Die Gründer Qasar Younis und Peter Ludwig trainieren Algorithmen für Fahrassistenzsysteme in virtuellen Welten. Namhafte Autobauer sind schon Kunden.
Cockpit eines selbstfahrenden Autos
Nur schrittweise soll der Weg zur vollständigen Fahrautonomie vollzogen werden.
Bild: imago images/Science Photo Library
Düsseldorf Tesla ist nicht nur einer der Pioniere der Elektromobilität. Auch beim autonomen Fahren zählt die Firma von Elon Musk zu den Innovationsführern. Tesla sammelt dabei Daten über eine umstrittene Praxis: Der Autobauer setzt fortgeschrittene Fahrassistenzsysteme zu Testzwecken in zugelassenen Fahrzeugen ein, unter Auflagen für die Fahrer.
Die wiederum nehmen die irreführende, da nicht zutreffende Bezeichnung als „Full Self-Driving“ – vollständig selbstfahrend – allerdings vielfach zu wörtlich und bleiben mit den Augen nicht im Straßenverkehr. Unfälle, auch mit tödlichem Ausgang, waren immer wieder die Folge.
Für Qasar Younis ist diese Vorgehensweise unverantwortlich. „Man kann nicht einfach in die reale Welt hinausgehen und testen, wie sich ein automatisiertes Fahrsystem verhält, wenn beispielsweise ein Mensch oder ein Tier überraschend auf die Straße läuft“, sagt Younis dem Handelsblatt.
Der 41-jährige Amerikaner hat sich mit einem Unternehmen in diesem Bereich selbstständig gemacht. 2017 hat er zusammen mit Peter Ludwig das Start-up Applied Intuition gegründet. Dessen Geschäftsansatz: virtuelle Testfahrten. „Wir nehmen beispielsweise eine Meile einer realen Testfahrt und können diese auf über 1000 Meilen virtuell erweitern“, sagt Younis. „Dafür nehmen wir reale Ereignisse und variieren diese virtuell.“
Automatisierte Fahrsysteme beruhen auf Algorithmen, die die Fahrentscheidungen übernehmen. Diese Algorithmen entscheiden auf Grundlage der Daten, die Sensoren wie Kameras, Radars und Lidars, also Laser-Radare, liefern. Autohersteller müssen diese Algorithmen trainieren. Dafür müssen Fahrdaten gesammelt und ausgewertet werden.
Qasar Younis
Das US-Start-up Applied Intuition des Gründers trainiert Algorithmen von Fahrerassistenzsystemen mithilfe von virtuellen Daten.
Bild: Applied Intuition
Applied Intuition verspricht, diesen teuren und aufwendigen Prozess mithilfe virtueller Testfahrten zu beschleunigen. Auf diese Weise könne nicht nur die Quantität der Fahrdaten kostengünstig erhöht werden, sondern auch deren Qualität, sagt der Gründer.
Mit Younis’ Lösung können auch die sogenannten „Edge Cases“ simuliert werden. Dabei handelt es sich um seltene und oftmals gefährliche Fahrsituationen. Solche, bei denen die Algorithmen von Fahrerassistenzsystemen, wie jenes von Tesla, überfordert sind.
„Die sogenannten Edge-Cases finden in der realen Testumgebung so gut wie gar nicht statt. Deswegen sind Simulationen so wichtig, weil wir diese seltenen Fahrsituationen virtuell nachbauen können“, sagt Younis.
Younis’ Idee findet vor allem bei traditionellen Autoherstellern Anklang. Automarken wie Daimler, GM oder Toyota, die zu den Kunden von Applied Intuition zählen, können sich ein Vorgehen wie Tesla bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen nicht leisten. Und die meisten Hersteller haben bereits Erfahrung mit öffentlichen Reaktionen, wenn etwa der Rückruf eines Modells aufgrund von Sicherheits- oder Qualitätsmängeln ansteht.
Wie bei vielen Start-ups in den USA, die sich mit dem Thema automatisiertes Fahren beschäftigen, haben Ludwig und Younis früher für Google gearbeitet. Dort waren sie mit den Autoprojekten des Tech-Giganten beschäftigt. Younis ist studierter Maschinenbauer, war kurzzeitig auch an der Universität in Konstanz. Danach arbeitete er zeitweise für Bosch und General Motors. Vor etwa 18 Jahren habe er sich dann im Softwarebereich weitergebildet, sagt er. Die Idee für Applied Intuition kam Younis und Ludwig während ihrer Zeit bei Google.
Sie teilen die Einschätzung der traditionellen Autohersteller, dass der Weg zum automatisierten Fahren schrittweise erfolgen wird. Zwar sei die Entwicklung von Robotaxis, an denen Unternehmen wie Waymo oder Cruise arbeiten, sinnvoll, erläutert der Gründer. Doch Geld verdiene man derzeit nur mit Fahrerassistenzsystemen. Die Autobauer und Zulieferer hätten dabei vor allem die Kosten im Blick, und Younis verspricht, dass diese mit den virtuellen Testfahrten von Applied Intuition gesenkt werden könnten.
Überprüfen lässt sich das nicht. Wie für Start-ups üblich veröffentlicht Applied Intuition keinerlei Unternehmenszahlen. Es laufe gut, versichert Younis. Ob das Start-up schwarze Zahlen schreibt, bleibt aber ein Geheimnis.
Allerdings spricht für Applied Intuition, dass das junge Unternehmen namhafte Wagniskapitalgeber überzeugt konnte. Mit dabei sind unter anderem die Investoren Andreessen Horowitz, General Catalyst und Kleiner Perkins.
Im Oktober des vergangenen Jahres kamen rund 175 Millionen US-Dollar hinzu. Insgesamt hat Applied Intuition bereits 350 Millionen Euro eingesammelt. Aus Deutschland ist die Start-up-Investorin Janette zu Fürstenberg mit ihrem Fonds La Famiglia investiert. Auch der Beirat des Start-ups ist prominent besetzt. In ihm sitzen der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche und der frühere Vorstandsvorsitzende von General Motors Rick Wagoner.
Bewertet wird das Unternehmen mittlerweile mit rund 3,6 Milliarden US-Dollar. Innerhalb eines Jahres konnte Applied Intuition seinen Unternehmenswert fast verdreifachen. Diese Entwicklung ist eines von vielen Indizien, die zeigen, dass der Markt für das automatisierte Fahren stark in Bewegung ist.
Mittlerweile beschäftigten Younis und Ludowig mehr als 100 Mitarbeiter und haben Büros im Silicon Valley, in Detroit, Seoul, Tokio und München. Die Präsenz in Deutschland dürfte der Nähe zu wichtigen Kunden der deutschen Autoindustrie geschuldet sein. Auch dass die Homepage des Unternehmens in deutscher Sprache aufrufbar ist, dürfte keinen Zweifel daran lassen, welche Kunden Younis im Blick hat.
Bei vielen Autoherstellern findet derzeit die finale Entwicklung von Systemen statt, mit denen Autofahrer ihr Fahrzeug beispielsweise selbstständig über die Autobahn fahren lassen können. Daimler bietet ein solches System bereits in der S-Klasse an. In zwei Jahren könnten auch günstigere Volumenmodelle mit solchen Systemen ausgestattet werden. Volkswagen hegt ähnliche Pläne. Schritt für Schritt wollen die Autohersteller ihre Systeme dann verbessern.
Younis und Ludwig zweifeln nicht daran, dass dieser Weg irgendwann zu vollständig selbstfahrenden Autos führen wird. „Ich bin mir sicher, dass es irgendwann vollautonome Roboterautos geben wird“, sagt Co-Gründer Ludwig. „Aber dafür sind noch eine Reihe von technologischen Durchbrüchen notwendig. Ich bin optimistisch, dass das noch während meiner Lebenszeit passieren wird.“ Und Ludwig ist 33 Jahre alt.
Mehr: Bosch soll helfen, automatisiertes Fahren massenmarkttauglich zu machen. Für Volkswagen ist es ein Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit mit Zulieferern.
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