PremiumDer Münchener Hersteller gewinnt Magna als Entwicklungspartner. Gemeinsam wollen die beiden ein massentaugliches Elektroauto zum Kampfpreis bauen.
ACM City One
Technologisch ausgeklügelt: der City One verfügt über eine Festbatterie und Wechselakkus im Kofferraum. Optional sind weiter Wechselbatterien, die auf dem Dachgepäckträger mitgeführt werden.
Düsseldorf Im Vergleich zu Branchenriesen wie Volkswagen oder Tesla ist ACM winzig. Gerade einmal zehn Mitarbeiter arbeiten in München an einem neuen Elektroauto. Acht Jahre Entwicklungszeit haben Vorstandschef Paul Leibold und sein Team in einen elektrischen Kleinwagen investiert, der manches hat, was der Konkurrenz fehlt. Er ist nicht nur leicht und sicher, sondern auch vielfältig einsetzbar und sehr preiswert.
Was sich wie ein Forschungs- und Entwicklungshilfeprojekt anhört, könnte bald groß am Markt rauskommen. Kunden stehen Schlange, die Technologie scheint serienreif. Der bekannte Auftragsfertiger Magna International akzeptiert ACM nun als Kunden. „Das ist eine wichtige Basis für unser Unternehmen“, sagt Vorstandschef Paul Leibold, der seinen „City One“ erstmals auf der Messe IAA präsentieren will.
Für einen kleinen Entwickler kommt die Zusammenarbeit einem Ritterschlag gleich. Bei Magna anrufen und einen Auftrag abgeben – so einfach geht das nicht. Der kanadisch-österreichische Konzern ist wählerisch, zahllose Start-ups im Bereich Elektroautos wollen mit dem Auftragsfertiger ins Geschäft kommen. „Die setzen nur ihre Ressourcen und Ingenieure ein, wenn sie an das Projekt glauben“, sagt Karl-Thomas Neumann. Der ehemalige Opel-Chef sitzt im Beirat von ACM.
Anders als die großen Autokonzerne zielt ACM nicht auf Privatkunden, sondern vor allem auf Taxifirmen, Leasingunternehmen und andere Flottenbetreiber – vor allem in Asien oder Afrika. Unterschrieben sind bereits Absichtserklärungen für den Absatz von insgesamt 208.000 Fahrzeugen – insgesamt wären das drei Milliarden Euro Umsatz.
ACM steht für „Adaptive City Mobility“. Um die Idee dieser „adaptiven Stadtmobilität“ umzusetzen, wollen die Münchener ein Fahrzeug bauen, das bis zu fünf Personen Platz bietet, auch als Kleinlasttransporter einsetzbar ist und mit einem Wechselakku mögliche Reichweitenängste aus der Welt schafft. Das Eigengewicht des Fahrzeugs ist mit 950 Kilogramm deutlich geringer als bei vielen Konkurrenten.
Kopf und Herz der Firma ist Leibold. Der 53-Jährige ist in Autokreisen bekannt, arbeitete bei BMW am Elektroauto i3 mit. Seit 2013 arbeitet der Wirtschaftsingenieur mit ACM an seiner neusten Idee. Gefördert wird seine Entwicklung durch ein Konsortium des Bundeswirtschaftsministeriums, auch das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik und Siemens waren mit an Bord.
Nun will das Start-up den Schritt aus der Entwicklungsphase in die Produktion wagen. Magna hat dafür eine Machbarkeitsstudie erstellt, derzeit arbeiten viele qualifizierte Ingenieure an dem Fahrzeug. Die ersten Testfahrzeuge sollen 2023 produziert werden, spätestens Anfang 2024 soll die Massenproduktion in Werken in Asien starten.
Im Frühjahr rief Leibold den ehemaligen Opel-Chef Neumann an. Ob er sich einmal das Konzept von ACM anschauen wolle? Anfangs sei Neumann noch zurückhaltend gewesen, doch die Begeisterung und das Know-how von Leibold hätten ihn überzeugt. Nach einer Testfahrt mit dem City One investierte der Automanager sogar selbst in das Start-up. „Das ist ein Raumwunder“, sagt Neumann über den kleinen Prototypen.
Viel Platz schaffen, das war eine Prämisse von ACM. Schließlich soll das Fahrzeug nicht nur als Taxi eingesetzt werden. Darüber ist der elektrische Kleinwagen auch für Lieferdienste praktisch: Die Rückbank lässt sich umklappen, so passt in den Frachtraum eine ganze Europalette. „Es ist möglich, sie mit einem Gabelstapler reinzusetzen“, erklärt Leibold stolz.
Paul Leibold
Der frühere BMW-Ingenieur nähert sich der Umsetzung seines Elektroautos in die Praxis - nach acht Jahren Entwicklung.
Bislang sammelte Leibold rund 40 Millionen Euro an Investorengeld ein, derzeit läuft eine neue Finanzierungsrunde. Die wird deutlich größer ausfallen, ACM ist in Gesprächen mit mehreren strategischen Investoren, unter anderem aus dem arabischen und asiatischen Raum. „Das Interesse ist sehr groß“, sagt Leibold.
Der Grund für das Interesse: Der City One ist ganz und gar vom Kunden gedacht, eignet sich gut für den städtischen Verkehr in Ländern, die anders als in Europa oder den USA kein Netz von Superchargern aufbauen. Ohne Schnellladesäulen wird die Reichweite für viele Flottenbetreiber schnell zum Problem.
ACM will mit einem neuartigen Batteriesystem möglichst viel Flexibilität schaffen. Das Fahrzeug verfügt über eine fest installierte Lithium-Ionen-Batterie sowie über Wechselakkus, die zusammen eine Reichweite von bis zu 240 Kilometern ermöglichen.
Die jeweils zehn bis zwölf Kilo schweren Wechselakkus befinden sich im Kofferraum, optional können sie auch auf dem Dach mitgeführt werden. Sie können mit wenigen Handgriffen ausgetauscht werden und liefern so weitere 100 bis 120 Kilometer Reichweite. Die Batterien des mit 48 Volt ausgestatteten Fahrzeugs können an jeder Haushaltssteckdose in acht Stunden aufgeladen werden, an einer Ladestation in fünf Stunden.
Der ACM City One kostet je nach Ausstattung 10.000 bis 15.000 Euro. Ein niedriger Preis, der laut Neumann durch Produktion und Entwicklung kaum weiter zu senken ist. Aber ACM versucht auf andere Weise, die sogenannten „Total Cost of Ownership“ oder Gesamtkosten des Fahrzeugbesitzers zu senken.
ACM City One
Mit allen Mitteln den Preis drücken: einfache Verarbeitung im Innenraum des City One von ACM.
Beispielsweise durch Werbeeinnahmen Das Fahrzeug hat auf der Heckklappe einen bis zu 40-Zoll-großen Digitalmonitor, auf dem digitale Werbung abgespielt werden kann. Nach Berechnungen von ACM können Flottenbetreiber damit jährlich mindestens 3000 Euro einnehmen, die sich ACM mit Werbepartnern und Flottenbetreiber teilt. Das Fahrzeug kann also seinen Kaufpreis nach einigen Jahren allein auf diese Weise erwirtschaften.
Mit einer digitalen Plattform will ACM das Geschäft steuern. Derzeit baut es zusammen mit der Porsche-Tochter MHP ein Angebot auf. Dort könnten Firmen oder Privatkunden die Fahrzeuge für Auftragsfahrten buchen und so Leerfahrten vermeiden. Eine andere Idee: Versicherungen könnten die Fahrzeugdaten gegen Geld auswerten.
Das Geschäftsmodell scheint einen Nerv zu treffen. So orderte die chinesische Mobilfunkkette D.Phone 35.000 Fahrzeuge, um sie Kunden mit einer Flatrate anzubieten. Natürlich mit einem Vorbehalt: ACM muss die Produktion hinbekommen und die versprochenen Fahrzeugdaten erreichen. „Der Markt ist riesig“, sagt Leibold.
Entsprechend stellt sich ACM jetzt anders auf, will kurzfristig bis zu hundert Mitarbeiter einstellen, vor allem im Software- und Entwicklungsbereich. Der Outsourcing-Gedanke der Firma soll aber beibehalten werden, möglichst viele Abläufe wie beispielsweise die Produktion sollen ausgelagert bleiben. „Wir wollen klein bleiben“, sagt der Vorstandschef, dem eine Maximalgröße von 300 Mitarbeitern vorschwebt.
An Bewerbern mangelt es nicht. Auf eine kürzliche Stellenausschreibung von zehn Positionen meldeten sich laut Leibold tausend Bewerber. „Immer mehr Menschen erkennen, dass die Klimawende radikale Lösungen braucht“, sagt Leibold.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×