Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

05.10.2021

15:52

Autoindustrie

Auslaufmodell Plug-in-Hybrid – Elektroautos setzen sich schneller durch als erwartet

Von: Martin-W. Buchenau, Franz Hubik, Stefan Menzel, Roman Tyborski

In Deutschland werden mehr Elektroautos als Plug-in-Hybride zugelassen. Die Antriebsvariante verliert ihren Status als Brückentechnologie. Erste Autobauer reduzieren ihr Engagement.

Der doppelte Antriebsstrang wird für die Autobauer immer unattraktiver. dpa

Plug-in-Hybrid

Der doppelte Antriebsstrang wird für die Autobauer immer unattraktiver.

Düsseldorf, Stuttgart, München Für die deutsche Autoindustrie war der Plug-in-Hybrid in den vergangenen Jahren die bevorzugte Antwort auf Herausforderer Tesla mit seinen Elektroautos. Die Fahrzeuge mit den zwei Antrieben, also einem Verbrennungs- und Elektromotor, galten als Brückentechnologie. Sie sollten der Branche Zeit verschaffen, um die Transformation zur Elektromobilität technisch und für die Mitarbeiter sozialverträglich zu bewältigen.

Doch die Brücke in die Zukunft wird offenbar kürzer als gedacht. Der Plug-in-Hybrid droht in Deutschland vorzeitig zum Auslaufmodell zu werden. Darauf deuten aktuelle Zulassungszahlen hin, die das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) am Dienstag veröffentlicht hat.

Mit 33.655 Zulassungen erreichten Elektroautos im September einen neuen Höchstwert. Im Vergleich zum Vorjahresmonat liegt die Zahl knapp 59 Prozent höher. Bei Plug-in-Hybriden stiegen die Zulassungen lediglich um 13,5 Prozent auf 22.842 Einheiten.

Im September wurden damit – wie bereits im Juni und im August – mehr Elektroautos zugelassen als Fahrzeuge mit Plug-in-Hybrid-Antrieb. Nach Einschätzung von Branchenbeobachtern markiert das eine Trendwende im Markt: „Der Trend, dass mehr Elektroautos als Plug-in-Hybride zugelassen werden, wird sich in den verbliebenen Monaten des Jahres fortsetzen“, heißt es in einer aktuellen Studie zum westeuropäischen Fahrzeugmarkt des Automobilanalysten Matthias Schmidt.

Der ökologisch ohnehin umstrittene Plug-in-Hybrid wird damit auch ökonomisch immer unattraktiver – und erste Autobauer reagieren auf diese Entwicklung. Für Daimler haben die Fahrzeuge mit den zwei Herzen keine strategische Bedeutung mehr, wie Entwicklungschef Markus Schäfer bereits im Rahmen der Automesse IAA in München angedeutet hat. „Es sind keine weiteren neuen Entwicklungen geplant. Die Investitionen sind getätigt, insofern nutzen wir sie“, sagte er mit Blick auf Plug-in-Hybride.

Grafik

Volkswagens Schwestermarke Skoda sieht in Plug-in-Hybriden ebenfalls keine Zukunft mehr. „Wir setzen perspektivisch voll auf reine E-Autos“, sagte Skoda-Chef Thomas Schäfer zuletzt dem Fachmagazin „Autogazette“. Für Flotten seien Plug-in-Hybride wegen der günstigen Dienstwagenbesteuerung in Deutschland zwar noch wichtig. Neue Octavia- und Superb-Modelle mit dieser Antriebsart werde es in Zukunft aber nicht mehr geben.

Volkswagen-CEO Herbert Diess macht ebenfalls keinen Hehl daraus, dass der Plug-in-Hybrid-Antrieb allenfalls im Dienstwagensegment aufgrund der günstigen staatlichen Konditionen noch von Bedeutung sei. „Die Zukunft der Plug-in-Hybride hängt von der Ausgestaltung der staatlichen Regulierung ab“, sagte er zuletzt dem Handelsblatt. In Deutschland helfe die günstige Besteuerung der Dienstwagen, in den USA spielten Plug-in-Hybride dagegen keine Rolle.

Elektroantriebe auch für Zulieferer attraktiver

Ende vergangener Woche forderte dann die Betriebsratsvorsitzende von VW, Daniela Cavallo, dass am Standort Wolfsburg früher als geplant Elektroautos gefertigt werden. Die Sorge ist groß, dass mit Golf und Tiguan, die es lediglich als Plug-in-Hybride gibt, das VW-Stammwerk künftig nicht ausgelastet werden kann.

Für Daimler-Chefentwickler Schäfer steckt hinter dem Fokus auf den Elektroantrieb auch eine unternehmerische Logik. Denn die Entwicklung von zwei Antrieben in einem Auto sei das Komplexeste, was es gebe. „Am Ende ist es auch eine Kostenbelastung für das Fahrzeug“, sagte Schäfer auf der IAA.

Das liegt unter anderem daran, dass Daimler, VW und BMW die Plug-in-Hybride in Fahrzeuge integrieren, die auf den alten Produktionsplattformen für Autos mit Verbrennungsmotoren basieren. Würden die Autobauer auch für kommende Modelle Plug-in-Hybrid-Antriebe anbieten, müssten sie die alten Produktionsplattformen neben den Plattformen für Elektrofahrzeuge weiter intakt halten.

Auch für viele Zulieferer ist die Produktion von Komponenten für reine Elektroautos wirtschaftlich attraktiver als für Plug-in-Hybride. Der Antriebshersteller Vitesco beispielsweise geht davon aus, dass der Wert der Komponenten, die er für ein Elektroauto liefert, ab 2025 bei rund 2400 Euro liegen wird. Bei Plug-in-Hybriden hingegen beträgt der erwartete Komponentenwert pro Fahrzeug lediglich 1540 Euro.

Die beschleunigte Elektrowende ist für Zulieferer wie ZF hingegen eine brenzlige Entwicklung. Das Stiftungsunternehmen hat seine Elektrostrategie sehr viel stärker vom Plug-in-Hybrid abhängig gemacht als andere. Das Unternehmen ist mit Getrieben groß geworden, und Plug-in-Hybride brauchen – anders als reine Elektroautos – weiterhin Getriebe.

Für ZF ist der Plug-in-Hybrid der Königsweg, um die Beschäftigung im größten Getriebewerk in Saarbrücken zu sichern. Der Zulieferer ist in seiner Strategie auf eine längerfristig höhere Nachfrage angewiesen, wie ZF-Chef Wolf-Henning Scheider zuletzt auf der IAA andeutete. Er geht davon aus, dass Plug-in-Hybride „weit über 2030 hinaus in vielen Teilen der Welt eine wichtige Rolle bei der Elektrifizierung der individuellen Mobilität“ spielen werden.

Grafik

ZF hat noch Milliardenaufträge für die teilelektrifizierte Antriebsvariante. Einer der größten Kunden für Getriebe für Plug-in-Hybride ist BMW. Der Münchener Autobauer schwenkt allerdings mittlerweile auch stärker in Richtung reiner Elektroautos um. Experten bezweifeln daher, dass diese Hybrid-Aufträge auch in voller Höhe abgerufen werden.

Vor allem der Ausbau der Ladeinfrastruktur läuft gegen die Nachfrage nach Plug-in-Hybriden. Denn mit jeder neuen Ladesäule, die errichtet wird, schwindet auch die Reichweitenangst – eines der wichtigsten Argumente für Privatkunden, einen Plug-in-Hybrid statt eines Elektroautos zu kaufen. Vor allem in westeuropäischen Staaten, den USA und in China wird die Ladeinfrastruktur derzeit stark ausgebaut.

Strengere Förderbedingungen für Plug-in-Hybride

Stephan von Schuckmann, Chef der gesamten Antriebseinheit von ZF, bleibt angesichts des Ausbaus noch gelassen. Der Aufbau der E-Ladeinfrastruktur ist seiner Meinung nach weiterhin zu langsam, Plug-in-Hybrid-Antriebe seien daher weiterhin essenziell.

„Es müssten jeden Tag allein in der Europäischen Union 2000 Ladesäulen neu installiert werden, um nach 2035 ohne Verbrennungsmotoren auszukommen“, sagt Schuckmann dem Handelsblatt. „In jenen Regionen der Welt, in denen es längerfristig keine flächendeckend ausreichende Ladeinfrastruktur für reine E-Fahrzeuge geben wird, spielen Plug-in-Hybride auf Jahre hinaus noch eine wichtige Rolle.“ Viele osteuropäische Staaten, aber auch große Teile Südamerikas und Asiens sind von einem flächendeckenden Ladenetz noch weit entfernt.

Allerdings wird auch regulatorisch die Luft für Plug-in-Hybride immer dünner. Im kommenden Jahr steht eine Verschärfung bei den Förderbedingungen für Plug-in-Hybride an. Der Gesetzgeber verlangt dann eine größere Mindestreichweite für den elektrischen Antrieb. Aktuell reichen noch 40 Kilometer aus, um in den Genuss der staatlichen Förderung zu kommen. 2022 werden dann mindestens 60 Kilometer verlangt.

Eine ganze Reihe aktuell verkaufter Autos wird dann nicht mehr förderfähig sein. Dadurch dürfte die Nachfrage nach Plug-in-Hybriden mit geringer Reichweite schlagartig absacken. Dazu gehören Modelle von Audi, Ford und Volvo.

Grafik

Auch die günstige Dienstwagenbesteuerung von Plug-in-Hybriden wird mittlerweile selbst innerhalb der Autobranche kritisch gesehen. „Die Förderung von Dienstwagen mit Verbrenner muss beendet werden. Nur rein batterieelektrische Fahrzeuge, Plug-in-Hybride nur mit elektrischer Mindestnutzung“, schrieb VW-Chef Diess vor Kurzem auf Twitter. Damit teilt er die Position vieler Umweltverbände.

Denn Firmen kontrollieren selten, ob Dienstautos tatsächlich elektrisch gefahren werden. Darauf weist auch eine Umfrage der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) hin. 53 Prozent der befragten Fuhrparkleiter vermuten, „dass einige der Dienstwagenberechtigten einen PHEV wie einen klassischen Verbrenner fahren“.

Das Grundproblem: Die Autos sind nur vermeintlich umweltfreundlich, weil sie zu selten elektrisch gefahren werden. Und mit leerer Batterie muss der Verbrenner den Elektroantrieb mitschleppen, was den Verbrauch und den CO2-Ausstoß erhöht. Dieses Schummelimage werden die Fahrzeuge nicht los.

Niederlande stellt Plug-in-Förderung ein

„Die derzeitigen Förderkulissen in Deutschland unterstützen nicht den ,artgerechten‘ Einsatz von Plug-in-Hybriden und sollten aus Klimaschutzgründen dringend angepasst werden“, empfiehlt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM).

Die Niederlande haben daraus schon Konsequenzen gezogen. 2016 wurde zunächst die steuerliche Vergünstigung von Plug-in-Hybriden gestrichen, vor knapp zwei Jahren die staatliche Förderung eingestellt.

Die Folgen: Wurden 2016 noch knapp 19.000 Plug-in-Hybride zugelassen, sackten die Zulassungen im darauffolgenden Jahr auf knapp 1000 ab. In der gleichen Zeit haben sich die Zulassungen von Elektroautos von 4000 auf über 9000 mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr kamen in den Niederlanden bereits fast 73.000 Elektroautos und nur 15.000 Plug-in-Hybride auf die Straße. Eine ähnliche Entwicklung steht nun dem deutschen und vielen anderen europäischen Automärkten bevor.

Mehr: Wer ein E-Auto kauft, profitiert von zahlreichen Förderprogrammen von Ländern und Bund. Doch nun wollen die Länder sparen – auf Kosten manchen Käufers

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×