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07.10.2020

09:13

Allein unter Verbrennern

Pionier in der Provinz – das Tesla Model 3 im Handelsblatt-Autotest

Von: Jürgen Klöckner

In Großstädten ist das Tesla Model 3 gar nichts Besonderes mehr. Zeit, mit dem Elektropionier aus Kalifornien mal in die Eifel zu fahren.

Das Elektroauto ist eines der meistverkauften überhaupt. Tesla, Handelsblatt [M]

Tesla Model 3

Das Elektroauto ist eines der meistverkauften überhaupt.

Daun „Do wirst de jeck“, sagt der Nachbar, als er sich hinter das Lenkrad des Tesla Model 3 schiebt. Es ist Spätsommer, in einem kleinen Ort in der Vulkaneifel. „Un wie kreech isch dat Auto jetz aan?“ Sein Kopf dreht sich suchend. Der Mann hat in seinem Leben noch kein anderes Auto besessen als einen VW.

Wo sonst Anlasser oder ein Schaltknüppel ist, greift er bei Tesla ins Leere. Nicht einmal einen Schlüssel hat das Auto, dafür eine Chipkarte. In der Mitte prangt das ikonische 15-Zoll-Display. „Wie em Raumschiff. Dat es wal der Zokunf.“ Der Nachbar ist vom modernen Cockpit begeistert.

Dabei hatte Tesla-Chef Elon Musk sicher eher hippe Großstädter und Techfreaks im Sinn, als er das Model 3 entwickelt und im Jahr 2016 vorgestellt hat. Seit Anfang 2019 wird es auch in Europa verkauft, allerdings schwanken die Verkaufszahlen stark. Nicht wegen der Nachfrage – die ist ungebrochen hoch. Doch gebaut werden die Autos in der Tesla-Gigafactory in den USA. Mit jedem Transportschiff, das im Hafen von Rotterdam einläuft, schnellen dann auch hierzulande die Verkaufszahlen nach oben.

Bald will Tesla in Grünheide bei Berlin eigene Autos bauen. Spätestens dann bläst Tesla-Chef Elon Musk auch in der Heimat von Volkswagen, BMW und Daimler zum Angriff. Um gegen die deutsche Konkurrenz zu bestehen, reicht es aber nicht aus, die Menschen zu überzeugen, die dem Elektroauto ohnehin gewogen sind. Für sein Vorhaben muss Musk auch Autofahrer wie den treuen VW-Kunden aus der Eifel zu Käufern machen.

Es stellt sich die Frage: Wie punktet Tesla abseits der Metropolen, abseits von Technologie-Avantgarde und schnellen Ladestationen an jeder Ecke? Wie schlägt es sich dort, wo jeder aufs Auto angewiesen ist, im Alltag? Deswegen habe ich das Auto nicht in Berlin, sondern in meiner Heimat getestet. Ich bin nicht weit vom Nürburgring aufgewachsen. 24-Stunden-Rennen, Formel 1, röhrende V12-Motoren, all das erinnert mich an meine Kindheit und Jugend.

Handelsblatt-Redakteur Jürgen Klöckner hat Teslas Model 3 in seiner Eifeler Heimat getestet. Jürgen Klöckner

Fahrer und Fahrzeug

Handelsblatt-Redakteur Jürgen Klöckner hat Teslas Model 3 in seiner Eifeler Heimat getestet.

In der Region ist Tesla nicht fremd. Mittlerweile kennen viele das Unternehmen als Arbeitgeber. 2017 kaufte Elon Musk den Maschinenbauhersteller Grohmann Engineering, der seither Teslas Fabriken automatisiert. Als Musk im September Deutschland besuchte, fuhr er zuerst zum Firmensitz in Prüm. Die Elektroautos der Kalifornier sind hier, wo Supermärkte, Ärzte, Freunde und Familie oft etliche Kilometer entfernt sind, trotzdem noch Exoten. Die Eifel ist – wie wohl alle ländlichen Regionen in Deutschland – Verbrennerland.

Das liegt unter anderem an der Angst, mit dem E-Auto liegen zu bleiben. Die ist eigentlich unbegründet: Stromer lassen sich im Prinzip an jeder Steckdose aufladen, am Arbeitsplatz oder am eigenen Haus, das hier viel mehr Menschen besitzen als in Berlin. Doch die erste Frage, die mir in der Eifel gestellt wird, ist immer: Wie weit kommt er denn?

Das Model 3 schafft in der getesteten „Long Range“-Version nach realistischer WLTP-Norm 560 Kilometer. Nur wenige Elektroautos fahren weiter. Ich sorge mich bei solchen Werten jedenfalls nicht liegen zu bleiben. Den WLTP-Wert schaffen Stromer allerdings nur bei milden Temperaturen und bei einer simulierten Fahrt auf Autobahn, Landstraße und Stadtverkehr.

Letzter fällt in der Eifel quasi weg, sodass die Reichweite auf nur noch rund 320 Kilometer schmilzt – wohlgemerkt bei normaler Fahrweise. Auf den kurvigen, hügligen Landstraßen sehe ich, wie der Verbrauch in Form einer roten Linie nach oben schießt. Ähnlich ist es auf der Autobahn bei einem Schnitt von rund 120 Stundenkilometern. Dann verbraucht der Tesla in unserem Test etwa 22 Kilowattstunden auf 100 Kilometern.

Das Model 3 am Supercharger: In 30 Minuten lädt das Auto 80 Prozent der Reichweite nach. Jürgen Klöckner

Ladeinfrastruktur

Das Model 3 am Supercharger: In 30 Minuten lädt das Auto 80 Prozent der Reichweite nach.

Das geht jedem Elektroauto so und ist dem Prinzip geschuldet: ein Teil der Bremsenergie wird wiedergewonnen (Rekuperation), was die Reichweite im Rahmen der Batteriekapazität optimiert. Wird nur Leistung abgegeben, also beschleunigt, entlädt sich der Akku entsprechend schneller. Während der Verbrenner seinen Verbrauch beim Gleiten bei rund 100 Stundenkilometern optimiert, kommt das E-Auto ausgezeichnet mit dem Stop-and-go des Stadtverkehrs zurecht.

Ein Reichweitendiagramm auf dem großen Display zeigt dafür haargenau, wie viel Strom der Akku gerade verbraucht. Das führt dazu, dass ich ständig rechne, trotz der großen Gesamtreichweite des Teslas. Komme ich bis zur nächsten Ladesäule? Oder fahre ich besser langsamer?

Wer sportlicher fährt, muss sich mit noch viel weniger zufriedengeben. Der Tesla wirbt zwar mit seiner immensen Beschleunigung, doch für die Überholspur auf der Autobahn ist er eher nicht ausgelegt. Bei 200 Stundenkilometern steigt die Verbrauchskurve steiler an als die Buntsandsteinfelsen von Nideggen.

Dabei geizt dieses Elektroauto nicht mit Leistung: Der Tesla ist mit 440 PS und einem Allradantrieb für einen Mittelklassewagen geradezu opulent motorisiert und beschleunigt von 0 auf 100 in 4,6 Sekunden – Sportwagenniveau. Das Auto ist eigentlich wie gebaut für die kurvigen Eifelstraßen. Die zwei verbauten Elektromotoren stimmen ihre Leistung auf die aktuelle Fahrsituation ab. Beim Fahrgefühl muss sich dieser Tesla nicht vor der deutschen Konkurrenz verstecken. Dank der schweren Akkus mit 75 Kilowattstunden im Unterboden liegt er gut auf der Straße.

Keine Reichweitenangst

Trotz des überlegenen Temperaturmanagements der Tesla-Akkus setzen kalte Temperaturen der Reichweite zu. Das merke ich jeden Morgen nach einer kalten Spätsommernacht. Die Reichweite zeigt rund fünf Kilometer weniger an als am Abend zuvor. Im Winter belastet dazu noch der Heizungsbetrieb, der am Verbrauch zieht. Beim Verbrenner hat man dieses Problem nicht – dafür kann man den Tesla schon vorheizen, wenn man noch beim Frühstück sitzt.

Auf der Langstrecke merke ich, warum Reichweitenangst bei diesem Tesla völlig unangebracht ist. Als ich meine Rückreise nach Berlin ins Navi auf dem großen Display eingebe, plant das System anhand der Restreichweite Ladestopps entlang des Supercharger-Netzwerks. Ich bin überrascht, wie gut und unkompliziert ich die Route so planen kann. Hier spielt Tesla seine Stärken aus: Der US-Autobauer hat das größte Schnellladenetz in Deutschland und ermöglicht so auch entspannte Langstreckenfahrten.

Die Strecke in die Hauptstadt ist fast 700 Kilometer weit, laut Navi soll ich zwei Zwischenstopps machen – hinter Frankfurt und bei Leipzig. Aufladen ist denkbar einfach: Tesla-Fahrer brauchen keine Tankkarte oder Kreditkarte, sie stecken einfach den Ladestutzen ins Auto.

Die Kameras des Tesla erkennen vorausfahrende Fahrradfahrer und stellen sie auf dem Display dar. Rechts: Beifahrer können während der Fahrt auf dem Display Netflix schauen oder im Netz surfen und wie hier das Handelsblatt lesen. Jürgen Klöckner

High Tech

Die Kameras des Tesla erkennen vorausfahrende Fahrradfahrer und stellen sie auf dem Display dar. Rechts: Beifahrer können während der Fahrt auf dem Display Netflix schauen oder im Netz surfen und wie hier das Handelsblatt lesen.

Der Supercharger erkennt den Wagen und rechnet die Strommenge automatisch ab. Nach einer kurzen Kaffeepause und rund 30 Minuten hat das Auto wieder 80 Prozent Reichweite und 60 Kilowattstunden geladen. Rund 20 Euro hat das gekostet. Der Navi-Plan geht auf, rund neun Stunden brauche ich bis nach Berlin. Das ist etwas länger als mit einem Verbrenner, aber auch wirklich komfortabel – und lautlos.

Die Strecke eignet sich auch, um die Fahrassistenz ausgiebig zu testen, die ich über den Hebel hinter dem Lenkrad einschalte, als ich auf die A48 fahre. Einmal tippen, und der Tesla hält das Tempo und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug automatisch. Zweimal tippen, und das Auto bleibt selbsttätig in der Spur und überholt von allein, wenn ich auf der Autobahn den Blinker setze (7.500 Euro Aufpreis).

Dann leuchtet ein blaues Symbol im Display auf, und die Kameras, die rund um das Fahrzeug verbaut sind, beobachten den Verkehr. Wer jetzt denkt, er kann ein Nickerchen halten, wird schon nach kurzer Zeit vom System gebeten, das Lenkrad wieder in die Hand zu nehmen. Das System funktioniert insgesamt erstaunlich zuverlässig, ich gewöhne mich an das Gefühl, chauffiert zu werden. Schnell fallen mir aber auch die Schwächen auf.

Das Auto erkennt zum Beispiel keine Verkehrsschilder. Hier sind andere Hersteller wie VW schon weiter. Als ich in einen Stau gerate, bleibt das Auto stur in der Spur, statt weiter links für eine Rettungsgasse zu fahren. In Baustellen verwechselt der Autopilot oft weiße und gelb aufgemalte Spuren und fährt dann auf die falsche Fahrbahn. Ohnehin ist die gesetzlich erlaubte Vorstufe zum Autopiloten nichts für schwache Nerven.

Mehrere Male bremst der Tesla bei voller Fahrt abrupt ab – in völlig unterschiedlichen Situationen. Einmal beim Vorbeifahren an einer Auffahrt, beim Überholen eines Anhängers, der wenige Zentimeter auf meine Spur ragte oder einfach aus dem Nichts. Ich hatte niemanden hinter mir, aber bei mehr Verkehr sind solche Manöver lebensgefährlich. In solchen Situationen verstehe ich, warum die Funktion noch in der Betaphase ist. Und autonomes Fahren noch keine Straßenzulassung bekommt.

Technologisch spektakulär

Insgesamt fällt mir aber schnell auf, wie gut die Technik im Auto funktioniert. Hier hat Tesla seinen zweiten, großen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Einiges ist anders: Die Seitenspiegel muss ich über das Display anwählen, um sie einzustellen. Auch die Lüftung kann ich nur darüber verstellen, es gibt keine beweglichen Lüftungsschlitze in dem Auto. Wer will, kann auch ein digitales Lagerfeuer auf dem Display anzünden, bei dem sich die Sitze erwärmen – oder darauf während eines Ladestopps Netflix schauen oder ein Videospiel spielen.

Solche Funktionen gibt es auch bei anderen Herstellern. Beeindruckend finde ich aber, wie flüssig und intuitiv das alles klappt. Selbst meine Eltern – keine Techies – finden sich damit nach ein paar Minuten zurecht. Über das Handy kann ich das Auto sogar automatisch aus einer Parklücke fahren lassen. James Bond lässt grüßen, auch was den Showeffekt angeht.

Überall, wo ich mit dem Tesla vorfahre, zieht das Auto Aufmerksamkeit auf sich. Nicht nur Nachbarn kommen vorbei. Freunde melden sich, um eine Runde zu drehen. Im Rückspiegel sehe ich, wie sich Leute nach dem Wagen umdrehen. Auf Parkplätzen werde ich angesprochen. „Sind die Spaltmaße wirklich so schlecht, wie alle sagen?“, fragt mich einer.

Tatsächlich hat Tesla aktuell noch einige Probleme mit Qualität und Verarbeitung. Mein Testwagen ist fehlerfrei, es gibt aber auch Horrorgeschichten von Besitzern, die Neuwagen mit Dutzenden Defekten erhalten haben. Manche nehmen das Auto ganz genau unter die Lupe, schauen in den Kofferraum, fahren mit dem Finger über die Armaturen, beugen sich zu den Reifen herunter, als wäre das Auto tatsächlich eine Art Raumschiff.

Dabei ist das Auto erstaunlich alltagstauglich und eigentlich viel zu schade, um es nur in der Großstadt zu fahren. Auch auf dem Land ist es eine echte Alternative zum Verbrenner. Als ich den Nachbarn und langjährigen VW-Besitzer frage, ob er sich vorstellen könnte, auf einen Stromer umzustellen, antwortet er zwar „Nein“. Aber „dat kutt secher noch“.

Technische Daten

Viersitzige, viertürige Limousine der Mittelklasse, Länge: 4,69 Meter, Breite: 2,08 Meter mit Außenspiegeln, Höhe: 1,44 Meter, Radstand: 2,88 Meter, Kofferraumvolumen: vorn 85 / hinten 340 Liter.

Model 3 AWD Long Range: 75-kWh-Batterie, Allradantrieb; 324 kW/440 PS, 0-100 km/h: 4,6 s, Spitzengeschwindigkeit: 233 km/h, Reichweite: 560 Kilometer nach WLTP-Messzyklus, CO2-Ausstoß: 0 g/km, Effizienzklasse: A+, Günstiges Model: ab 43.880 Euro (Model 3 Standard Range Plus, inklusive Herstelleranteil Umweltbonus); Preis des Testwagens: 55.630 Euro (inklusive Herstelleranteil Umweltbonus)

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