Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

25.01.2019

20:52

Weltwirtschaftsforum

Das sind die sieben Lehren aus Davos

Von: Daniel Schäfer, Torsten Riecke, Christian Rickens

Das Weltwirtschaftsforum hinterlässt neue Erkenntnisse – viele davon fallen aber nicht positiv aus. Die zentralen Lehren aus Davos in der Analyse.

Ursula von der Leyen und Jens Stoltenberg haben in Davos mit John Kerry über die Zukunft der Nato diskutiert. AFP

Jens Stoltenberg, Ursula von der Leyen, John Kerry

Ursula von der Leyen und Jens Stoltenberg haben in Davos mit John Kerry über die Zukunft der Nato diskutiert.

Davos Das Spektakel ist vorbei: Die 3000 Teilnehmer des 49. World Economic Forums in Davos sind größtenteils wieder auf dem Heimweg, das offizielle Programm ist nach einem Konzert des amerikanischen Kammerorchesters Sphinx Virtuosi am Freitagmittag beendet.

Statt hunderten Luxuslimousinen und Businessklamotten tragenden Tagungsteilnehmern sind auf den Straßen und Bürgersteigen des Graubündner Bergdorfes wieder Mittelklassewagen und Menschen in Skianzügen zu sehen. An den vier thematisch vollgepackten Tagen des Elitetreffens in den Schweizer Bergen wurde permanent debattiert, diskutiert und diagnostiziert. Doch was bleibt? Wir haben sieben zentrale Lehren des Weltwirtschaftsforums zusammengefasst.

Lehre 1: Fürchte dich vor China!

Zwei Jahre ist es her, dass der chinesische Präsident Xi Jinping in Davos als Retter von Freihandel und Ordnung in der Welt auftrat. Nach dem Schock der Trump-Wahl suchten die beim Weltwirtschaftsforum versammelten Eliten aus Wirtschaft und Politik fast verzweifelt nach einem neuen globalen Leader.

24 Monate später ist die Ernüchterung, ja Skepsis gegenüber China eine der wichtigsten Botschaften des WEF 2019. Vom erhofften Retter ist Peking plötzlich zum Bösewicht geworden. Das Misstrauen, das sich im Moment am Telekomausrüster Huawei festmacht, war in Davos überall zu spüren.

Den Höhepunkt setzte George Soros: Mit den Mitteln der künstlichen Intelligenz in Händen sei Xi Jinping die größte Bedrohung für offene Gesellschaften rund um den Globus, sagte der für seine markigen Worte bekannte US-Starinvestor am Donnerstagabend auf dem Forum.

Lehre 2: Techfirmen rutschen immer tiefer in die Vertrauenskrise

Die Technologie-Branche kam nach den zahlreichen Datenskandalen im vergangenen Jahr schon sehr angeschlagen nach Davos. „Wir stecken tief in einer Vertrauenskrise“, sagte der Vorstandschef einer amerikanischen Hightech-Schmiede. Wie verunsichert die Branche ist, zeigte der zwar demütige, aber doch ratlos wirkende Auftritt von Facebook-Managerin Sheryl Sandberg: „Bitte vergessen Sie nicht, wie viel Gutes wir tun.“

George Soros: „Xi Jinping ist der größte Feind der offenen Gesellschaft“

George Soros

„Xi Jinping ist der größte Feind der offenen Gesellschaft“

Der legendäre Investor warnt davor, dass der chinesische Präsident mithilfe von Künstlicher Intelligenz einen totalitären Staat Orwellschen Ausmaßes aufbaut.

Das wird nicht reichen, um das Vertrauen von Nutzern und Regierungen zurückzugewinnen. Im Gegenteil: Viele Regierungen denken darüber nach, wie sie den Zukunftsmachern Fesseln anlegen können. Dabei laufen die Aufseher Gefahr, über ihr richtiges Ziel hinauszuschießen und so Innovationen abzuwürgen. Europa kann sich das am wenigsten leisten. Der Kontinent spielt im Technologie-Zweikampf zwischen Amerika und China keine Rolle, wie auch in Davos deutlich wurde.

Lehre 3: Zu viel Bescheidenheit ist auch nichts

Die neue Parteivorsitzende der CDU gehörte zu denen mit größter Spannung erwarteten Gästen auf dem Forum. Annegret Kramp-Karrenbauer könnte bereits in zwei Jahren deutsche Bundeskanzlerin und damit die mächtigste Frau Europas sein – und kaum jemand außerhalb der deutschen Grenzen kennt sie.

Aber wo war AKK? Mal sah man sie, wie sie sich mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einer zufälligen Begegnung auf dem Flur des Kongresszentrums unterhielt, mal in einem Auditorium sitzen – mehr nicht. Kramp-Karrenbauer hielt keine Rede, saß in keinem Panel – obwohl die WEF-Organisatoren dem Vernehmen nach nur zu gerne einen Platz für sie freigeräumt hätten.

Doch AKK wollte ihren ersten Besuch in Davos vor allem nutzen, um zuzuhören, zu lernen und wichtige neue Kontakte, beispielsweise zu internationalen Großinvestoren, zu knüpfen. Eine sympathische Bescheidenheit, aber als potenzielle Merkel-Nachfolgerin hätte sie sich ruhig ein wenig mehr Selbstbewusstsein erlauben können. AKKs Bühnenscheue führte dazu, dass letztlich ein Großteil der Gäste wieder abreisen musste, ohne einen persönlichen Eindruck von der CDU-Vorsitzenden zu bekommen.

Lehre 4: Ohne die USA geht es nicht

Die US-Delegation hat wegen der Haushaltssperre in den USA ihre Reise nach Davos komplett abgesagt. Lediglich Außenminister Mike Pompeo ließ sich für eine kurze Rede via Satellit zuschalten. Doch so gespannt die Beziehungen zwischen den USA und Europa auch sein mögen: Ohne Regierungspolitiker aus Washington funktioniert Davos auch nicht so richtig gut.

In einer Diskussionsrunde zur Zukunft der Nato zum Beispiel konnten Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nur mutmaßen, was denn wohl die US-Position zu diskutierten Fragen sein könnte. Als einziger Vertreter der USA saß der demokratische Ex-Außenminister John Kerry auf dem Podium, der natürlich von den Positionen der Trump-Regierung mindestens so weit entfernt ist wie Washington, D.C. von Davos.

Lehre 5: Es gibt eine Diskrepanz zwischen Drinnen und Draußen

Mit Machtpositionen können Persönlichkeitsveränderungen einhergehen. Zu den häufigsten gehört Psychologen zufolge die zunehmende Selbstverständlichkeit, mit der man davon ausgeht, dass Regeln zwar für alle anderen gelten, aber nicht für einen selbst.

Auf dem World Economic Forum, der mutmaßlich höchsten zeitlichen und geografischen Konzentration von Macht auf der Welt, ließ sich diese Diskrepanz besonders augenfällig beobachten. Drinnen im Kongresszentrum von Davos ging es so intensiv wie nie zuvor beim WEF um Nachhaltigkeit: Um den Verlust an Biodiversität, um die Plastikmüllflut in den Meeren und um die die radikalen Veränderungen, die nötig sind, um dem Klimawandel noch Einhalt zu gebieten.

Republikaner Eric Cantor: „Es gibt einen Konkurrenzkampf der Großmächte“

Republikaner Eric Cantor

„Es gibt einen Konkurrenzkampf der Großmächte“

Eric Cantor, Ex-Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, analysiert den Machtkampf der USA mit China – und stützt die Politik von US-Präsident Trump.

Draußen standen derweil mit laufenden Motoren mehrere hundert Luxuslimousinen und Busse im Dauerstau, die für den Transfer der VIP-Gäste zwischen den verschiedenen Veranstaltungsorten des WEF zuständig waren – auch wenn die Veranstaltungsorte meist nur wenige hundert Meter auseinanderliegen. Alternative Antriebe?

Bis auf ein paar vereinzelte Teslas weitgehend Fehlanzeige. Mit fortschreitender Dauer des Forums näherte sich die Luftqualität im Bergdörfchen Davos rapide den Zuständen in jenen Schwellenland-Metropolen, über deren Umweltprobleme drinnen diskutiert wurde. Dazu gab es Kaffee in Einwegbechern mit Wurstbrötchen in Zellophanfolie, und keinen wunderte es. Wenn das Forum beim Thema Nachhaltigkeit glaubwürdig bleiben will, sollte es zumindest sein Mobilitätskonzept überdenken.

Lehre 6: Lieber kleine Fortschritte als folgenlose Ankündigungen

Was wurde auf der Davoser Weltbühne in den vergangenen Jahren nicht alles mit großen Worten versprochen, angekündigt und beworben: Chinas Staatspräsident Xi Jinping inszenierte sich wie beschrieben als Verfechter der Globalisierung und des freien Handels.

Abgenommen haben ihm das nur wenige. Tatsächlich hat sich China gegenüber den internationalen Märkten seither nur in (teils von den USA erzwungenen) Babyschritten weiter geöffnet. Von US-Präsident Donald Trumps Auftritt im vergangenen Jahr blieb lediglich hängen, dass er als eine Art oberster Handelsvertreter des Landes bei den versammelten Unternehmenschefs für Investitionen warb.

Und die britische Premierministerin Theresa May versprach, ihr Land werde nach einem erfolgreichen Brexit Freihandelsabkommen mit anderen Ländern abschließen. Bisher hat sie noch nicht einmal einen Brexit-Deal in der Tasche.

Alle drei kämpfen derzeit mit heimischen Problemen und blieben in diesem Jahr dem WEF fern. Und manche finden, das sei auch gut so: Statt als Schaubühne ebenso großer wie folgenloser Versprechen nutzten viele Teilnehmer das Treffen in diesem Jahr, um in kleineren und weniger prominenten Gesprächsrunden konkrete Lösungen für kleinere Probleme zu finden.

Lehre 7: Keine Party ohne Kater

Noch vor einem Jahr übten sich die beim Weltwirtschaftsforum versammelten Wirtschaftsführer, Investoren und Ökonomen in überschwänglichem Optimismus. In der Davoser Filterblase bestärkten sich die Mitglieder der globalen Elite gegenseitig in der Auffassung, dass die damalige ökonomische Realität im gesamten Jahr 2018 fortbestehen möge.

Doch auf die Party in den Berghütten folgte schon bald der Kater: Im zweiten Halbjahr fielen sowohl die Kurse an den Aktienmärkten als auch manche ökonomischen Frühindikatoren drastisch nach unten. Da wundert es nicht, dass sich die Davos-Gemeinde in diesem Jahr reichlich verunsichert zeigte.

Statt großem Optimismus herrschte nun die Haltung vor, dass sich die Wirtschaftslage in diesem Jahr bestenfalls holprig und schlimmstenfalls turbulent bis chaotisch darstellen wird – zumal mit dem Brexit, der Haushaltssperre in den USA und den Handelskonflikten der Amerikaner mit China und Europa überall große Risiken lauern.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×