Einst waren Google, Amazon und Co. unantastbare Zukunftsmacher. Datenmissbrauch und Steuerflucht sorgen jetzt für Widerstand. Eine Chance für Europa.
Internetriesen in der Kritik
Datenmissbrauch, Fake News und Machtkonzentration lauten die Vorwürfe gegen Google, Apple und Co.
Bild: mauritius images
Berlin Kurz vor dem Jahreswechsel wurde das wohl teuerste Standortrennen der Technologiebranche entschieden: Der Onlinehändler Amazon suchte an der Ostküste der USA nach zwei neuen Hauptquartieren – und die Gewinner sind New York City und Crystal City, ein Vorort Washingtons.
Auf den ersten Blick schien es dabei um Grundstückspreise, Subventionen und Infrastruktur zu gehen. Tatsächlich war es ein Rennen um die Zukunft. Unter den 238 Bewerberstädten war auch Rochester im strukturschwachen Norden des US-Bundesstaats New York. Die 200.000-Einwohner-Stadt war einst Heimat des Fotoriesen Eastman Kodak, der 2012 der schöpferischen Zerstörung der digitalen Revolution zum Opfer fiel.
Heute findet man hier nur noch Reste des einstigen Weltkonzerns. Ein Zuschlag für Rochester wäre ein Handschlag zwischen dem industriellen und dem digitalen Zeitalter gewesen. Doch Rochester hatte wie die meisten anderen verlassenen Orte einer untergegangenen Epoche keine Chance gegen die Superstars der digitalen Ära.
New York City und der Großraum Washington boten Amazon nicht nur großzügige Staatshilfen von insgesamt 5,5 Milliarden Dollar. Unschlagbar waren sie deshalb, weil sie neben viel Geld mit einem coolen Image, eng geknüpften Netzwerken und einem riesigen Pool von hochqualifizierten Wissensarbeitern locken konnten.
The winners take it all – die Verlierer gehen dagegen leer aus. Auch das ein Merkmal des digitalen Zeitalters. „Amazons Entscheidung offenbart die politische und wirtschaftliche Kluft im heutigen Amerika“, kommentiert der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich den Ausgang des ungleichen Wettkampfs. Wie zum Beweis gab kurz vor Weihnachten Apple bekannt, für eine Milliarde Dollar einen neuen Firmencampus in Austin zu bauen.
Auch die texanische Stadt ist längst zu einem Mekka der digitalen Welt geworden und beherbergt das Tüftlerfestival SXSW, wo jedes Jahr die Zukunft neu erdacht wird. Der gleiche Riss durch Gesellschaft und Landschaft zeigt sich auch in Europa, wo London, Paris, München und Berlin als Magneten der digitalen Wirtschaft von überall Talente, Firmen und Wohlstand anziehen.
Amazon, Apple und Google investieren massiv in alternative Standorte in den USA. Auch kleinere Firmen und Start-ups schließen sich dem Exodus an.
Man müsse unterscheiden zwischen Superstar-Metropolen, die sich vor allem auf neue Technologien stützen, und Hunderten von Orten, die einfach abgehängt werden“, konstatierte Mark Muro von der Washingtoner Denkfabrik Brookings nach der Amazon-Entscheidung in einem Interview mit dem „Wall Street Journal“. Das Ergebnis sei eine „geografische Zwei-Klassen-Gesellschaft“.
Nach Berechnungen der amerikanischen Notenbank liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Familie in den Tech-Metropolen um 25.000 Dollar und das Vermögen sogar um 500.000 Dollar höher als im Rest der USA. Nach einer Untersuchung der amerikanischen Economic Innovation Group geht die Hälfte aller Firmengründungen in den USA auf das Konto von 20 großen Ballungsgebieten. Das ist weniger als ein Prozent aller Landkreise in den Vereinigten Staaten.
Superstar ist das Codewort des digitalen Zeitalters. Obwohl es diese Elite auch in anderen Wirtschaftszweigen gibt, ist es vor allem die Hightech-Branche die das Tempo des technischen Fortschritts vorgibt und seine Früchte erntet.
Tech-Pioniere wie Mark Zuckerberg, Jack Ma und Jeff Bezos (deren geschätztes Vermögen zusammen rund 220 Milliarden Dollar beträgt) dominieren mit ihren Superstar-Unternehmen Facebook, Alibaba und Amazon (geschätzter Marktwert zusammen mehr als 1,5 Billionen Dollar) riesige digitale Reiche, die größer und mächtiger sind als ganze Volkswirtschaften.
Sie locken die klügsten Köpfe der Welt mit Supergehältern in Superstar-Metropolen wie San Francisco (wo der Mittelwert für ein Einfamilienhaus 2018 auf 1,6 Millionen Dollar stieg), New York oder Shenzhen in China. So wächst der Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern des technischen Fortschritts.
Viele bekannte Apps erfüllen die Datenschutz-Grundverordnung nur unzureichend. Ministerin Barley warnt vor den Folgen und fordert verständlichere Informationen für die Verbraucher.
„Wenn wir Wohlstand nur noch für eine Elite sichern können, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, bekommen wir große Probleme“, warnt Angus Deaton, der für seine Forschung über die menschlichen Folgen des Niedergangs alter Industrieregionen 2015 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.
Die wachsende digitale Kluft beschäftigt inzwischen sogar Notenbanker und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Beim Jahrestreffen in Jackson Hole fragten sich zuletzt die Währungshüter, welche Auswirkungen die „Superstar-Ökonomie“ mit ihrer ungleichen Verteilung von Einkommen, Produktivität und Zukunftschancen auf das Wirtschaftswachstum haben könnte.
David Autor, Forscher am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat zudem herausgefunden, dass hohe Produktivitätssteigerungen und die Konzentration wirtschaftlicher Macht meist Hand in Hand gehen. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer“, sagt Peter Thiel, Starinvestor im Silicon Valley. Angesichts solcher Äußerungen dürfen sich die Techies nicht darüber wundern, dass sie immer misstrauischer beäugt werden.
Auch der IWF ist besorgt wegen der wachsenden Marktmacht der Superstars. So haben Ökonomen des Fonds börsennotierte Unternehmen in 74 Ländern untersucht und dabei entdeckt, dass die Preisaufschläge, die von Firmen in Industrieländern für ihre Produkte über die Grenzkosten hinaus verlangt werden, seit 1980 um rund 40 Prozent zugenommen haben.
Verantwortlich für diese saftigen Aufschläge seien vor allem die „Superstars“, im Rest der Wirtschaft sei die Preismacht kaum gewachsen. Das ist nach Meinung der IWF-Volkswirte schon deshalb ein Grund zur Sorge, weil viele Superstars das Investitions- und Innovationstempo einer Wirtschaft bremsen, sobald sie „zu mächtig geworden sind“.
Wachsende Ungleichheit und Machtkonzentration sind nur zwei Kritikpunkte gegenüber den Superstars der digitalen Wirtschaft. Die Liste des Misstrauens gegen die bis vor Kurzem noch als Hightech-Ikonen vergötterten Pionierunternehmen wird immer länger: Datenmissbrauch bei Facebook und Google, Fake News und Hassbotschaften auf Facebook und Twitter, Wahlmanipulationen mithilfe von Youtube, Facebook und Instagram.
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Im Feuer der Kritiker steht vor allem Facebook. Dem Zuckerberg-Imperium schlägt das größte Misstrauen entgegen, ergab Ende 2018 eine Umfrage der Marktforscher von Toluna. 40 Prozent der Befragten trauen Facebook am wenigsten über den Weg. Zwar besitzt nach einer Studie des World Economic Forum (WEF) jetzt die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang zum Internet. Doch nur 45 Prozent von ihnen sind der Meinung, die digitalen Technologien würden ihr Leben verbessern.
Dieser sogenannte „Techlash“ richtet sich nicht nur gegen die sozialen Medien. Apple wird vorgeworfen, mit der Droge iPhone Kinder zur Handy‧sucht zu verführen. Amazon würde nach dem Buchhandel jetzt auch den Einzelhandel plattmachen – und das mit Hungerlöhnen für seine Mitarbeiter. Streamingdienste wie Netflix bedrohten das Gebührenmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Google, Facebook, Amazon und Apple gelten in Europa als notorische Steuerflüchtlinge, die seit dem 1. Januar zunächst von Frankreich mit einer Digitalsteuer belegt werden. An China ist der „Techlash“ bislang vorbeigegangen.
Die Hightech-Größen aus dem Reich der Mitte haben jedoch andere Probleme: Sie werden immer öfter als fünfte Kolonne einer staatskapitalistischen Parteidiktatur betrachtet, die mit allen Mitteln versucht, die technologische Weltmacht an sich zu reißen. Die Verhaftung von Meng Wanzhou, der Finanzchefin des chinesischen Smartphone-Herstellers Huawei, in Kanada zeigt, dass hier mit harten Bandagen gekämpft wird.
Von einem „neuen Kalten Krieg“ zwischen den USA und China um die Zukunftstechnologien ist bereits die Rede. Europa und Amerika wappnen sich mit Investitionsschutzabkommen gegen chinesische Übernahmen und Technologieklau. Zugleich schürt die technologische Rivalität einen globalen Handelskrieg.
Das internationale Interesse an deutschen Politikern und Top-Managern beim WEF ist groß. Doch die Deutschen bleiben lieber in Deckung. Das gilt auch für Merkels Nachfolgerin.
Wie viel von den aktuellen Disruptionen durch die digitalen Superstars schöpferische Zerstörung oder zerstörerische Schöpfung ist, wird sich erst in Zukunft erweisen. Die Kritik aus Europa an den Superstars ist ohnehin nicht frei von Neid. Nur allzu gerne hätte man ein europäisches Google. Doch nicht ein einziges Technologieunternehmen des Kontinents schafft es derzeit unter die zehn wertvollsten Stars der digitalen Welt.
Das ändert nichts daran, dass sich die Hightech-Branche zu viele Feinde macht. Die Ereignisse des vergangenen Jahres zeigen, dass der technische Fortschritt außer Kontrolle zu geraten droht, dass ihm Balance und Empathie für jene fehlen, die bei seinem rasanten Tempo nicht mithalten können.
Ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz wird die digitale Revolution jedoch zu einem quasi leninistischen Eliteprojekt, das den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Die Gefahr ist nicht nur, dass sich dieser gefährliche Trend im neuen Jahr fortsetzt.
Er droht sich zu verstärken: Zwei Drittel der vom WEF weltweit befragten Unternehmen befürchten, dass Fake News und Identitätsdiebstahl 2019 zu noch größeren Problemen führen werden. Mindestens ebenso groß ist das Risiko, dass das Pendel in die andere Richtung über das Ziel hinaus ausschlägt.
Die global agierende Politikberatung Eurasia Group warnt angesichts des politischen und öffentlichen Drucks auf die Technologiebranche bereits vor einem „Innovationswinter“. Eine gesellschaftspolitische Blockade des technischen Fortschritts ist jedoch das Letzte, was insbesondere die europäischen Industrienationen im Moment gebrauchen können. Drohen doch China und Amerika das Rennen um die Zukunft unter sich auszumachen.
In einem epochalen Zweikampf, wie ihn sich die Fantasten der Marvel-Studios ausgedacht haben könnten, stehen dabei die libertären Superhelden aus dem Silicon Valley den digitalen Diktatoren aus China gegenüber. Eine europäische Antwort darauf steht noch aus. Sie sollte aber nicht darin bestehen, aus lauter Furcht vor den Risiken auf die Innovationsbremse zu treten.
Seit einem Jahr gilt ein neues Gesetz für Zahlungsdienste. Erst ein Start-up hat sich eine Erlaubnis der Bafin gesichert. Doch im Hintergrund ist die Revolution voll in Gang.
Das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Europa hat gerade durch die Haltung des Misstrauens die vielleicht letzte Chance, einen dritten Weg für den Fortschritt zu suchen, der Innovationsfreiheit und -freude mit gesellschaftlicher Verantwortung und Empathie verbindet.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat jüngst eine europäische Vision für die digitale Welt aufgezeigt – besser reguliert, demokratischer aufgestellt. „Wir brauchen Kreativität in der Technologie, aber wir brauchen sie auch in ethischen Fragen, in der Diplomatie und in der Gesellschaft“, betont der Franzose.
Das ist ein Aufruf vor allem an die Hightech-Branche selbst. Ohne Bodenhaftung droht den „Superstars“ eine gesellschaftspolitische Bruchlandung. Wie groß das Misstrauen gegenüber den Zukunftsmachern aus dem Silicon Valley selbst im technologiegläubigen Amerika ist, zeigen die wütenden Reaktionen im New Yorker Stadtteil Queens auf den neuen Nachbarn Amazon. Statt Jubelfeiern über die Ansiedlung gab es Demonstrationen.
„Wir geben Amazon drei Milliarden Dollar, aber die zahlen keine Steuern“, heißt es auf den Plakaten der Protestler. Zwar erhoffen sich die Stadtväter rund 25.000 neue Jobs vom Onlinegiganten. Doch die Anwohner fürchten sich vor steigende Mieten, verstopften Straßen und klagen über die schon jetzt überlastete Infrastruktur. Für die Menschen in Rochester, das leer ausgegangen ist, dürften das Luxusprobleme sein.
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