Ab 2025 soll es am Moia-Standort Hamburg mit autonomen Fahrzeugen losgehen, auf Sicht ohne Begleitfahrer. Der Dienst soll sich kommerziell tragen, trotzdem günstig sein – und verkaufbar.
Moia-Fahrzeug un Hamburg
VW will die vorhandenen Strukturen seines Mobilitätsdienstleisters für die Einführung eines autonomen Taxis nutzen.
Bild: dpa
Düsseldorf Volkswagen will in Hamburg schon bald selbstständig fahrende Robotaxis in Betrieb nehmen. Von 2025 an dürften die ersten 1000 autonomen Fahrzeuge im Stadtgebiet auf die Reise geschickt werden. Das Unternehmen sieht in der Hansestadt nach positiven Erfahrungen mit dem elektrischen Sammeltaxi Moia gute Voraussetzungen, eine weitere Alternative im Personentransport zu etablieren.
Verantwortlich für das Taxiprojekt ist die Konzerntochter Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN). VWN produziert in Hannover die elektrischen Kleinbusse („ID.Buzz“), mit denen der Wolfsburger Fahrzeughersteller im großen Stil in das wachsende Geschäft mit neuen Mobilitätsdienstleistungen einsteigen will.
„Wir werden ein kommerziell tragfähiges Geschäftsmodell aufstellen“, versichert VWN-Vorstandschef Carsten Intra im Gespräch mit dem Handelsblatt. Hamburg werde nur der Anfang sein. In den ersten Folgejahren nach 2025 würden jährlich zwei Städte dazukommen, gleichermaßen in Europa und den USA.
Spätestens von 2030 an werde Volkswagen Nutzfahrzeuge die Geschwindigkeit erhöhen und noch mehr Standorte bedienen. „Dann werden wir eine starke Expansion sehen“, erwartet Intra. Weltweit seien mehrstellige Milliardenumsätze mit neuen Mobilitätsdiensten zu erwarten.
Die Entwicklung einer leistungsfähigen Software ist die größte Herausforderung für Unternehmen wie Volkswagen, die in den kommenden Jahren von diesem wachsenden Geschäft profitieren wollen. VWN macht das nicht allein. Die hannoversche Volkswagen-Tochter arbeitet gemeinsam mit Argo AI an der Entwicklung sogenannter SDS-Systeme („Self-Driving Systems“). Argo AI ist ein amerikanisches Gemeinschaftsunternehmen des VW-Konzerns mit Ford, das sich auf die Programmierung von autonom eingesetzten Fahrzeugen spezialisiert hat.
Sowohl in Hamburg als auch in München sind aktuell elektrische Kleinbusse von Volkswagen unterwegs. Auf deren Fahrten wird das komplette Straßennetz der Städte kartografiert und digitalisiert, damit die Robotaxis in einigen Jahren tatsächlich eigenständig fahren können.
Nach Hamburg steht zwar noch kein weiterer Standort fest. „Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass München als Nummer zwei folgen könnte, da wir hier aktuell bereits unsere Testfahrten umsetzen“, ergänzt VWN-Chef Intra.
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Die Robotaxis von Volkswagen sollen auf dem autonomen „Level 4“ unterwegs sein. Zunächst wird es noch einen Sicherheitsfahrer geben, später soll es ganz ohne menschliche Unterstützung gehen. Die Fahrzeuge können auf diesem Niveau der Autonomie allerdings nur in zuvor klar definierten Regionen unterwegs sein.
Im Fall der VWN-Kleinbusse wird das also etwa das Stadtgebiet von Hamburg sein, für das jetzt die benötigen Kartendaten gesammelt werden. „Level 5“ ist das höchste Niveau des autonomen Fahrens; auf dieser Stufe gibt es keine regionalen Beschränkungen mehr.
Dass Hamburg zum ersten kommerziellen Einsatzgebiet für den VW-Konzern werden soll, ist kein Zufall. Schon seit einigen Jahren sind in der Hansestadt die Kleinbusse der Volkswagen-Tochter Moia unterwegs. Diese Sammeltaxis füllen eine Lücke zwischen dem öffentlichen Nahverkehr und klassischen Taxis. Die Moia-Busse transportieren mehrere Fahrgäste zugleich, fahren aber stets auf wechselnden Routen, die nach den Wünschen der Passagiere geplant werden.
Volkswagen sammelt derzeit also schon Erfahrungen als Betreiber eines neuen Mobilitätsdienstes. Etwa 250 Moia-Fahrzeuge – Kleinbusse von VWN – sind täglich auf den Hamburger Straßen unterwegs. VWN kann Moia als Basis nutzen, um damit die erste kommerzielle Nutzung der neuen Robotaxis zu starten. Fahrzeuge mit SDS-System, an denen die Hannoveraner derzeit mit Argo AI arbeiten, können dann die heutigen Kleinbusse mit Moia-Fahrern vom Jahr 2025 an nach und nach ersetzen.
Die enge Zusammenarbeit mit einem Konzernunternehmen wie Moia macht den ersten Testlauf in einer Stadt wie Hamburg für VWN vergleichsweise einfach. Später will die Volkswagen-Tochter ihre fertig entwickelten autonomen Fahrzeuge auch an Fremdkunden verkaufen.
Das könnten beispielsweise Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs sein, aber auch Unternehmen, die stärker im Individualverkehr unterwegs sind. „In den USA beispielsweise könnten wir uns die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Uber und Lyft natürlich vorstellen“, betont Intra.
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Abnehmer eines fertigen SDS-Systems von Volkswagen können in Zukunft viel Geld sparen, weil sie keine Fahrer mehr bezahlen müssen. Darin sieht VWN-Chef Intra den größten absehbaren wirtschaftlichen Nutzen. Ein Taxiunternehmer kommt aktuell auf etwa 2,50 Euro je gefahrenen Kilometer, im ÖPNV sind es ungefähr 1,50 Euro. Intra glaubt, dass er das Taxi mit seinem autonomen Vehikel schon kurz nach 2025 unterbieten kann. „Das ÖPNV-Niveau dürften wir im nächsten Jahrzehnt erreichen“, sagt er.
Volkswagen Nutzfahrzeuge arbeitet zudem an sogenannten „Special Purpose Vehicles“ (SPVs). Das sind Fahrzeuge, die grundsätzlich ohne Fahrersitz und Lenkrad geplant und entwickelt werden. Solche Gefährte könnten in einigen Jahren im urbanen Lieferverkehr etwa von Paketdiensten verwendet werden. SPV-Modelle können mehr Fracht aufnehmen, weil kein Platz mehr für einen Fahrer gebraucht wird.
Allerdings sind nicht alle Fahrzeughersteller davon überzeugt, dass der Fahrer überall und komplett aus den Transportern verschwinden wird. „Man muss nicht hinauf bis zum höchsten autonomen Level“, sagt etwa Hans Schep, europäischer Nutzfahrzeugchef des US-Konzerns Ford. Es sei durchaus vorstellbar, dass Transportunternehmen nur teilweise auf einen Fahrer verzichteten. Der direkte menschliche Kontakt etwa bei der Übergabe von Waren biete auch in Zukunft Vorteile.
Volkswagen könnte dennoch mit seiner Einschätzung richtig liegen, dass viele Transportunternehmen auf den Fahrer verzichten werden, um die Kosten zu drücken. 70.000 bis 80.000 Euro müssen jährlich für einen Fahrer ungefähr veranschlagt werden (Lohn plus Sozialabgaben).
„Wir müssen günstiger sein als drei Fahrer je Tag, da wir autonom rund um die Uhr fahren können – quasi in drei Schichten“, beschreibt VWN-Chef Intra die wirtschaftliche Herausforderung für sein Unternehmen. Dazu kommt die grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanz für das autonome Fahren, dem immer noch eine größere Skepsis entgegensteht. „Deshalb müssen wir auch nachweisen, dass unser Angebot besser und sicherer ist als der menschliche Fahrer.“ Intra ist überzeugt, dass das Volkswagen gelingen wird. Der Konzern habe frühzeitig mit der Entwicklung begonnen.
VW-Robotaxis in Hamburg und München in Vorbereitung
In Hamburg und München sind die ersten Spezialtransporter von Volkswagen unterwegs. Sie kartografieren das Straßennetz – und schaffen damit die digitale Grundlage für autonom eingesetzte Fahrzeuge.
Bild: Volkswagen Group
Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management (CAM) der Fachhochschule Bergisch Gladbach, gibt den Robotaxi-Entwicklern von Volkswagen in einem Punkt recht: „Grundsätzlich ist es technisch möglich, solche autonomen Fahrzeuge zu entwickeln. Neue Mobilitätsdienste versprechen Umsätze in Milliardenhöhe.“ Doch bis perfekt einsatzbare Systeme verfügbar seien, würden wahrscheinlich noch zehn Jahre vergehen.
Der Hochschullehrer erwartet, dass sich nicht viele Unternehmen in diesem neuen Geschäftsfeld festsetzen werden. „Am Ende wird es wahrscheinlich nur drei oder vier Systeme geben“, ergänzt er. Volkswagen muss sich dabei gegen starke Wettbewerber wie Waymo, Cruise (beide USA) oder Baidu (China) durchsetzen. Dass sich Volkswagen schlussendlich behaupten wird, ist für den Autoprofessor längst nicht ausgemacht.
Immerhin hat der Wolfsburger Autohersteller seine Anstrengungen verdoppelt. Denn im Volkswagen-Konzern wird nicht nur bei den Nutzfahrzeugen am autonomen Fahren gearbeitet. Auch die konzerneigene Softwareeinheit Cariad ist zusammen mit den großen Pkw-Marken VW, Audi und Porsche in die Entwicklungsarbeit eingestiegen.
Bei den Pkw geht es nicht wie bei den Nutzfahrzeugen darum, innerhalb weniger Jahre sofort ein perfektes autonomes System zu entwickeln. Vielmehr wollen die Ingenieure die Technik evolutionär nach und nach über die verschiedenen autonomen Level weiterentwickeln. Dazu müssen die vorhandenen Fahrerassistenzsysteme immer besser werden; in einigen Jahren kann das im perfekten autonomen Fahren auf Level 4 oder 5 münden.
Bei den Pkw und deren überwiegend privaten Käufern wären die Kosten für ein vollständiges autonomes System heute noch viel zu hoch. Für Unternehmen lohnen sich hingegen die Ausgaben für Level 4 oder 5, weil sie auf den Fahrer verzichten können.
Am Ende des technischen Entwicklungsprozesses etwa in einem Jahrzehnt könnten sich die Ingenieurteams von VWN und den großen Pkw-Marken des Konzerns möglicherweise doch wieder treffen, weil sie zum Schluss ähnliche Produkte entwickelt haben, nur eben über unterschiedliche Wege. „Es muss alles wieder zusammenwachsen – final sollte es nur ein System im Konzern geben“, prophezeit VWN-Chef Intra.
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