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08.09.2021

19:17

Bundestagswahl 2021

FDP-Chef Christian Lindner ist für die Königsmacher-Rolle bereit

Von: Thomas Sigmund

Armin Laschet und Olaf Scholz umwerben den Liberalen. Der hat eine klare Präferenz für eine Jamaika-Koalition – und weiß ein geschlossenes Team hinter sich.

Der FDP-Chef fühlt sich bereit für das Amt des Finanzministers. imago images/Political-Moments

Christian Lindner

Der FDP-Chef fühlt sich bereit für das Amt des Finanzministers.

Berlin In der letzten Bundestagsdebatte vor der Bundestagswahl entglitten am Dienstag Christian Lindner die Gesichtszüge, als die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit wahlkämpferischem Ernst behauptete: Dem Markt sind die Menschen egal. Seine Reaktion wurde in den sozialen Netzwerken tausendfach geteilt und kommentiert. Das zeigt: Mit Christian Lindner wird gerechnet.

Auf den Liberalen richten sich derzeit alle Blicke. Der FDP-Vorsitzende könnte, wenn aus Umfragen Wahlergebnisse werden sollten, zum Kurfürsten werden. Im Heiligen Römischen Reich stand den Kurfürsten das alleinige Recht zu, den König zu wählen.

Die beiden chancenreichsten Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Olaf Scholz umwerben ihn dabei auf ihre Art und Weise. Der CDU-Mann hat mit Lindner eine erfolgreiche Koalition in seinem Bundesland Nordrhein-Westfalen geschmiedet. Der SPD-Kanzlerkandidat und Hanseat verzichtet ohnehin auf persönliche Angriffe.

Auffällig ist: Dem gesamten sozialdemokratischen Establishment kommen die üblichen Kampfbegriffe wie neoliberal, kaltherzig und marktradikal nicht über die Lippen. Sie passen auch nicht zu Lindner.

Der FDP-Vorsitzende hat eine klare Präferenz für eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen. Im Bundestag stichelte er gegen „Herrn Kanzlerkandidaten“ Scholz und wies ihn darauf hin, dass Helmut Kohl bei der Bundestagswahl 1976 die Erfahrung habe machen müssen, „dass man Wahlen gewinnen kann und hinterher trotzdem keine Koalition hat“. Die FDP setzte das Bündnis mit der SPD fort.

Aber das war nicht Kern der Erzählung. Lindner hat ohnehin einen guten Draht zu Scholz. Sie tauschen sich aus und gehen selbst im Wahlkampf, in dem jeder seine Stimmen maximieren will, anständig miteinander um. In einer ZDF-Fernsehsendung ging Lindner nicht auf die Äußerung von Scholz zu den 50 Millionen Geimpften ein, die Versuchskaninchen wären. Für jeden Gutwilligen, zu denen sich offensichtlich auch Linder zählt, war klar, dass sie nicht ernst gemeint war.

Lindner schob das Thema Superabschreibung nach vorn

Es war auch kein Zufall, dass Lindner plötzlich das Thema Superabschreibung für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung nach vorn schob. Einerseits ist das Thema für seine Wählerschaft aus dem Mittelstand attraktiv. Andererseits ist es eine Sache, die die SPD finanzpolitisch mitgehen kann. Die Knackpunkte zwischen SPD und FDP liegen eher bei der Einkommensteuer und der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags.

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Armin Laschet warnte dagegen im kleinen Kreis bereits vor eineinhalb Jahren vor einer Ampelkoalition. Wenn die SPD das Soziale, die Grünen den Klimaschutz und die FDP die Wirtschaft machen, wo bleibe dann die CDU, fragte er in die Runde. An der kurzatmigen Kampagne gegen die FDP, die CSU-Chef Markus Söder eingefordert hatte, beteiligte sich Laschet allerdings nicht. Er schickte den Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und den Generalsekretär Paul Ziemiak. Nachdem das mediale Echo darauf verheerend war, hat die CDU das FDP-Bashing sofort wieder eingestellt.

Für Lindner ist es schon die zweite Spitzenkandidatur. Baerbock, Scholz und Laschet sind auf Bundesebene in dieser Funktion Frischlinge. Selbst die politische Konkurrenz sagt hinter vorgehaltener Hand, das würde man merken – und zollen dem Liberalen Respekt.

Geschlossenheit führt zu guten Wahlergebnissen. Die politische Weisheit gilt in diesem Wahlkampf neben der SPD auch für die FDP. Große Querschläger gab es bislang nicht. Schaut man sich das Präsidium an, gibt es viele Sympathisanten für eine Ampelkoalition – zum Beispiel die beiden Parteivize Johannes Vogel und Wolfgang Kubicki und den Chef der Südwest-Liberalen, Michael Theurer. Und Generalsekretär Volker Wissing fädelte eine Ampel in Rheinland-Pfalz ein. Der Schatzmeister Harald Christ war sogar viele Jahre SPD-Mitglied.

In der FDP ziehen alle an einem Strang

Der CDU näher stehen der immer noch einflussreiche FDP-Ehrenvorsitzende Hermann Otto Solms, Lindners Vertrauter Marco Buschmann und die hessische Vorsitzende Bettina Stark-Watzinger. Obwohl die Vorlieben im höchsten politischen Führungsgremium unterschiedlich sind, ziehen alle an einem Strang. Unter dem Codenamen „Ready for Government“ schafft Marco Buschmann Strukturen für Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen. Dafür gibt es viel Lob unter den Liberalen.

Guido Westerwelle ging 2009 relativ unvorbereitet in die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen, 2017 musste die Partei völlig überraschend aus der außerparlamentarischen Opposition heraus an Sondierungsgesprächen teilnehmen. Das Ergebnis ist bekannt. Gegen alle Regeln macht Christian Lindner nun deutlich, dass die FDP nur in eine Regierung eintritt, wenn die Partei den Bundesfinanzminister stellt. Lindner hat deutlich gemacht, dass er den Spitzenjob selbst übernehmen würde.

Normalerweise gilt die Weisheit, das Fell des Bären erst zu verteilen, wenn er erlegt ist. Aber Lindner hat mit dieser Ankündigung erfolgreich deutlich gemacht, dass die FDP für solide Finanzen steht. Auch hier will er offensichtlich den Fehler von Guido Westerwelle nicht wiederholen. Dieser griff nicht selbst nach dem Finanzministerium, und damit war es für die FDP verloren. Sollte Lindner erfolgreich sein, dann heißt in vier Jahren das Triell vielleicht Habeck, Lindner, Söder.

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