd auf diese Katastrophen wie den Klimawandel oder die Überschuldung zu und schieben die Lösung von Problemen immer weiter nach hinten.” Er glaubt, dass die Welt bald „die Mutter aller Schuldenkrisen“ erleben werde . Man muss seine Argumente nicht teilen. Aber man sollte sie kennen. Immerhin hat er als einer der ersten vor der letzten globalen Finanzkrise gewarnt – und behielt Recht.
3. Die Erleichterung in der Wirtschaft war groß, als die Bundesregierung die Gaspreisbremse verkündete. Doch nun zeigt sich, die erhoffte Entlastung kommt vor allem bei Mittelständlern nicht an. Der Grund, Sie ahnen es, sind die komplizierten Regeln, schreibt unsere neue Kollegin Isabelle Wermke.
Wu Ken, Chinas Botschafter in Berlin
Wu Ken übt scharfe Kritik an der geplanten deutschen China-Strategie.
Bild: VR China
4. Am Montag bin ich gegen fünf Uhr aufgestanden und da war das Interview von Thomas Sigmund und Dana Heide schon Top-Meldung in den Radionachrichten: Die beiden hatten Wu Ken getroffen, den chinesischen Botschafter in Deutschland. Und der Botschafter kritisierte die China-Strategie in scharfen Worten: Er habe den Eindruck, dass sich die Bundesregierung vor allem von Ideologie leiten lasse. „Dies riecht für mich verdächtig nach einer Mentalität des Kalten Krieges“.
5. Es gibt erste Hinweise darauf, wie es mit dem strauchelnden Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof weitergehen könnte. Nach Handelsblatt-Informationen soll die Zahl der Filialen sinken und das Unternehmen dezentraler organisiert werden. Nur noch 40 der 130 Warenhäuser haben Bestandsgarantie. Von einer neuen Strategie ist zwar die Rede. Doch eine Antwort, wofür man Warenhäuser überhaupt noch braucht, bietet auch die nicht.
6. Wie geht es eigentlich der russischen Wirtschaft wirklich? Dieser Frage ist diese Woche mein Kollege Mathias Brüggmann nachgegangen. Und der Blick in die Zahlen offenbart Abgründe: Vor allem Mikrochips und IT-Hardware sind knapp, auch der Fahrzeug- und Luftfahrtindustrie in Russland fehlen Teile. Fazit von russischen Ökonomen: Das System stehe vor dem Kollaps. Erschwerend kommt hinzu, dass die westlichen Sanktionen Moskau dazu zwingen, das Öl zu Billigpreisen zu verramschen.Ein schwerer Schlag für die russischen Staatseinnahmen.
7. Ein anderes Land, das uns in den nächsten Monaten noch intensiver beschäftigen wird, ist Saudi-Arabien. Kein anderes G20-Mitglied wächst derzeit schneller. Das BIP der Saudis ist 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent gewachsen. Was ich aber noch interessanter finde, sind die Pläne des Landes, vom Öl wegzukommen. Was genau der Plan ist und wie realistisch der ist, zeigt dieser höchst spannende Blick in die Zahlen des Landes.
8. Die Börsen sind so gut ins Jahr gestartet wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Die Aussichten sind trotzdem unsicher. Eine große Analyse zeigt, auf welche Werte Sie achten sollten: Unser Geldanlage-Team hat mehr als 2000 Einschätzungen von Analystinnen und Analysten ausgewertet, und auf dieser Basis ein Ranking mit den „Top-Picks“ der Experten für das Jahr 2023 erstellt. Das sind die zehn Favoriten.
9. Vielleicht haben Sie auch schon einmal einen dieser bedrohlich klingenden Anrufe erhalten: „Guten Tag, hier ist Interpol. Ihre Identität wird für betrügerische Zwecke missbraucht. Für mehr Informationen drücken Sie bitte die Eins“, ist auf der Bandansage auf Englisch zu hören. Wer der Aufforderung folgte, setzte damit eine Betrugsmaschine in Gang, die im schlimmsten Fall sehr teuer werden konnte. Hinter der Betrugsmasche steckt in einigen Fällen ein Callcenter in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Dass mutmaßliche Hintermänner gefasst wurden, ist nicht nur Ermittlern zu verdanken, beschreibt Asienkorrespondent Mathias Peer in der wöchentlichen Kolumne Asia Techonomics.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Herzlichst
Ihr
Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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